Nachdem die Milizenkämpfe in Tripolis eskalierten, ist eine brüchige Waffenruhe in Kraft. Auch nach den Schüssen auf Demonstranten halten Proteste gegen die Dabaiba-‚Regierung‘ an. Das Ausland zeigt sich besorgt.
Nach der Ermordung von Ghaniwa al-Kikli in Tripolis und der Übernahme des Hauptquartiers seiner Miliz Stability Support Aparatus SSA durch mit dem Premierminister Abdulhamid Dabaiba verbündete Milizen am 12. Mai, ließ die Dabaiba-Regierung zunächst vermelden, sie habe die Kontrolle über den umkämpften Stadtteil Abu Salim vollständig wiederhergestellt.
Davon, dass dies bei weiten nicht den Tatsachen entsprach, zeugten heftige Gefechte der rivalisierenden Milizen in den Straßen von Tripolis, die auch am nächsten Tag noch anhielten. Von einer Sicherung des riesigen Abu-Salim-Gebiets mit ihren Ministerien, Unternehmenszentralen und wichtigen Institutionen konnte keine Rede sei.
Trotzdem bereiteten sich Dabaibas Streitkräfte darauf vor, die mächtige Special Deterrnce Force (SDF), ehemals Rada-Miliz, deren Hauptstützpunkt die Mitiga-Militärbasis ist, anzugreifen. Auf dem Mitiga-Gelände befindet sich auch ein großes Gefängnis, in dem viele al-Kaida- und IS-Kämpfer gefangen gehalten werden. Die SDF, in der viele Mitglieder einstmals der alten Gaddafi-Armee angehörten, steht unter dem Kommando von Abderauf Kara. Eine zweite mächtige Armee, die Dabaibas Milizen ausschalten möchte, ist die Miliz vom Suk al-Dschumaa. Es misslang gründlich.
Milizen der Dabaiba-‚Regierung‘ erleiden Rückschlag
Schon bald wurde gemeldet, dass die Suk-al-Dschumaa-Miliz die vom Tripolis-Premier Abdulhamid Dabaiba in Gang gesetzten Milizen zurückschlagen konnte. Dabaibas dortige Besitztümer, inklusive sein Wohnhaus, sollen Bränden zum Opfer gefallen sein. Es hieß sogar, Dabaiba sei aus Tripolis geflohen.
In der libyschen Hauptstadt formierten sich am 14. Mai massive Proteste gegen das Vorgehen der Dabaiba-Milizen. Insbesondere im Suk al-Dschumaa protestierten Einwohner gegen eine Vorbereitung der 444. Kampfbrigade unter dem Kommando von Machmud Hamza für den Angriff auf die Special Deterrence Force von Abdulrauf Kara auf dem Mitiga-Militärstützpunkt.
Auch nach schweren Kämpfen gelang es der 444. Kampfbrigade nicht, Karas Special Deterrence Force zu bezwingen. Obwohl am Vormittag des 14. Mai von Dabaiba ein Waffenstillstand verkündet worden war, verweigerte Machmud Hamza Verhandlungen mit Abdulrauf Kara aufzunehmen. Aus etlichen Stadtteilen wurde gemeldet, dass weiter gekämpft wird.
Eine Schule gab den Tod ihres ehemaligen Direktors Suad as-Suwaih infolge der Kampfhandlungen bekannt. In Geschäften und Häusern verschiedener Stadtviertel brachen durch Granaten verursachte Brände aus. Insbesondere das Video des in Brand gesetzten That al-Emad Towers verschreckte die Bewohner von Tripolis. Der libysche Rote Halbmond forderte, sichere Passagen für die Zivilbevölkerung zu schaffen, damit diese aus den Kampfgebieten evakuiert werden können.
Die UN-Mission verurteilte die Gewalteskalation und die Mobilisierung von Streitkräften auch in anderen Landesteilen. Der Präsidialrat forderte in seiner Funktion als Oberbefehlshaber der Streitkräfte im westlichen Libyen eine sofortige und bedingungslose Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen und einen vollständigen Verzicht auf den Einsatz von Waffen in zivilen Gebieten.
Dabaiba-‚Regierung‘ und Präsidialrat für Gewaltausbruch verantwortlich
Nach dem Abflauen der schlimmsten Kämpfe, die Libyen seit langem erleben musste, mehren sich die Stimmen, die den Rücktritt der Dabaiba-‚Regierung‘ fordern. So verlangte die Stadt az-Zawiya ein Ende der Kämpfe und die Bildung einer neuen Regierung, die das Land in Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt.
Einwohner von Dschanzur verurteilten die Kämpfe, denen die Bevölkerung von Tripolis durch Militärkräfte ausgesetzt war. Dabaiba und der Präsidialrat als Oberbefehlshaber seien hierfür verantwortlich.
Das Staatsratsmitglied Khaled al-Mischri hielt die blutigen Kämpfe für das „Ergebnis einer absurden Entscheidung der Tripolis-Regierung“, die die katastrophalen Folgen, die sie auf die Sicherheit der Bewohner sowie auf öffentliches und privates Eigentum hatte, nicht berücksichtigte. Laut dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh habe die Dabaiba-‚Regierung‘ das Land in brudermörderische Konflikte gestürzt. Verantwortlich seien hierfür auch die internationale Gemeinschaft und die UN-Mission, die keinerlei Druck auf die Dabaiba-‚Regierung‘ ausgeübt hätten.
Am Nachmittag des 14. Mai fielen rund um den internationalen Flughafen von Tripolis immer noch Schüsse. Der Gesundheitsdirektor der Stadt, Mohammed Abdel Wahab, gab bekannt, dass die Kämpfe bisher sechs Todesopfer gefordert hatten, darunter fünf Militärangehörige. Verletzt wurden etwa 70 Menschen. Durch Granateneinschläge wurden die Intensivstation des al-Dschalaa-Kinderkrankenhauses, der Unterhaltungskomplex Downtown und der Touristenkomplex Costa in der Nähe der Insel al-Ghiran beschädigt.
Der Stadtrat von Tripolis machte die Dabaiba-‚Regierung‘ und den Präsidialrat für die Sicherheit der Bürger und für ihr Eigentum verantwortlich
Auch der Journalisten Khalil al-Hassi hält Abdulhamid Dabaiba für die Kampfhandlungen verantwortlich, zusammen mit seinem Bruder Ibrahim Dabaiba und dem Vorsitzenden des Präsidialrats, Walid al-Lafi. Dabaiba habe sicherstellen wollen, bei neuen politischen Weichenstellungen nicht übergangen zu werden.
Der Präsidialrat sah sich dazu gezwungen, bis auf Weiteres alle Beschlüsse der Dabaiba-‚Regierung‘ zur Neustrukturierung der Sicherheitsinstitutionen einzufrieren. Alle militärischen Einheiten wurden aufgefordert, unverzüglich und bedingungslos in ihre Hauptquartiere zurückzukehren.
Unruhen greifen um sich – Schüsse auf Demonstranten
Gegen Abend des 14. Mai trieb es immer mehr Einwohner der Stadt, insbesondere im Bezirk Suk al-Dschumaa, auf die Straße, um für ein Ende der Dabaiba-‚Regierung‘ zu demonstrieren. Auf Transparenten forderten sie die Einstellung der Kampfhandlungen, das Ende der Clanherrschaft und von Bereicherung auf Kosten der Bürger. Einwohner von Faschlum solidarisierten sich. Es wurde zu friedlichem, zivilem Ungehorsam aufgerufen. Auch vor dem Sitz der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tariq as-Sikka marschierten Demonstranten auf.
Eine immer mehr anschwellende Menschenmenge bewegte sich im Laufe der Nacht in Richtung Märtyrerplatz im Zentrum von Tripolis. Als die Protestierer dort den Sturz der Dabaiba-‚Regierung‘ forderten, eröffnete die Miliz al-Faraula, die dem Sicherheitsdienst von Abdullah at-Trabelsi angeschlossen ist, das Feuer. Trotz der Schüsse und den Versuchen, sie vom Platz zu vertreiben, strömten die Demonstranten immer zahlreicher in Richtung Märtyrerplatz. Skandiert wurde: „Unsere Friedfertigkeit ist stärker als eure Kugeln!“
In Tadschura solidarisierten sich Demonstranten mit der Deterrence Forse von Abdelrauf Kara und den Protestierenden von Suk al-Dschumaa. Straßen, einschließlich der Küstenstraße, wurden blockiert.
Für Tripolis war es eine lange Nacht des Aufruhrs. Demonstranten, die den Sturz der Dabaiba-Regierung forderten, bewegten sich auch in Richtung des Wohnhauses von Ibrahim Dabaiba im Viertel al-Andalus. Auf jugendliche Demonstranten, die vor dem Sitz des Präsidialrats den Rücktritt der Dabaiba-‚Regierung‘ forderten, wurde geschossen.
In Abu Salim gelang es Demonstranten sogar, das ehemalige Hauptquartier von al-Kiklis SSA-Miliz zu stürmen, das von der 444. Kampfbrigade unter dem Kommando von Machmud Hamza eingenommen worden war, und mehrere gepanzerte Fahrzeuge in Brand zu setzen.
Die Nationale Institution für Menschenrechte in Libyen sieht die Verantwortung für die Verbrechen und schweren Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte sowie für das Versagen beim Schutz der Zivilbevölkerung und der Gewährleistung ihrer Sicherheit und ihres Lebens bei der Dabaiba-‚Regierung‘ und deren Innenminister Imad at-Trabelsi.
Das Innenministerium rief seinerseits am Morgen des 15. Mai alle Bürger dazu auf, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren und zur Wiederherstellung des Alltags beizutragen.
Die Demonstrationen auf dem Märtyrerplatz in Tripolis hielten auch am 16. Mai noch an. Ebenso wurde auf Kundgebungen in Suk al-Dschumaa und Ain Zar weiterhin der Sturz der Dabaiba-‚Regierung‘ gefordert, unterstützt von Einwohnern aus az-Zawiya.
Die Geister, die Dabaiba rief…
Das Ausland ist besorgt
Die Nato intensivierte ihre Flüge zur Überwachung der libyschen Küste und des libyschen Luftraums angesichts der anhaltenden Spannungen und diplomatische Vertretungen in Tripolis sorgen sich um die Sicherheit ihrer Staatsbürger. Die Türkei erwägt gar, einen Turkish Airlines Flug von Misrata nach Istanbul zu organisieren, um ihre Staatsangehörigen zu evakuieren. Und Italien zählte etwa neunzig Staatsangehörige, die in Tripolis festsitzen.
UN-Generalsekretär Guterres ließ verlauten, dass er die schnelle Eskalation, die auch die Beteiligung von Milizen von außerhalb der Stadt und den Einsatz schweren Artilleriefeuers in dicht besiedelten Vierteln einschloss, für äußerst besorgniserregend hält. Es seien mindestens acht Zivilisten zu Tode gekommen. Guterres forderte zu einem ernsthaften und ehrlichen Dialog auf, um die Ursachen des Konflikts zu beseitigen.
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