Der Westen bemüht sich, die Kampfzone gegen Russland und China auszuweiten. Das wirtschaftlich und politisch am Boden liegende und von zwei Regierungen gespaltene Libyen bietet sich dafür an.

 Auch diesmal werden wie in der Ukraine keine UNO-Soldaten in den Kampf geschickt, sondern es sollen Libyer für die „gute Sache“ des Westens sterben. Die libysche Frontlinie könnte dabei entlang der Nord-Süd-Achse Libyens, von Sirte bis Ghat, verlaufen.

Alle Zeichen stehen auf Krieg

Die Hinweise auf eine bevorstehende militärische Auseinandersetzung verdichten sich. So fand ein Treffen zwischen dem ‚Premierminister‘ der Tripolis-‚Regierung‘, Abdulhamid Dabaiba und dem vom Parlament eingesetzten und bisher mit Dabaiba rivalisierenden ‚Premierminister‘ Fathi Baschagha statt. In Tripolis kamen diese Tage die höchsten Militärkommandanten der östlichen Militärs (Libysche Nationalarmee/LNA) und der westlichen Militärs zusammen. Man will sich in der kommenden Woche in Bengasi noch einmal treffen, um einen Zusammenschluss zu erreichen. Auf einen Fingerzeig der USA wurden urplötzlich alle Feindseligkeiten zwischen der LNA und der islamischen Bewegung vom Tisch gewischt, wobei die LNA noch 2019 mit einem Marsch auf Tripolis ebendiese Streitkräfte der Moslembruderschaft militärisch aufs Äußerste bekämpfte. Wie Fotos bezeugen, umarmten sich die bisherigen Feinde plötzlich auf das Herzlichste.

Es ist nicht mehr zu übersehen, nach welcher Pfeife sowohl Khalifa Haftar mit seiner LNA als auch Dabaiba mit seinen Milizen und nicht zuletzt auch Baschagha tanzen: Es ist die Pfeife der USA und der Nato. Während alle ständig von Wahlen faseln, die tatsächlich der einzig gangbare Weg in eine friedliche Zukunft Libyens wären, die aber kaum eine Chance haben, in absehbarer Zeit stattzufinden, zelebrieren die libyschen Feinde ihre Versöhnung, um anschließend gemeinsam gegen die Wagner-Gruppe im Osten und Süden des Landes vorgehen zu können. Die Situation erscheint günstig, da die Wagner-Gruppe nach dem „Fleischwolf“ von Artjomowsk/Bachmut zwar siegreich, aber erheblich geschwächt sein dürfte.

Bei allem sei nicht vergessen: Haftar hat die Wagner-Gruppe ins Land geholt, die seitdem in erster Linie die Erdgas- und Erdölanlagen schützt, aber auch militärisch an der Seite der LNA gegen Tripolis und seine Milizen kämpfte.

Die Rolle von Khalifa Haftar

Und spätestens hier muss die Frage gestellt werden, welche Rolle der schillernde LNA-Oberbefehlshaber Khalifa Haftar in den Jahren seit 2011 spielt, dieser Haftar, der 2011 aus den USA herbeigeeilt kam, um die Dschamahirija-Regierung gemeinsam mit von den USA und ihren Verbündeten unterstützten Moslembrüder und extremistischen Islamisten zu stürzen, um anschließend die bisherigen islamistischen Waffenbrüder verbissen zu bekämpfen. Auffallend dabei, wie Haftar mit zunächst äußerst siegreichen Streitkräften sowohl 2014 als auch 2019 kurz vor dem Sieg gegen die Moslembrüder in die Defensive geriet und den Rückzug nach Osten antrat. Geschah dies vielleicht nicht aus militärisch-strategischem Unvermögen, sondern wohl kalkuliert, um das Gleichgewicht des Schreckens in Libyen aufrechtzuerhalten – immer mit dem Fernziel der USA, eine endgültige Spaltung Libyens in zwei oder noch besser in drei Teile in greifbare Nähe zu rücken?

Bei allen Diskussionen über die Anwesenheit der russischen Wagner-Gruppe im Osten und Süden Libyens bleibt doch die Frage offen: Wer stellt sich gegen die Türkei und vertreibt die türkischen Nato-Krieger, die sich auf Militärstützpunkten als Besatzungsmacht im westlichen Libyen festgesetzt haben? Das Nato-Mitglied Türkei in Libyen – das scheint kein Thema zu sein.

Libyen – wichtiger Baustein der us-amerikanischen Geostrategie

Die USA versuchen sich mit Hilfe ihrer Verbündeten, allen voran Großbritannien und Frankreich, mit aller Macht in Libyen festzukrallen. So haben die Zallaf Libya Oil and Gas Exploration and Production Company und die US-amerikanische Honeywell-UOP erste Verträge für den Bau der Ölraffinerie Süd unterzeichnet. Es geht um die Kontrolle der libyschen Ressourcen, die nicht nur aus Erdöl, Erdgas und Wasser bestehen, sondern gerade im südlichen Libyen auch aus ergiebigen Vorkommen an Gold und anderen wertvollen Rohstoffen. Am südlichen Ende Libyens geht die Sahara in den an Uran reichen Niger über, wo vor allem Frankreich seine kolonialen Interessen behaupten will.

Bringt der Westen Libyen und insbesondere auch seinen Süden unter Kontrolle, kontrolliert er nicht nur den Zugang zu den libyschen und nigrischen Ressourcen, sondern schneidet seinen Konkurrenten China und Russland, die in Sahelländern wie Mali und Burkina Faso zunehmend aktiv sind, einen der kurzen Wege durch die Sahara zum Mittelmeer ab. Der Westen sichert sich den exklusiven Zugang zu Rohstoffen und kann somit auch deren Preise diktieren. Den betroffenen afrikanischen Staaten bliebe nur wenig Spielraum. Für den libyschen Süden könnte dies die Vertreibung seiner angestammten Bevölkerungsgruppen bedeuten.

Afrika – der umkämpfte und umworbene Kontinent

Die neuen Blöcke buhlen um die afrikanischen Staaten, wobei Russland und China gegenüber dem Westen immer mehr Land gutmachen konnten. Nachdem das Interesse westlicher Länder in Afrika sich bis in die jüngste Zeit auf das Kleinhalten der Staaten und die Ausbeutung der Ressourcen beschränkte, entwickelten sowohl Russland als auch China überzeugende diplomatische Charmeoffensiven, die Russland allein in den letzten beiden Jahren den Einfluss auf fünf afrikanische Länder sicherten. Russland lockt mit Getreide- und Düngergeschenken und auch China lässt sich nicht lumpen. Westliche Regierungen haben deutlichen Nachholbedarf und geben sich seit Neuestem in Afrika die Klinke in die Hand. Zuletzt reiste die stellvertretende US-Präsidentin Kamala Harris nach Ghana, Tansania und Sambia, ebenfalls mit attraktiven Angeboten für afrikanischen Staaten im Gepäck. Eigentlich darf sich der aufstrebende Kontinent freuen, denn es sind auch Indien, Katar, Saudi-Arabien und die Türkei bemüht, ihre Beziehungen zu Afrika auszubauen. Das Erstarken des neuen russisch-chinesischen Blocks und die Entwicklung hin zu einer multipolaren Welt trägt in Afrika erste Früchte.

Der Scheideweg – wird Libyen zur neuen Ukraine?

Während Afrika vom Kampf um eine multipolare Welt profitieren könnte, wurde Libyen seit der Ermordung von Muammar al-Gaddafi und dem Sturz der Dschamahirija-Regierung vom Player zum bloßen Feld auf dem Schachbrett des Spiels der Nationen und Kulturen degradiert.

Je mehr sich die militärische und wirtschaftliche Situation für den Westen im Ukraine-Krieg verschlechtert, um so mehr wird an anderen Stellen gezündelt. Egal, ob es sich um Nachbarstaaten der Ukraine wie Georgien oder Moldawien handelt, oder um Gebiete weit weg wie Taiwan im Indischen Ozean, oder eben auch afrikanische Länder, der Ukraine-Krieg weitet sich zu einem Weltenbrand aus.

Libyen ist in der gefährlichen Situation, neben der Ukraine der Austragungsort für einen erweiterten Stellvertreterkrieg zwischen Nato und Russland zu werden. Auch hier wird der Westen nicht selbst in die Schlacht ziehen, sondern kämpfen lassen, wenn es sein muss, diesmal bis zum letzten Libyer. Was dann von Libyen und seinen Menschen übrigbleibt, ist auf den Schlachtfeldern der Ukraine zu besichtigen.

Die großen Kriegstrommeln werden geschlagen. Libyen steht am Scheideweg.