Jahrestag der libyschen Nakba (Katastrophe) am 17. Februar 2011 / Kurzfristige Schließung wichtiger Erdgas- und Erdölanlagen / Gerichtsentscheid: MoU mit Türkei bezüglich Kohlenwasserstoffe ungültig / / Zinten zieht Unterstützung für Dabaiba-Regierung zurück / Milizenkämpfe im westlichen Libyen / Absturz des Wohlstandsniveaus und der libyschen Währung

17. Februar 2011 – Tag der Nagba für Libyen

+ Rückblick auf die Ereignisse des 17. Februars 2011 als Beginn des Aufstands gegen die libysche Dschamahirija-Regierung und Oberst Muammar al-Gaddafi. Denkschrift des Präsidentschaftskandidaten Saif al-Islam Gaddafi von 2017.
Für die meisten Libyer ist der Tag des 17. Februar 2011 der Tag der Großen Katastrophe (Nakba).
Nachdem 2020 ein fragiler Waffenstillstand geschlossen wurde, spalten heute zwei illegitime ‚Regierungen‘ Libyen. Die Bevölkerung verarmt, viele politische Gefangene sind immer noch eingesperrt, die Infrastruktur verfällt und die Korruption treibt höchste Blüten, während die sogenannten politischen ‚Führer‘ weiterhin bestrebt sind, Wahlen hinauszuzögern, wenn nicht gar zu verhindern, um sich und ihren ausländischen Patronagen die Macht zu sichern. Libyen ist zum Spielball ausländischer Mächte verkommen.
https://gela-news.de/denkschrift-von-saif-al-islam-von-2017-zu-den-ereignissen-des-jahres-2011

+ Im Osten des Landes wird der 17. Februar nicht mehr gefeiert. Die Dabaiba-‚Regierung‘ versucht sich immer noch mit einer Feier auf dem Grünen Platz in Tripolis.
AgenziaNova spricht von einer immer stärker anwachsenden Bedeutung der Gaddafi-Anhänger in ganz Libyen, die den 17. Februar 2011 als große Katastrophe für das Land empfinden.
https://www.agenzianova.com/en/news/Libya%2C-the-eastern-government-declares-the-UN-envoy-persona-non-grata/

Dabaiba-‚Regierung‘ unter Druck

+ Am 17. Februar 2024, Jahrestag des Beginns der Revolte von 2011, erklärte Zinten öffentlich in einer Videobotschaft, dass es die Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis nicht länger anerkennen will, denn diese sei für die sich ständig verschlechternde Lage in Libyen verantwortlich.
Die Honoratioren von Zinten riefen das gesamte libysche Volk dazu auf, sich zu vereinen.
Die Tripolis-Regierung müsse gestürzt und die ausländischen Militärs aus Libyen vertrieben werden. Ein Oberster Rat solle das Land zu freien und fairen Wahlen führen.
https://libyareview.com/41718/zintan-withdraws-support-for-libyas-gnu-3/

+ In der Stadt Zinten forderten Demonstranten die Absetzung der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis. Die Demonstranten trugen Bilder von Abdulhamid Dabaiba sowie von Ali Dabaiba und seinem Sohn Ibrahim Dabaiba bei sich, denen vorgeworfen wurde, korrupt zu sein, Vetternwirtschaft zu betreiben, das libysche Volk zu verraten und eine Normalisierung mit Israel anzustreben.
https://libyareview.com/41938/public-displays-of-dissent-against-government-of-national-unity-in-libyas-zintan/

+ Das Berufungsgericht von Tripolis annullierte das zwischen der Dabaiba-Regierung in Tripolis und der Türkei geschlossene Memorandum of Understanding (MoU) zu Kohlenwasserstoffen.
Die Dabaiba-‚Regierung‘ hatte nie die Befugnis, solch eine weitreichende Vereinbarung ohne die Zustimmung des  Parlaments, das das MoU mit der Türkei vehement ablehnt, zu treffen.
https://twitter.com/alwasatengnews/status/1759625036007080136

+ Parlamentspräsident Agila Saleh untersagte am 20. Februar allen Behörden und Firmen, Gelder der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis zur Verfügung zu stellen: Namentlich genannt sind u.a.: Libysche Zentralbank, Staatsanwaltschaft, Rechnungsprüfungsbüro, Regulierungsbehörde, Ölkonzerne, Wirtschaftsentwicklungsfonds, Kommunikationsunternehmen.
Als Grund nannte Saleh die rechtswidrige Verschwendung von Mitteln. Die Dabaiba-‚Regierung‘ sei abgelaufen. Jegliche Auszahlung von Mitteln an die Dabaiba-‚Regierung‘ stelle einen Verstoß gegen das Gesetzes Nr. 2 von 1979 über Wirtschaftskriminalität dar.
https://en.alwasat.ly/news/libya/430224

+ Die Koordinationsstelle Nationale Aktion in Bani Walid rief zur Bildung einer einheitlichen
Regierung auf, die in der Lage ist, die Institutionen des Landes zu konsolidieren und die Kontrolle über ganz Libyen auszuweiten. Die Gruppe betonte die Notwendigkeit, die Legitimität durch freie und faire Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu schaffen.
In der Erklärung werden alle nationalen Kräfte aufgefordert, ihre Anstrengungen zu bündeln, um Libyen vor dem Gespenst des Krieges und der Spaltung zu bewahren. Und es wird auf die Notwendigkeit einer umfassenden nationalen Aussöhnung unter den Libyern hingewiesen.
https://libyareview.com/41915/bani-walid-calls-for-unified-libyan-government/

Milizenkämpfe im westlichen Libyen

+ Am 16. und 17. Februar kam es in der Hauptstadt Tripolis nahe der al-Ghiran-Brücke zu heftigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Milizen General Security Agency (unter dem Befehl von at-Trabalsi, Innenminister der Dabaiba-‚Regierung‘) und Mobile Force. Im westlichen Teil der Stadt waren die Kämpfe besonders heftig, u.a. in Dschanzur, as-Sarradsch und Ghot asch-Schaal. In Dschanzur wurde die Küstenstraße gesperrt.
https://libyareview.com/41737/coastal-road-closed-following-armed-clashes-in-libyan-capital/

+ Das Quartier der Miliz Stability Support Apparatus im Abu-Salim-Viertel von Tripolis wurde am 17. Februar von einer Miliz gestürmt und es sollen mindestens 10 Mitglieder ermordet worden sein.
LibyaReview bestätigte am 18. Februar den Fund von mindestens zehn Leichen von Milizenmitgliedern in einem Haus im Süden von Tripolis.
https://twitter.com/MstrMax11/status/1759202930161222139
https://twitter.com/LibyaReview/status/1759159627353141261

+ Die UN-Sondermission für Libyen forderte eine „unabhängige, schnelle und gründliche Untersuchung“ der Ermordung von mindestens zehn Personen in Abu Salim (Tripolis) am 17. Februar. Es dürfe zu keiner weiteren Eskalation von Gewaltausbrüchen kommen.
https://twitter.com/alwasatengnews/status/1759626248710455461

+ Am 20. Februar kommt es in der Stadt az-Zawiya zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Milizen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1759985565771149761

Erdöl- und Erdgas

+ Am 21. Februar kündigten die Petroleum Facilities Guard (PFG) an, den Betrieb der Raffinerie az-Zawiya sowie der Erdölkomplexe Mellitah und Misrata einzustellen.
Die PFG forderte in einem Video die Auszahlung nicht erfolgter Entlohnung sowie Lohnerhöhungen innerhalb von fünf Tagen.
Die Schließung der Erdöl-/Erdgaskomplexe in Libyen hat auch Folgen für den internationalen Markt, allerdings sind etwa 80 Prozent des von ENI in Libyen geförderten Gases für den libyschen Binnenmarkt bestimmt.
Auch die Petroleum Facilities Guard (PFG) in der Hauptstadt Tripolis hat mit der Schließung des Öldepots al-Hani gedroht, falls ihre Forderung nach Lohnerhöhung nicht erfüllt wird. In einem Video erklärten sie sich mit ihren Kollegen in ganz Libyen solidarisch.
https://libyareview.com/41877/libyas-oil-production-disrupted-by-armed-groups-facility-shutdowns/
https://libyareview.com/41898/libyan-petroleum-facilities-guard-threatens-oil-field-shutdown/

+ Die Mitglieder der PFG kündigten am 25. Februar „die Schließung aller Ölfelder und Häfen“ im ganzen Land an, nachdem eine zehntägige Frist zur Umsetzung ihrer Forderungen nach Gehaltserhöhungen abgelaufen ist.
https://twitter.com/alwasatengnews/status/1761809361918099750

+ Am 25. Februar schließen die Mitglieder von PFG die Erdölraffinerie az-Zawiya im westlichen Libyen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1761713286582542427

+ Am 26. Februar wird die Wiederöffnung der Zawiya- und Melittah-Anlagen durch die PFG bekanntgegeben. Die Dabaiba-‚Regierung‘ habe ihre Forderungen erfüllt und die Gehälter angehoben.
https://libyareview.com/41987/libyan-oil-fields-reopened/

+ Die riesigen Summen, die Libyen aus dem Verkauf von Kohlenwasserstoffen (Öl, Gas, Kondensate) erhält, landen auf den Konten der Libya Foreign Bank, die zu 100 Prozent im Besitz der Libyschen Zentralbank (LBZ) ist. Diese Mittel teilen sich in vier Ausgabenbereiche auf: Gehälter, Zuschüsse, Betriebsausgaben und Entwicklungsprojekte, die theoretisch an alle Regionen des Landes verteilt werden sollten. Es ist vorgesehen, dass die Ausgaben vom Finanzministerium genehmigt werden und anschließend zum Planungsministeriums gehen. Allerdings wurde das Budget der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis noch nie vom Parlament in Bengasi genehmigt. Als Übergangslösung wurde eingeführt, dass monatliche Ausgaben von bis zu einem Zwölftel des Vorjahresbudgets möglich sind. Das gesamte libysche Budget für 2024 ist momentan vollständig blockiert und das Investitionsbudget des Jahres 2023 harrt immer noch der Genehmigung.
Daneben werden große Geldsummen ohne jede Kontrolle und außerhalb der offiziellen Kanäle bewegt.
https://www.agenzianova.com/en/news/The-continuing-tensions-in-Libya-are-once-again-threatening-hydrocarbon-supplies-to-Italy/

+ Laut der Analystin der International Crisis Group, Claudia Gazzini, geht es bei den Schließungen von Ölpipelines um den erbitterten Kampf zum Zugang zu den riesigen Summen, die das Land als Mitglied der OPEC+ einnimmt, also um die Finanzkontrolle.
https://www.agenzianova.com/de/news/libia-il-grande-gioco-per-il-controllo-delle-finanze-del-paese/

Weitere Nachrichten aus Libyen

+ Am 17. Februar erklärte die US-Botschaft, dass die libysche Marine der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis an einem Workshop teilnimmt, der die strategische Zusammenarbeit von US-Verbündeten und regionalen Marinepartnern stärken soll.
https://libyareview.com/41728/libyan-navy-participates-in-us-led-maritime-security-workshop/

+ Die italienische Website ItamilRadar berichtete am 18. Februar, dass zwei US-amerikanische Dash 8-300-Flugzeuge in Bengasi landeten. Eines der Flugzeuge kam aus Tunis und stehe mit US-Außenministerium in Verbindung, das andere war in Malta gestartet und stehe mit dem US-Africa-Command (AFRICOM) in Verbindung. LibyaReview spekuliert, es könne sich um diplomatische Kontakte, militärische Koordination oder nachrichtendienstliche Zusammenkunft handeln.
https://libyareview.com/41791/2-us-aircrafts-land-in-benghazi/

+ US-Präsident Joe Biden verlängerte die Sicherheitsnotstandsverordnungen wegen Libyen für ein weiteres Jahr, da angeblich „die Lage in Libyen weiterhin eine ungewöhnliche und außergewöhnliche Bedrohung für die nationale Sicherheit und Außenpolitik der Vereinigten Staaten darstellt.“
https://twitter.com/alwasatengnews/status/1760714162894692630

+ Der ‚Premierminister‘ der östlichen Parlamentsregierung, Osama Hammad, erklärte den UN-Gesandten Abdoulaye Bathily zur persona non grata. Die UN-Mission (UNSMIL) sei unfähig, Initiativen zur Beendigung der Teilung des Landes zu unterstützen.
https://www.agenzianova.com/en/news/Libya%2C-the-eastern-government-declares-the-UN-envoy-persona-non-grata/

+ Russland eröffnete wieder seine Botschaft in Tripolis und kündigte die Eröffnung eines Konsulats in Bengasi an. An der Eröffnungszeremonie nahmen libysche Politiker teil, darunter der Präsident des libysch-russischen Gemischten Ausschusses und Minister für Öl und Gas der Dabaiba-‚Regierung‘, Mohamed Aoun.
Der russische Botschafter Haider Aghanin hielt seine Rede auf Arabisch. Die Übergabe des Beglaubigungsschreibens von Aghanin war bereits vor sieben Monaten erfolgt.
https://www.agenzianova.com/de/news/libia-la-russia-riapre-lambasciata-a-tripoli-e-annuncia-lapertura-di-un-consolato-a-bengasi/

+ Am 22. Februar empfing Parlamentspräsident Agila Saleh den Leiter des chinesischen BFI-Konsortiums, Saleh Attia. Es handelt sich dabei um eine Unternehmensallianz unter der Führung der China Railways International Group Company und dem Wirtschaftsminister der Parlaments-‚Regierung‘ im Osten, Ali as-Saidi. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die neuesten Entwicklungen zu Projekten im Bereich erneuerbarer Energie, etwa der Bau von Solarkraftwerken in Kufra, al-Makhlili und Tamanhint , aber auch Infrastrukturprojekte wie das Eisenbahnprojekt zur Verbindung vom libyschen Bengasi zur Mittelmeerstadt Marsa Matruh in Ägypten. Bereits am 9. Februar war eine Absichtserklärung zu diesem Projekt unterzeichnet worden.
Nach Angaben des Ministers finanziert China über das BFI-Konsortium ein 28-Milliarden-EUR-Projekt zum Bau von U-Bahnen in Libyen.
Zur Zeit der ehemaligen Dschamahirija von Oberst Muammar Gaddafi hatte China Railway in Libyen drei Großprojekte mit einem Gesamtwert von 4,24 Milliarden USD gestartet, die alle durch den Nato-Krieg gegen Libyen gestoppt wurden.
https://www.agenzianova.com/de/news/libia-russia-e-cina-rafforzano-la-loro-presenza-a-tripoli-e-bengasi/

+ Zum ersten Mal seit Jahren fällt der libysche Dinar (LYD) am 25. Februar auf 8,0 LYD pro US-Dollar.
Die Währung hat innerhalb von drei Monaten 40 % ihres Wertes verloren. Dies bedeutet, dass die Menschen fast die Hälfte ihrer Kaufkraft verloren haben
https://twitter.com/LibyaReview/status/1761799248469688476

+ Der italienische Politexperte und leitender Berater der Denkfabrik Med Or, Daniele Rovinetti, sieht Libyen in einer schweren Wirtschaftskrise mit weitreichenden Auswirkungen auf den sozialen und innenpolitischen Bereich des Landes. Es könnte die gesamte Mittelmeerregion destabilisiert werden.
https://libyareview.com/41722/italy-warns-of-economic-crisis-in-libya/

+ Libyen, das einst reichste Land Afrikas mit seinen immensen Erdöl- und Erdgaseinnahmen, ist im Wohlstandsindex auf Platz 146 von 167 Nationen abgerutscht. Es befindet sich jetzt unter den ärmsten Ländern an der Seite des Jemen und des Sudan. Grundbedürfnisse wie die Versorgung mit Wasser, Strom und medizinischer Behandlung werden nicht mehr erfüllt.
Zu den wichtigsten Indikatoren für Wohlstand zählen die Sicherheitslage, die staatliche Effizienz, die Bemühungen zur Beseitigung von Korruption, das Investitionsklima, die Qualität der Infrastruktur, die allgemeinen Lebensbedingungen, das Gesundheits- und Bildungssystem.
https://libyareview.com/41764/libya-ranks-146th-on-prosperity-index/
Im Jahr 2010 befand sich die Libysch-Arabische Dschamahiriya weltweit beim WorldWideDevelopmentIndex noch auf Platz 54.

+ In der westlich von Misrata gelegenen Stadt Zliten ist wegen des anhaltenden Anstiegs des Grundwasserspiegels der Notstand ausgerufen worden. Das Wasser verursacht erhebliche Schäden für das Ökosystem und bei Bauwerken
https://libyareview.com/41941/zliten-faces-continued-environmental-crisis-due-to-rising-groundwater-levels/

+ Es häufen sich Meldungen über die katastrophalen Bedingungen, denen Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Tschad im Südosten Libyens ausgesetzt sind. Besonders davon betroffen sind die Kufra-Oasen. Trotz großer Hilfsbereitschaft überfordert die schiere Menge der Flüchtlinge die dortige Infrastruktur.
https://libyareview.com/41731/libya-struggling-with-sudanese-refugee-crisis/