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Kurznachrichten Libyen – 11.06.2020

Libyen außer Kontrolle / Plünderungen in Tarhuna / Türkei militärisch und diplomatisch in Bedrängnis / Ägyptische Armee marschiert auf / Immer mehr Staaten involviert

Militärische Lage

Auch wenn es schien als sei die LNA nach den Verlusten im Westen Libyens dem Zusammenbruch nahe, konnte sie jetzt den Vormarsch der ‚Einheitsregierung‘ nach Sirte stoppen. Ehemalige Offiziere aus der Zeit der Operation Würde nahmen ihren Platz an der Front wieder ein.
Es scheint geklärt, wer der Oberste Befehlshaber der libyschen Armee (LNA) ist: Parlamentspräsident Aquila Saleh.
Absprachen zwischen Russland und der Türkei wurden nicht eingehalten. Diese hatten wohl beinhaltet, dass Tarhuna geräumt wird, damit die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ einmarschieren können. Es erfolgte keine Luftunterstützung für die LNA in Tarhuna. Die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ sollten ihrerseits nicht die Stadt Sirte angreifen. Dieses Abkommen wurde von der ‚Einheitsregierung‘ gebrochen: Sirte wurde von den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ mit türkischer Unterstützung aus der Luft und von Fregatten aus unter Beschuss genommen. Innerhalb der ‚Einheitsregierung‘ und auch innerhalb der Milizen toben schwerste Auseinandersetzungen.
LNA führte heftige Angriffe mit Jagdbombern aus, kann nicht nur Sirte halten, sondern die Milizen auch zurückdrängen.

+ 10.09.: Die französische Luftwaffe fliegt Aufklärungsflüge über Sirte
https://www.addresslibya.co/en/archives/56930

+ 10.09.: Die griechische Marine hat unter Einsatz eines Militärhubschraubers versucht, im Rahmen der Irini-Mission ein türkisches Frachtschiff zu stoppen, von dem vermutet wird, dass es Waffen nach Libyen bringen soll, und das von zwei türkischen Fregatten begleitet wurde. Nach Warnungen durch die türkischen Fregatten habe sich das griechische Militär zurückgezogen.

+ 09.06.: Türkische Marine schickt eine Lenkwaffenfregatte in die libyschen Hoheitsgewässer
https://www.addresslibya.co/en/archives/56927

+ Die Türkei rüstet in Libyen weiter auf. Der Turboprop-Militärtransporter Lockheed C-130 Hercules der türkischen Luftwaffe, ist angeblich von Konya AFB nach Misrata unterwegs. Dies ist der 22. Flug in den letzten drei Wochen.

+ 10.09.: Laut LNA wurden die Milizen der ‚Einheitsregierung‘, die Sirte angriffen, zurückgedrängt. Sie mussten sich bis 90 km westlich von Sirte zurückziehen.

+ 10.09.: Laut der LNA werden die intensiven Lufteinsätze auf Standorte der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ fortgesetzt. Betroffen sind Gebiete im Gebiet von Buqrin, Dscharif und as-Sadada (östlich von Misrata) sowie das Gebiet von as-Sawalit und al-Qudahiya.
https://www.addresslibya.co/en/archives/56934

+ 08.06.: Die LNA bombardiert einen Militärkonvoy der ‚Einheitsregierung‘ nördlich von Sebha. Bereits am Tag vorher hatte die LNA einen Milizen-Konvoy nordwestlich des al-Dschufra-Luftwaffenstützpunkts zerstört.

+ 08.06.: Die LNA bombardiert mit Su-24M, MiG-21 und MiG-29 Kampfjets einen Militärkonvoy der ‚Einheitsregierung‘, der auf dem Weg von Misrata nach Sirte war. Dabei sollen auch mehrere türkischen Offiziere und syrischen Söldner ums Leben gekommen sein.

+ Am 08.06. gibt die LNA bekannt: In den letzten 48 Stunden standen die erwarteten Milizen der ‘Einheitregierung’ unter heftigem LNA-Luftwaffenbombardement, das zu schweren Verlusten an Menschenleben und Ausrüstung führte. Erste Berichte sprechen von mindestens 75 Tote und 209 Verletzten. Sieben Panzer, fünf gepanzerte Mannschaftstransportwagen, ein Transportbus und andere militärische Güter wurden zerstört. Es sollen mehrere türkische Offiziere und syrische Söldner unter den Toten sein.

+ 08.06.: Massiver Militäraufmarsch der ägyptischen Armee an der Grenze zu Libyen.
Es heißt, es-Sisi habe Erdogan ein Ultimatum gestellt: Er solle seine Terroristen aus Libyen abziehen oder die ägyptische Armee würde aktiv eingreifen.

+ 07.06.: Der fortgesetzte Beschuss von Sirte durch die Milizen forderte den Tod von sieben Zivilisten, darunter zwei Frauen und drei Kinder. Sechs weitere Zivilisten wurden verletzt, zwei davon befinden sich in einer kritischen Situation.

+ Die Zahl der Geflüchteten aus von der ‚Einheitsregierung‘ eroberten Gebieten beträgt 18.500, viele davon sind in Adschdabija und Bengasi angekommen. Die meisten halten sich allerdings in Bani Walid auf.

+ 07.06. Die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ plündern exzessiv Geschäfte in Tarhuna. Die Stadt wurde vor dem Einmarsch der Milizen von den Bewohnern und den LNA-Streitkräften weitgehend geräumt.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1269669451575820289

+ 07.06.: LNA bombardiet Milizenpositionen im Gebiet von al-Heisha (Misrata)

Erdöl und Erdgas

+ 10.06.: Eine bewaffnete Gruppe, die zu den Milizen der ‚Einheitsregierung‘ gehören soll, hat den Mellitah-Ölkomplex im Westen Libyens gestürmt und die Gaspumpstation stillgelegt. Es fließt kein Gas mehr nach Italien.

+ Kaum hatte Die National Oil Corporation (NOC) die Aufhebung des Ausnahmezustands am Sharara- und al-Feel-Ölfeld vom 7. und 8. Juni 2020 im Rohölbereich und die Wiederaufnahme der Produktion im Al-Feel-Ölfeld ab Sonntag bestätigte, musste sie den Ausnahmezustand am 09.06. für as-Sharara auch schon wieder ausrufen. Eine bewaffnete Gruppe, die die LNA unterstützt und aus Sebha kommen soll, hatte dafür gesorgt, dass die Produktion auf dem Feld nur wenige Tage nach dessen Wiedereröffnung wieder eingestellt werden musste.

+ Wie die NOC am 10.06. bekanntgab, wurde inzwischen auch das al-Feel-Ölfeld nur wenige Tage nach seiner Wiedereröffnung erneut stillgelegt.

+ Laut der LNA befinden sich alle Ölfelder, auch das von al Sharara unter der Kontrolle der LNA und des Parlaments. Alle anders lautende Nachrichten seien unwahr und reine Propaganda.

Libysche Nationalarmee/LNA

+ 10.06.: General Haftar hat den deutschen Botschafter Oliver Owcza getroffen, um mit ihm die Kairoer Erklärung zu besprechen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1270717961683103745

+ 08.06.: Die LNA gibt bekannt, dass der Oberbefehlshaber der LNA, amtierender Präsident Libyens und libyscher Parlamentspräsident Agila Saleh in der russischen Hauptstadt Moskau eingetroffen ist. (Man beachte die Wortwahl!)

08.06: Laut dem LNA-Sprecher al-Mismari sei der diplomatisch erzwungene Rückzug als Niederlage missverstanden worden. Das sei unsinnig, denn die LNA sei immer noch so stark wie eh und je. Jetzt seien die Nachschublinien kürzer und es werde in offenem Gelände gekämpft. Dies stelle die letzte Chance für ein einziges und vereintes Libyen dar.

+ 07.06. Der LNA-Sprecher al-Mismari sagte, dass die Streitkräfte eine Gegenoffensive gegen die Milizen der in Tripolis ansässigen ‚Einheitsregierung‘, die von türkischen Streitkräften in der Stadt al-Hisha östlich von Misrata unterstützt werden, gestartet haben. Die Gegenoffensive sei nach Luftangriffen auf die feindlichen Linien erfolgt.

+ Der LNA-Sprecher betont, dass das Nato-Mitglied Türkei seine Mitgliedschaft missbraucht, um Libyen zu besetzen. Und fragt die Nato, ob sie wirklich willens sei, in einen Krieg verwickelt zu werden und somit die Verschwörung der Türkei zu unterstützen. Dies diene nur den Interessen der Türkei bedrohe die Stabilität in der gesamten Region.

+ Laut LNA sollen italienische und türkische Kriegsschiffe in Richtung Sirte unterwegs sein, „um ihren geliebten Terroristen zu helfen. Es könnten unsere neuen Anti-Schiffsraketen doch noch zum Einsatz kommen“.

Libysche Stämme und Städte

+ Der Stamm von Omar al-Mukhtar, des legendären Kämpfers gegen die Kolonialisten, verurteilte die türkische Intervention in Libyen. Mitglieder des al-Mnifa, al-Hilaleya-Stammes: „Wir, die Nachkommen von Scheich Omar Al-Mukhtar, verurteilen die Äußerungen der Türkei aufs Schärfste, insbesondere wenn türkische Kampfflugzeuge unsere Brüder und Schwestern töten“.
Der Stamm erklärte, dass sie alle ihre finanziellen und moralischen Möglichkeiten ausnutzen würden, um die türkischen Invasoren und alle anderen Parteien, die versuchen, die nationale Sicherheit des Landes zu untergraben, zu vertreiben. „Wir folgen dem Vermächtnis unserer Vorfahren und sind bereit, unser Leben für das Wohl unseres Landes zu opfern. Die Invasoren werden hier in Libyen nur den Tod finden“. In der Erklärung heißt es, der Stamm unterstütze die ägyptische Friedensinitiative, die auch von regionalen und internationalen Akteuren befürwortet wird.
Schließlich forderten die Stammesmitglieder die Muslime in der Türkei auf, die Aktionen des türkischen Präsidenten zu stoppen, der nur versuche, die islamische Gemeinschaft zu untergraben und persönlichen Ruhm zu erlangen.
https://libyareview.com/?p=3614

Libysches Parlament/Übergangsregierung

+ Der Innenminister der Übergangsregierung (Tobruk) bildet einen Krisenstab zur Untersuchung von in westlibyschen Städten begangenen Verbrechen durch die Milizen der ‚Einheitsregierung‘, insbesondere in Tarhuna und Qasr bin Ghaschir, die einen eklatanten Rechtsverstoß darstellten. Zu Plünderungen kam es auch in Suq as-Sabt und Suq al-Khamis.
https://libyareview.com/?p=3531

+ Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Parlaments, Yousef al-Agouri, unterstrich die Notwendigkeit eines sofortigen Waffenstillstands und einer Rückkehr zum politischen Dialog. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Lage im Land nicht verschlechtert und es nicht zu einem sicheren Ort für Extremisten werde, die die Stabilität der gesamten Region bedrohen.
https://libyareview.com/?p=3543

+ 10.09.: Der deutsche Botschafter in Libyen, Oliver Ovcza, wird vom Parlamentspräsidenten und Oberbefehlshaber der libyschen Armee (!) Agila Saleh empfangen. Ovcza wirbt für die Wiederaufnahme der 5+5-Gespräche.
Saleh forderte Deutschland auf, „eine wichtige Rolle dabei zu spielen, die in Tarhuna begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen“. Er rief auch dazu auf, „die türkische Militärintervention und die Verletzung der Souveränität Libyens zu stoppen und einen weiteren Zustrom von Söldnern und Terroristen zu verhindern“.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1270791246227914752

+ 10.09.: Der deutsche Botschafter Ovcza twittert: „Erfreut, Ali Mohamad, den gewählten Bürgermeister von al-Beida, zu treffen. Beeindruckt von seinen Bemühungen, die wirtschaftliche Entwicklung in seiner Stadt zu stärken und Möglichkeiten für die Jugend zu schaffen. Glücklich über die Aufnahme Beidas in das bilaterale Kooperationsprogramm. Shukran für den herzlichen Empfang!“

+ Parlamentspräsident Agila Saleh sagte in einem Interview mit alArabiya, dass die Erklärung von Kairo die beste Lösung zur Beendigung der libyschen Krise sei. Sollte diese Initiative abgelehnt werden, führe dies zur Fortsetzung des Krieges, bei der alle verlieren würden. Dass es zwischen Russland und den USA wegen Libyen zu Streitigkeiten komme, sei nichts Neues. Das Parlament wolle mit den Parteien zusammenarbeiten, die etwas für die Interessen des libyschen Volkes tun. Der Rückzug der LNA aus dem westlichen Libyen sei im Interesse der dort lebenden Menschen und zur Vermeidung weiterer Zerstörung geschehen. Einigkeit bestehe mit der LNA-Führung. Auch wenn Meinungsverschiedenheiten bestünden, verfolge man doch dasselbe Ziel,.

‚Einheitsregierung‘/Türkei/Milizen

+ Nach den Drohnenangriffen auf Zivilisten in Qasr bin Ghashir (12 tote Zivilisten) und auf flüchtende Familien südlich von Sirte verübten die türkischen Drohnen am 08.09. ein neues Massaker westlich von Sirte, bei dem fünf Mitglieder einer Familie, darunter Frauen und Kinder, sowie eine ältere Frau und ein Mann getötet wurden.

+ In Salah al-Din, südliches Tripolis, kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen syrischen Söldnern und Milizen der ‚Einheitsregierung‘, nachdem die Söldner die Kontrolle über das Hauptquartier übernommen und sich geweigert hatten, es zu verlassen.

+ 10.06.: LibyanReview twittert: „Der stellvertretende Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Abdulsalam Kajmaan, fordert die libyschen Institutionen auf, alle Entscheidungen und Befehle der ‚Einheitsregierung‘ zu ignorieren.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1270654367184683008/photo/1
In Tripolis fliegen die Fetzen!

+ Der türkische Politologe Yusuf Katipoglu, der der türkischen Regierung nahe steht, sagte in einem Fernsehinterview: „Seien Sie nicht überrascht, wenn ich Ihnen sage, dass wir vielleicht in den kommenden Tagen davon hören werden, dass türkische Militärbasen im Osten Libyens und im Norden Libyens gebaut werden sollen, um die Öleinrichtungen, um die es hier geht, nach dem Ende der Kämpfe zu schützen“.
https://www.addresslibya.co/en/archives/56918

+ Der türkische Präsident Tayyip Erdogan sagte, er habe den Konflikt in Libyen am 08.06. mit US-Präsident Trump telefonisch besprochen: „Nach unserem Telefonat kann eine neue Ära zwischen der Türkei und den USA beginnen. Wir haben uns in einigen Punkten geeinigt“.
Washington erklärte, Trump und Erdogan hätten über den Krieg in Libyen sowie übe Syrien und den östlichen Mittelmeerraum gesprochen. Weitere Einzelheiten wurden nicht genannt.
Erdogan sagte auch: „Jetzt geht es darum, das gesamte Gebiet von Sirte zu übernehmen. Das sind Gebiete mit den Ölquellen, die von großer Bedeutung sind“.
http://en.alwasat.ly/news/libya/285593

+ Die türkische Zentralbank (Central Bank of the Republic of Turkey, CBRT) hat unter Verletzung aller internationalen und innerstaatlichen Gesetze und Vorschriften schwerwiegende Wirtschaftssanktionen gegen Libyen getroffen, indem sie alle Bürgschaften für libysche Banken annulliert hat. Es könnte sogar ein Bankencrash drohen. Al Marsad liegen Kopien einiger Briefe an die Libyan Commercial Bank sowie an die libysche Organisation für die Entwicklung von Verwaltungszentren (ODAC) vor, die die Annullierung der Bürgschaft durch türkische Banken erklären. In einem Fall geht es um ein Projekt an der Universität von Tripolis des Jahres 2009 im Höhe von 29 Millionen US-$.
Aus der Libyschen Zentralbank heißt es hierzu: „Dies bedeutet schlicht und einfach den Bankrott der libyschen Banken, weil der Wert dieser Bürgschaften im Milliardenbereich liegt. Die Banken haben Mitteilungen erhalten, in denen die Annullierung der zu ihren Gunsten ausgestellten Bürgschaften angekündigt wird“. Der Umfang dieser türkisch-libyschen Projekte beläuft sich auf insgesamt rund 120 Milliarden US-$, während der Wert der Garantieerklärungen 30% dieses Betrags ausmacht. Mit anderen Worten, die libyschen Banken müssen nun etwa 33 Milliarden US-$ zahlen, was das Kapital dieser Banken übersteigt und sie in den Bankrott treiben wird.
https://almarsad.co/en/2020/06/09/revealed-turkeys-central-bank-cancels-all-letters-of-guarantee-issued-to-libyan-banks-banking-bankruptcy-looms/

+ Telepolis über Erdogans AKP: „Aktuell käme die regierende AKP selbst in Koalition mit der rechtsradikalen MHP nicht auf die erforderliche Mehrheit von fünfzig Prozent der Stimmen. Schon seit Monaten macht das Gerücht die Runde, dass Erdogan einmal mehr vorgezogene Neuwahlen anpeilt und dafür das erst vor zwei Jahren reformierte Wahlrecht erneut umkrempeln will.
Die Verfolgung von Oppositionellen geht derweil ungebrochen weiter. Der Großteil der im März 2019 bei den Kommunalwahlen im Südosten gewählten kurdischen Bürgermeister ist inzwischen wieder abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt, viele wurden obendrein inhaftiert.“
https://www.heise.de/tp/features/Tuerkei-Oppositionsabgeordnete-verhaftet-4777914.html

Reaktion auf die Kairoer Erklärung vom 06.06.2020

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah el-Sisi hatte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem libyschen Parlamentspräsidenten Agila Saleh und dem LNA-Befehlshaber Khalifa Haftar eine Initiative zur Lösung der Krise in Libyen vorgestellt und davor gewarnt, in dem konfliktgebeutelten Land weiter auf die militärische Karte zu setzen.
Die Erklärung von Kairo enthält Vorschläge zur Ausrufung eines Waffenstillstands und ruft zur Wiederaufnahme der 5+5-Friedensverhandlungen in Genf unter der Schirmherrschaft der UNO auf.
In der Erklärung wird von allen ausländischen Parteien gefordert, ihre Söldner aus Libyen abzuziehen, Milizen zu zerschlagen und deren Waffen einzusammeln, damit die libysche Nationalarmee (LNA) ihre Sicherheitsaufgaben erfüllen kann.
Die Initiative sieht die Bildung eines gewählten Präsidialrats vor, der unter Gewährleistung einer fairen Vertretung der drei libyschen Regionen die Regierungsführung verwaltet, faire Wahlen durchführt und die Einnahmen gerecht und transparent unter allen Bürgern verteilt. Es wird dabei die Notwendigkeit der Verabschiedung einer Verfassungserklärung zur Regelung des politischen Prozesses in dem vom Krieg verwüsteten Land betont.

Seit Jahren bringt diese Art von Verhandlungen keinerlei Fortschritte. Der Grund: Es sitzen die falschen Leute, die von der UN und der ‚internationalen Gemeinschaft‘ ausgesucht werden, an den Verhandlungstischen, die weder die Macht noch die Autorität haben, die im Sinne der EU und des Westens gefassten Beschlüsse auch durchzusetzen.

+ Der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis. as-Sarradsch, lehnt die Kairoer Erklärung ab.

+ 07.06.: Der türkische Präsidentschaftsberater Yasin Aktay kommentierte auf Twitter die Deklaration wie folgt: „Es ist traurig und bedauerlich, solche Pressekonferenzen zu sehen, deren Organisatoren mit aller Macht versuchen, toten Körpern und erschöpften Seelen Geist einzuhauchen. Die beste Ehre, die den Toten zuteilwerden kann, ist die Bestattung.“

+ 07.06.: Katar lehnt die Kairoer Erklärung ab. Der katarische Außenminister Mohammed Al-Thani sagte in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Monde, dass das, was er als „das Versagen der Haftar-Milizen“ bezeichnete, darauf hinweise, dass der Konflikt in Libyen politisch gelöst werden sollte und nicht durch Staatsstreiche und militärische Aggressionen.

Arabische und internationale Politiker begrüßten die ägyptische Initiative:

+ Der Präsident des arabischen Parlaments begrüßte die Erklärung von Kairo, die darauf abzielt, die libysche Krise zu lösen und die Einheit und Stabilität Libyens zu erhalten. Sie stelle auch einen Fahrplan für eine politische Lösung in Libyen dar, welche die Machtkämpfe beenden und Söldner und ausländische Kämpfer aus Libyen vertreiben wird.

+ Die Liga der Arabischen Staaten (LAS) begrüßte über ihren Generalsekretär Ahmed Aboul Gheit die ägyptische Initiative zur Beendigung des Konflikts und die Rückkehr zu politischen Verhandlungen.

+ Der Außenminister von Jordanien sieht in der Deklaration einen „bedeutenden Durchbruch“, der im Einklang mit den internationalen Initiativen stehe.

+ Saudi-Arabien begrüßte die Deklaration von Kairo und den Aufruf des ägyptischen Präsidenten zu einem Waffenstillstand in Libyen und kündigte die volle Unterstützung aller internationalen Bemühungen an, die Konflikte in Libyen zu beenden und zu Verhandlungen zurückzukehren. Die Integrität Libyens und sein Schutz vor Einmischung von außen müsse gewährleistet werden.

+ Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) erklärten ihre Unterstützung für die von ihnen als „wohlwollend“ bezeichneten ägyptischen Bemühungen zur Wiederbelebung des politischen Weges und zur Erklärung eines Waffenstillstands.

+ Bahrain begrüßte ebenfalls die ägyptische Initiative, der einen ernsthaften Dialog zur Folge haben könnte, der die nationalen Bemühungen für eine historische Übereinkunft zusammenführt.

+ Auch Kuweit begrüßte die Deklaration.

+ Marokko sieht dagegen immer noch das im Dezember 2019 ausgelaufene Skhirat-Abkommen als die Lösung für Libyen an.
https://libyareview.com/?p=3559

+ Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian beglückwünschte Ägypten zu seinen Bemühungen in der Libyenfrage. Er mahnte die Wiederaufnahme der 5+5-Verhandlungen und einen raschen Waffenstillstand an.

+ Die USA begrüßten die ägyptischen Bemühungen zur Rückkehr der politischen Verhandlungen unter UN-Führung und forderte einen baldigen Waffenstillstand.
In einem Telefongespräch mit dem ägyptischen Präsidenten es-Sisi begrüßte Präsident Trump die Bemühungen Ägyptens um einen Waffenstillstand in Libyen.

+ Russland bezeichnete über seine Botschaft in Kairo die ägyptische Initiative als „wichtig“ und lobte alle Bemühungen, die auf eine Beilegung des Konflikts und die Wiederherstellung des Friedens in Libyen abzielten.

+ Auch China ruft zu Waffenstillstand und Wiederaufnahme der Friedensgespräche in Libyen auf.

+ Am 08.06. telefonierte der ägyptische Präsident Abdel Fatah es-Sisi mit Russlands Präsidenten Putin. Beide waren sich in dem Ziel einig, dass die libyschen Kriegsparteien baldmöglichst wieder Verhandlungen aufnehmen sollten.
Putin zog nach Angaben des Pressedienstes des Kremls eine positive Bilanz der diplomatischen Bemühungen Kairos um eine Lösung in Libyen. Es solle in Libyen „ein echter Waffenstillstand erreicht werden und die Verhandlungen unter UN-Schirmherrschaft so bald wie möglich wieder aufgenommen werden“. Gesprochen wurde auch über die Stärkung der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Ägypten, einschließlich der gemeinsamen Arbeit im Bereich der Kernenergie.

+ Das griechische Außenminister meldete sich folgendermaßen zu Wort: „Wir begrüßen die neue ägyptische Initiative zur Lösung des libyschen Gordischen Knotens“. Sie unterstreiche die Grundprinzipien der internationalen Gemeinschaft, wie sie in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der Abschlusserklärung in Berlin festgelegt sind, nämlich die Achtung der Einheit, Integrität und Unabhängigkeit Libyens“.

+ Auch Großbritannien äußerte sich positiv. Ägypten habe die libyschen Führer im Osten ermutigt, eine Waffenruhe zu unterstützen.

+ Das italienische Außenministerium ließ verlauten, es unterstütze jede Initiative, die sich im Rahmen der Berlin-Konferenz bewege und rief dazu auf, die 5+5-Verhandlungen wieder aufzunehmen.
https://almarsad.co/en/2020/06/07/turkey-opposes-the-international-community-and-rejects-the-cairo-declaration/

+ Die National Movement for Libya (NML) schließt sich der arabischen und internationalen Gemeinschaft an und bekundet ihre Unterstützung für die Erklärung von Kairo.
https://almarsad.co/en/2020/06/09/the-national-movement-for-libya-announces-support-for-cairo-declaration-to-resolve-political-conflict/

+ Auch die Bewegung Sons of Libya (SLG), die sich aus Intellektuellen, politischen Aktivisten, Diplomaten, Medien- und anderen Fachleuten zusammensetzt, erklärte ihre Unterstützung der Erklärung von Kairo.

Coronakrise

+ 08.06.: Das libysche Nationale Zentrum für Seuchenkontrolle (NCDC) meldete 17 neue Covid-19-Fälle. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der bestätigten Fälle im Land auf 256.
Insgesamt sind 182 Fälle unter medizinischer Beobachtung, 52 Personen sind gesundet und fünf gestorben.

+ Sebha (Fessan) wirft dem Nationalen Zentrums für Seuchenbekämpfung in Tripolis Rassismus vor. Es melde nur die Fälle in Sebha mit der Ortsangabe, die Fälle im Norden aber nicht.

Verschiedenes

+ Im Fessan kommt es täglich zu mehr als zehn Stunden andauernden Stromausfällen.

+ Bei einem Telefongespräch zwischen Erdogan und Putin tauschten beide ihre Besorgnis über die anhaltenden schweren Kämpfe in Libyen aus.

+ Die US-Botschaft teilte mit, dass US-Botschafter Norland und der Vorsitzende der Hohen Nationalen Wahlkommission (HNEC) in Libyen, as-Sayeh, übereinstimmten, dass die HNEC bereit sein und die gebührende Unterstützung erhalten solle, friedliche und faire Wahlen abzuhalten. Die Wahrscheinlich, einen Waffenstillstand zu erreichen, habe sich erhöht. Alle Libyer könnten sich für die Stimmabgabe registrieren lassen, um sich an der Wahl der für die zukünftige libysche Führung zu beteiligen.
https://almarsad.co/en/2020/06/10/al-sayeh-and-norland-agree-the-hnec-is-to-prepare-for-post-ceasefire-elections/

+ Das algerische Außenministerium forderte regionale und internationale Akteure auf, ihre Bemühungen um eine dauerhafte politische Lösung in Libyen zu koordinieren.
https://libyareview.com/?p=3568
(Algerien gilt als Durchgangsstation für Dschihadisten auf den Weg nach Libyen. Es heißt, Algerien habe der Türkei seine Flughäfen geöffnet, um Söldner über die Grenze nach Libyen zu schleusen.)

+ Am 07.06. drückte der deutsche Botschafter in Libyen, Oliver Owcza, seine Bestürzung über Menschenrechtsverletzungen in Tarhuna durch Milizen der ‚Einheitsregierung’ aus. Owcza forderte eine Erklärung über Berichte von standrechtlichen Erschießungen und forderte eine unabhängige Untersuchung. Er äußerte sich auch besorgt über Racheaktionen und Plünderungen in der Stadt.
Auch die UN-Sondermission für Libyen forderte die ‚Einheitsregierung‘ auf, rasch und unparteiisch die Plünderungen und Brandschatzungen von öffentlichem und privatem Eigentum in den Städten Tarhuna und al-Asabaa zu untersuchen. Es habe sich dabei offenbar um „Akte der Vergeltung und Rache gehandelt, die das soziale Gefüge Libyens weiter ausfransen lassen könnten“.
Zu Vergeltungsakten der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ kam es nach deren Einmarsch in Tarhuna, Qasr bin Ghaschir, al-Urban und anderen Städten Berichten zufolge blieb die Sicherheitslage in Tarhuna zwei Tage, nachdem die GNA-Streitkräfte die Kontrolle übernommen hatten, weiterhin instabil.
https://libyareview.com/?p=3553

+ Die EU fordert die ernsthafte Neuaufnahme der 5+5-Gespräche unter der Schirmherrschaft der UNO, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Der Sprecher der EU-Kommission, Peter Stano, erklärte, dass jede Initiative, die im Einklang mit der Berliner Konferenz stehe und auf Frieden in Libyen abziele, einen konstruktiven Schritt darstelle. Stano betonte, dass es keine Alternative zu einer umfassenden politischen Lösung gebe, die mit nicht mit den Ergebnissen der Berliner Konferenz in Einklang stehe.
https://libyareview.com/?p=3562

+ Der EU-Außenbeauftrage sagte, dass Seeabkommen zwischen der Türkei und Libyen verletze die Souveränität von Zypern und Griechenland und stelle eine Eskalation der Spannungen in der Region dar.

+ Am 09.06. haben der russische Präsident Putin und Bundeskanzlerin Merkel in einem Telefongespräch über die jüngsten Entwicklungen in Libyen gesprochen. Beide sagten, dass der einzige Ausweg aus der gegenwärtigen Krise die Ankündigung eines sofortigen Waffenstillstands und die Aufnahme von Verhandlungen unter UN-Schirmherrschaft sei. Putin lobte die ägyptischen Vermittlungsbemühungen und fügte hinzu, dass die neue Friedensinitiative im Einklang mit den Ergebnissen der Berliner Konferenz stehe.

+ Wie Bloomberg berichtet, unterzeichneten Griechenland und Italien am 09.06. ein Abkommen, das die Seegrenze im Ionischen Meer zwischen den ausschließlichen Wirtschaftszonen der beiden EU-Mitglieder festlegt. Das Abkommen ebnet Griechenland und Italien den Weg für die Erteilung von Lizenzen für die Exploration und Ausbeutung von Kohlenwasserstoffressourcen.
Das libysches Parlament spricht sich für dieses Grenzabkommen aus.

+ 11.06.: Griechenland und die VAE besprechen telefonisch die Lage in Libyen.

+ 10.06.: Einige EU-Abgeordnete, darunter der Österreicher Harald Philimsky, fordern eine Kürzung der Finanzhilfen für die Türkei, da diese die EU in Fragen der illegalen Migration erpresse.

+ Ein Bericht auf RT schildert eindringlich, wie der Nato-Krieg 2011 und der Fall der Dschamahirija-Regierung zu der heutigen desolaten Lage in Mali führten: “Die Sahelzone brennt – der Westen agiert als Brandbeschleuniger“.
„Der Konflikt hat sich von Tripolis nach Timbuktu verlagert, also von Libyen nach Mali, ohne dass in Libyen selbst Stabilität oder gar Demokratie eingekehrt wären. Vor den Toren Europas tobt ein Stellvertreter-Krieg, der eine letzte Warnung Gaddafis mit von geradezu beklemmender Aktualität aufleben lässt.“
„Der aktuelle Konflikt in Mali begann im Januar 2012 und hängt unmittelbar mit dem von der NATO inszenierten Sturz und der Ermordung von Muammar al Gaddafi in Libyen zusammen. Diese Zusammenhänge werden gerne in den diversen Statements durch die Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und andere Politiker verschleiert, weil sie das kolossale Scheitern eines strategischen Entwurfs des Westens bloßstellen – mit seinen unabsehbaren Folgen.
Zu jener Zeit nämlich begann in Mali der bis heute aktuelle Konflikt, als Stammesangehörige der Tuareg, die zuvor in den Diensten Gaddafis standen, nun als Söldner über die Grenzen zurück in die Nachbarländer Libyens strömten. Sie setzten dort den Kampf gegen die Zentralregierung Malis fort, um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu erlangen. Unterstützt wurden sie von islamistischen Gruppen, die wahlweise auch in Algerien operieren. Aus Libyen brachten die Kämpfer hochwertiges Waffenmaterial mit, welches aus den Rüstungsschmieden des Westens stammt und mit dem sich das Gaddafi-Regime zuvor reichlich versorgen konnte.“
Diese geopolitische Umwälzung habe inzwischen die Sahelzone mit den Staaten Niger, Mali, Tschad und Burkina Faso, in Brand gesetzt.
https://deutsch.rt.com/meinung/103262-sahelzone-brennt-westen-agiert-als-brandbeschleuniger/

+ Ein Flugzeug, das die Milizen vor einigen Tagen in Tarhuna erbeuteten, blieb beim Transport in Tripolis in einer Unterführung stecken. Sehenswert!
https://twitter.com/ab_frw/status/1270799262562082823/photo/2

1 Kommentar

  1. gelanews

    Am 11. Juni wurde von einem Massengrab mit 12 Leichen berichtet, dass in Tarhuna nach dem Abzug der LNA-Truppen gefunden worden sein soll. Obwohl diese Berichte mehr der Propaganda als der Wahrheit geschuldet sein dürften, könnte es möglich sein, dass dort infolge der zuvor dort stattgefundenen Kämpfe und Bombardierungen und der anschließenden überstürzten Räumung der Stadt zu Bestattungen in einem Massengrab gekommen ist.
    „Tatsache jedoch ist, dass von den einrückenden Milizen der ‚Einheitsregierung‘ schwere Verbrechen und Plünderungen begangen wurden:Am 07.06. drückte der deutsche Botschafter in Libyen, Oliver Owcza, seine Bestürzung über Menschenrechtsverletzungen in Tarhuna durch Milizen der ‚Einheitsregierung’ aus. Owcza forderte eine Erklärung über Berichte von standrechtlichen Erschießungen und forderte eine unabhängige Untersuchung. Er äußerte sich auch besorgt über Racheaktionen und Plünderungen in der Stadt.
    Auch die UN-Sondermission für Libyen forderte die ‚Einheitsregierung‘ auf, rasch und unparteiisch die Plünderungen und Brandschatzungen von öffentlichem und privatem Eigentum in den Städten Tarhuna und al-Asabaa zu untersuchen. Es habe sich dabei offenbar um „Akte der Vergeltung und Rache gehandelt, die das soziale Gefüge Libyens weiter ausfransen lassen könnten“.
    Zu Vergeltungsakten der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ kam es nach deren Einmarsch in Tarhuna, Qasr bin Ghaschir, al-Urban und anderen Städten Berichten zufolge blieb die Sicherheitslage in Tarhuna zwei Tage, nachdem die GNA-Streitkräfte die Kontrolle übernommen hatten, weiterhin instabil.“
    https://libyareview.com/?p=3553

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