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Schlagwort: Afrika (Seite 1 von 12)

Kurznachrichten Libyen – 1. bis 10. September 2024

Gedenken an Derna-Katastrophe vor einem Jahr / Infrastruktur weiterhin vernachlässigt / Wiederaufbau durch Korruption gefährdet / Weiterhin starke Regenfälle und Überschwemmungen / Feiern zum Jahrestag der al-Fatah-Revolution von 1969 / Konflikte um Staatsratsvorsitz und Chefsessel der Zentralbank nicht geklärt – Verfall des LYD und Preissteigerungen / Ölfelder und -anlagen weiterhin geschlossen / Schleuserkönig Abdul Milad (alias al-Bidscha) erschossen / Milizenführer Mohamed Bahrun (alias al-Far) verhaftet / As-Sisi und Erdogan einig in Sachen Libyen / Landesweit Proteste wegen Stromausfällen und schlechter Infrastruktur / Jahrestag der Gründung der Afrikanischen Union 1999 durch Oberst Muammar al-Gaddafi

Ein Jahr nach der Sturmflutkatastrophe von Derna (10. September 2023)

+ Auf LibyaReview heißt es: „2023 erlebte Libyen eine der verheerendsten Katastrophen seiner Geschichte, als der Sturm Daniel das Land verwüstete und den Tod Tausender Menschen und die Zerstörung ganzer Städte verursachte. […] Die Gründe für diese immense Verwüstung liegen in einer toxischen Kombination aus Korruption, schwacher Infrastruktur und dem Versäumnis der Regierung, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.“ Die Korruption spielte eine zentrale Rolle bei Libyens Verwundbarkeit. „Massive Summen öffentlicher Gelder, die für Infrastruktur und den Hochwasserschutz bestimmt waren, wurden durch betrügerische Verträge unterschlagen oder für illegale Finanzaktivitäten abgezweigt. Dies hatte zur Folge, dass wichtige Projekte aufgegeben oder unzureichend gebaut wurden, so dass das Land Naturkatastrophen schutzlos ausgeliefert war. […] Auch die Notfallsysteme der Regierung funktionierten nicht richtig. Die Behörden verzögerten Evakuierungsmaßnahmen und versäumten es, Frühwarnsysteme zu aktivieren. Diese langsame Reaktion führte zu einem dramatischen Anstieg der Zahl der Todesopfer. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen kamen mehr als 11.000 Menschen ums Leben, viele werden noch vermisst. […] Der Zusammenbruch der Derna-Dämme war ein besonders krasses Beispiel für Libyens Infrastrukturprobleme. Diese Dämme waren Jahrzehnte zuvor gebaut worden, um die Stadt vor Sturzfluten zu schützen. Trotz wiederholter Warnungen und der Bereitstellung von Mitteln für ihre Instandhaltung waren sie jedoch weder repariert noch auf den neuesten Stand gebracht worden.
„Das Ausmaß der Zerstörung betraf nicht nur Häuser und Unternehmen, sondern auch wichtige Infrastruktur, so dass Libyen nun mit den langfristigen Folgen des Sturms zu kämpfen hat. […] Tausende von Libyern sind immer noch wohnsitzlos und viele Gebiete liegen in Trümmern.
https://libyareview.com/48141/one-year-on-from-libyas-catastrophe-how-corruption-neglect-made-storm-daniel-deadlier/
https://libyareview.com/48145/a-year-after-storm-danielhow-derna-is-coping-with-its-worst-natural-disaster/

+ Auch HumanRightsWatch sieht ein Jahr nach der Katastrophe keine angemessene Entschädigung und Unterstützung für den Wiederaufbau.
https://x.com/libyapress_2010/status/1833432320591765829

+ An der Wiederaufbaukonferenz im südlibyschen Sebha nahmen teil der Kommandant der ostlibyschen Armee, der Stabschef Abdel-Rasek an-Nathuri, Parlamentspräsident Agila Saleh, der vom Parlament ernannt Premierminister Osama Hamad und als Vorstand des Wiederaufbaufonds und Haftar Sohn, Belgasim Haftar.
https://libyareview.com/48016/haftar-vows-to-bring-development-stability-to-southern-libya/

+ Diese Konferenz kommentierte Scheich Ali Abu Sabiha, Vorsitzender des Obersten Rates der Stämme und Städte von Fessan, mit den Worten: „Was wir heute bei der Konferenz in der Volkshalle von Sebha gesehen haben, deutet darauf hin, dass wir in die vorletzte Phase der Teilung Libyens eingetreten sind.“
https://x.com/libyapress_2010/status/1831820401888145475

+ Kritik kommt auch aus der von der letztjährigen Überschwemmungskatastrophe betroffenen Stadt Derna. Ein Mitglied des Krisenausschusses, Hamad asch-Schalawi sagte, dass von den 15 Milliarden LYD, die im Budget veranschlagt wurden, noch kein Geld ausgegeben wurde. Trotz Konferenz zum Wiederaufbau gehe nichts voran.
https://x.com/libyapress_2010/status/1832792490664989175

+ Die Deutsche Welle äußerte einen Korruptionsverdacht über die Geldvergabe für den Wideraufbau von Derna, denn es gebe keinen Überwachungsmechanismus für die Ausgaben des Aufbaufonds, der über zwei Milliarden USD schwer ist. Der Wiederaufbau gerate zu einer Goldmine für Khalifa Haftars Lager und zu einem Mittel, seinen Einfluss im Land auszuweiten.
https://x.com/libyapress_2010/status/1833096326898192800

+ Der furchtbaren Katastrophe von Derna und allen Warnungen zum Trotz sind weiterhin laut dem Libyschen Nationalen Meteorologischen Zentrums die Dämme und Wadis in einem anfälligen Zustand. Es könnte erneut zu Katastrophen kommen, wenn nicht sofort Reparaturen vorgenommen werden. Die gesamte Infrastruktur sei aufgrund jahrelanger Vernachlässigung ernsthaft gefährdet. Auch die Ausstattung des Meteorologischen Zentrums lasse zu wünschen übrig; die Wetterüberwachungssysteme müssten gewartet und modernisiert werden.
https://libyareview.com/48185/libya-faces-growing-risk-of-catastrophic-floods-due-to-neglected-infrastructure/

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Der Offizier der Küstenwache und Schleuserkönig al-Bidscha wurde in Libyen erschossen

Abdul Rachman Milad, besser bekannt als al-Bidscha (Bidja), wurde am 2. September erschossen. Sein Wagen wurde vor der Marineakademie im westlich von Tripolis gelegenen Dschanzur mit Kugeln durchsiebt. Mord als Mittel der Politik.
Auch die sogenannte „Februar-Revolution“ des Jahres 2011 frisst ihre Kinder.

Krimineller Schmuggler und Marineoffizier in Personalunion – Libyen macht’s möglich

Für jeden, der sich schon länger mit Libyen beschäftigt, ist Abdul Rachman Milad ein alter Bekannter. Von az-Zawiya aus hatte Bidscha sein Schmuggelimperium ausgebaut, zuletzt als Offizier der libyschen Küstenwache. In dem Bericht der UN-Expertenkommission vom 29.09.2023 wird al-Bidscha für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Er habe Migranten auf See, auch unter Gefährdung ihres Lebens, festgenommen und in libysche Haftanstalten gebracht. In diesen Haftanstalten wurden nachweislich Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und Folterungen begangen. Al-Bidscha und seine Kollegen von der libyschen Küstenwache koordinierten ihre Aktionen mit ortsansässigen Schleusern und Schmugglern in den Küstengebieten von Sabrata, az-Zawija und Zuwara.

Schon im Juni 2018 hatte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen Bidscha verhängt, weil „durch seine Beteiligung am Migrantenschmuggel der Frieden, die Sicherheit und die Stabilität in Libyen bedroht“ seien. Im Juli 2018 wurde Milad vom UN-Sicherheitsrat wegen seiner Beteiligung am Untergang von Booten mit Migranten und seiner Zusammenarbeit mit anderen Menschenhändlern gelistet. Im Oktober 2020 wurde Bidscha aufgrund eines Haftbefehls des libyschen Generalstaatsanwalt festgenommen, aber schon am 11. April 2021 wegen angeblicher Verfahrensfehler wieder freigelassen. Er kehrte in seine Heimatstadt Zawiya zurück, wo ihn ein triumphaler Empfang erwartete. Von der Dabaiba-‚Regierung‘ in den Offiziersrang erhoben, beaufsichtigte er fortan die Kadettenausbildung an der Marineakademie in Dschanzur. So konnte sich Bidscha nicht nur seiner Einnahmen durch kriminelle Tätigkeiten erfreuen, sondern bezog fortan auch militärischen Sold.

Die engen Verbindungen zwischen offiziellen Regierungsstellen in Tripolis und kriminellen Netzwerken waren für jeden offensichtlich. Der EU war alles recht, Hauptsache Migranten wurden an der Überfahrt über das Mittelmeer gehindert.

Al-Bidschas Küstenwache – von der EU und Italien finanziert

Bidscha erfreute sich nicht nur in Libyen, sondern auch in Italien bester Reputation. So konnte er mit falschen Reisedokumenten das gegen ihn verhängte Reiseverbot umgehen und problemlos in Libyen aus- und einreisen, inklusive des von ihm gescheffelten Geldes. Der libysche Hip-Hop-Künstler Ibn Thabit schrieb auf SpikedOnline: „Die kriminell erworbenen Gelder dieser Schmugglerbanden – die sowohl von verzweifelten Migranten als auch aus EU-Programmen zur Migrationsbekämpfung stammen – haben Leuten wie […] Milad einen Platz bei den höchsten Stellen in Libyen und manchmal auch in Europa gesichert, wo sie sich nun auf Augenhöhe mit Regierungsbeamten aller Ebenen befinden.“[i]

Gleichzeitig musste italienischen Journalisten Polizeischutz gewährt werden, nachdem sie wegen der Aufdeckung von Bidschas kriminellen Machenschaften Morddrohungen erhalten hatten.

Trauern um Bidscha

Nun ist al-Bidscha tot und es wird in Tripolis heftig um ihn getrauert. Der neu im Amt befindliche Staatsratsvorsitzende al-Mischri bedauerte Bidschas Tod und rief zur Aufklärung des Mordes auf. Dem wollte sein Gegenspieler im Staatsrat, Muhammad Takala, nicht nachstehen und bezeichnete die Ermordung al-Bidschas als eine feige Tat. Aufklärung forderte auch der Kommandeur des 55. Infanteriebataillons, Muammar ad-Dhawi. Fathi Baschagha, ehemaliger Innenminister einer vorherigen Tripolis-‚Regierung‘, bekundete seine Trauer um al-Bidscha, denn hinsichtlich der politischen Überzeugungen habe man übereingestimmt. Auch al-Lafi, stellvertretender Vorsitzender des Präsidialrats, bedauert den Tod von al-Bidscha, der durch die Hände eines Verräters gestorben sei, der seiner Bestrafung nicht entgehen werde. Moslembrüder unter sich.

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Kurznachrichten Libyen – 21. bis 31. August 2024  

Aufruf zu Revolutionsfeiern am 1. September / Saif al-Islam Gaddafi nimmt Stellung zur Rückgabe von Immobilien / Präsidialrat übernimmt in Abstimmung mit Dabaiba-‚Regierung‘ Libysche Zentralbank (CBL) – Bisheriger CBL-Chef al-Kebir flieht ins Ausland – Als Reaktion erklärt die Hammad-‚Regierung‘ und das Parlament im Osten die Schließung aller Erdölfelder, Verladehäfen und sonstiger Ölanlagen / AFRICOM in Bengasi und Tripolis / Weiter Zoff um Grenzübergang Ras Adschdir / Parlamentspremier Osama Hammad in Mauretanien und im Tschad / Aoun bleibt laut Gericht Erdölminister / al-Mischri als Staatsratsvorsitzender bestätigt / Schwere Unwetter auch im Norden Libyens

Absetzung des CBL-Chefs al-Kebir und Schließung aller Ölfelder und Anlagen

+ Stand 31. August: Dramatische Zuspitzung beim Streit um die Erdöleinnahmen. Die Libysche Zentralbank (CBL) wurde im Handstreich vom Präsidialrat gekapert, der mit der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis unter einer Decke steckt. Der bisherige CBL-Chef, as-Siddiq al-Kebir, verließ fluchtartig das Land. Aus Protest dagegen schloss die Parlaments-‚Regierung‘ im Osten die Erdölfelder und Verladehäfen. Der libysche Erdölexport geht daraufhin um 75 Prozent zurück.
Befürchtet wird, dass die Dabaiba-‚Regierung‘ in Zusammenarbeit mit dem Präsidialrat auch das Parlament und den Staatsrat auflösen und die Spaltung Libyens vorantreiben will.
https://gela-news.de/libyen-die-einen-haben-das-geld-die-anderen-haben-das-oel

+ Die USA ließen am 31. August verlauten, dass „die Unsicherheit, die durch die jüngsten einseitigen Maßnahmen geschaffen wurde, dazu geführt haben, dass us-amerikanische und internationale Banken ihre Beziehungen zur CBL neu bewerten und in einigen Fällen die Finanztransaktionen pausieren lassen, bis es mehr Klarheit über die legitime Regierungsführung der CBL gibt. Wir sind besorgt, dass weitere Störungen mit internationalen Korrespondenzbanken der libyschen Wirtschaft und dem Wohlergehen der libyschen Haushalte schaden könnten.“
Die Dabaiba-‚Regierung‘ fühlte sich durch die US-Erklärung bestätigt. Sie ließ verlauten: „Wir bekräftigen unser Engagement, die Souveränität Libyens und unser anhaltendes Vertrauen in den US-Dollar und die US-Institutionen zu respektieren, insbesondere angesichts der aktuellen Herausforderungen, Spannungen und des Kampfes um Einfluss in Afrika.‎“
https://libyaherald.com/2024/08/u-s-calls-for-steps-to-maintain-the-credibility-of-the-cbl/
https://libyaherald.com/2024/08/tripoli-libyan-government-responds-to-u-s-statement-on-cbl-crisis-sees-statement-as-positive/

+ Parlamentspräsident Agila Saleh lehnte am 31. August weiterhin die Entscheidung des Präsidialrats, einen neuen CBL-Chef zu ernennen und die Verwaltung der Bank umzustrukturieren, entschieden ab. Saleh forderte Gespräche mit dem Staatsrat bezüglich der Umsetzung der vom Wahlvorbereitungsausschusses erarbeiteten Ergebnisse.
https://libyareview.com/47842/libyan-parliament-speaker-upholds-stance-on-libyas-central-bank-crisis/

+ Al-Kebir schlug dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh in einem Brief mehrere Namen für die Mitgliedschaft im Direktorium der Zentralbank vor. Auf der Liste stehen Ahmed Faradsch al-Hassi, Tariq Faradsch al-Warfalli, Wissam as-Saadi al-Kilani, Ali Abdul Rahman Dhawi, Abdul Latif at-Tunisi und Abu Bakr al-Dschaffal.
https://x.com/libyapress_2010/status/1830006700868292762
https://x.com/SaifFuture/status/1830011489509429340

Grenzübergang Ras Adschdir / Zuwara

+ Milizen in Zuwara riefen am 23. August für alle Militärsektoren der Stadt Alarm aus und sperrten die Hauptstraße. Jede Streitmacht, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit, die sich den Verwaltungsgrenzen der Stadt Zuwara nähere, sei ein legitimes Ziel.
[Es geht um die Kontrolle des Grenzübergangs zu Tunesien, Ras Adschdir.]
https://x.com/libyapress_2010/status/1826728335919165853

+ Die Sicherheitspolizei des Grenzübergangs von Ras Adschdir kündigte am 26. August den Stopp des Transitverkehrs in Richtung Tunesien an.
https://x.com/libyapress_2010/status/1828154198644691062

+ Am 27. August erreichten bewaffnete Konvois aus Tripolis, die Salah an-Namrusch, stellvertretender Generalstabschef der westlibyschen Milizen, bereits angekündigt hatte, die Küstenstraße bei Abu Kamasch (Zuwara), die von Einheimischen blockiert worden war. Es kam zu Zusammenstößen.
https://x.com/libyapress_2010/status/1828491676861751800

+ Am 28. August erklärte Salah an-Namrusch, dass die Straße zum Ras-Adschdir-Grenzübergang wieder fei und der Transitverkehr möglich sei.
Daraufhin kündigte der Vorsitzende des Obersten Libyschen Berberrates, al-Hadi Barqiq eine allgemeine Mobilmachung an, um die Möglichkeiten des Volkes, die von den Dabaiba-Milizen zerstört werden, zu erhalten. Bei den Zusammenstößen von Abu Kamasch habe es sich um einen bewaffneten Angriff auf einen Sitzstreik von Zivilisten gehandelt. Dies bezeichnete Barqiq als „Milizenterrorismus“ und ein Vorspiel zum Bürgerkrieg.
https://x.com/libyapress_2010/status/1828522905568760313
https://x.com/libyapress_2010/status/1828538482589082007
https://x.com/libyapress_2010/status/1828541839068291495
https://x.com/libyapress_2010/status/1828789266950074521

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Libyen: Die einen haben das Geld, die anderen haben das Öl

Dramatische Zuspitzung beim Streit um die Erdöleinnahmen. Die Libysche Zentralbank (CBL) wurde im Handstreich vom Präsidialrat gekapert, der mit der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis unter einer Decke steckt. Der bisherige CBL-Chef, as-Siddiq al-Kebir, verließ fluchtartig das Land. Aus Protest dagegen schloss die Parlaments-‚Regierung‘ im Osten die Erdölfelder und Verladehäfen. Der libysche Erdölexport geht daraufhin um 75 Prozent zurück.
Befürchtet wird, dass die Dabaiba-‚Regierung‘ in Zusammenarbeit mit dem Präsidialrat auch das Parlament und den Staatsrat auflösen und die Spaltung Libyens vorantreiben will.

Libyens Institutionen

Wie bekannt, rivalisieren in Libyen zwei Regierungen um die Macht. Zum einen die von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannte, sogenannte ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis unter dem Premierminister Abdul Hamid Dabaiba, der in Personalunion auch Verteidigungsminister ist. Zum anderen existiert das im Jahr 2014 mit einer Wahlbeteiligung von nur 18 Prozent gewählte Parlament im östlichen Libyen, das ebenfalls von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannt ist, nicht anerkannt aber ist die vom Parlament berufene Regierung von Premierminister Osama Hammad.

Militärische Unterstützung erhält die Dabaiba-‚Regierung‘ hauptsächlich von Tripolis-Milizen, bekannt durch häufige Scharmützel, die sie untereinander austragen, und von der Nato-Schutzmacht Türkei. Die Tripolis-‚Regierung‘ musste erst kürzlich eine Niederlage einstecken, als ihr Schützling Mohamed Takala gegen Khaled al-Mischri bei der Wahl des Staatsratsvorsitzenden unterlag. Dabaiba schien die Macht zu entgleiten.

Den Osten und Süden Libyens mit den wichtigsten Erdölfeldern wie das Scharara-Ölfeld und Ölverladehäfen wie as-Sidra beherrschen militärisch Khalifa Haftar und seine Söhne mit ihrer Armee, unterstützt von Russland. Daneben sind natürlich auch andere Nato-Staaten in Libyen aktiv, so die USA, Frankreich und Italien.

Neben dem beratenden Organ des Staatsrats existiert der Präsidialrat unter Mohammed al-Menfi, der sich als eine Art offizielles Staatsoberhaupt von Libyen und als Oberbefehlshaber der militärischen Kräfte im westlichen Libyen versteht, und eng mit der Dabaiba-‚Regierung‘ verbündet ist.

Sowohl die Dabaiba-‚Regierung‘ im Westen als auch das Parlament im Osten beziehen ihr Geld, mit dem auch die für den Machterhalt so wichtigen Militär- und Milizkosten beglichen werden, von der Libyschen Zentralbank (CBL) in Tripolis, welche die mit Erdöl- und Erdgasexporten erzielte Einnahmen verwaltet und verteilt und somit die wichtigste Institution Libyens darstellt. Im Verlauf dieses Jahres überwies die National Oil Company (NOC) bereits 11,662 Milliarden USD an die CBL.

Seit Oktober 2011 wurde diese Zentralbank (CBL) von as-Siddiq al-Kebir geführt, Darling von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, libyscher Partner und Ansprechpartner für die USA schlechthin. Doch das könnte sich geändert haben.

Die handstreichartige Übernahme der Libyschen Zentralbank

Am 18. August erklärte der Präsidialrat den Chef der Zentralbank, Siddiq al-Kebir für abgesetzt und ernannte an seiner Stelle Mohammed Abdel Salam asch-Schukri zum neuen Chef der CBL. Die Vorzeichen kehrten sich um; war bisher stets al-Kebir vom Parlament bekämpft und – wenn auch folgenlos – als abgesetzt erklärt und asch-Schukri präferiert worden, lief nun das Parlament mit Unterstützung von Haftar und seinem Militär Sturm gegen die Absetzung al-Kebirs und will ihn unbedingt im Amt halten. Was war geschehen?

Al-Kebir wurde seit einiger Zeit vorgeworfen, den ostlibyschen Wünschen mehr gewogen zu sein und die Gelder zum Vorteil des Parlaments und dessen Haftar-Militär und zum Nachteil der Dabaiba-‚Regierung‘ und deren Tripolis-Milizen umschichten zu wollen. Bereits Ende 2023 war al-Kebir für einige Wochen in die Türkei geflüchtet, da er sich von den Tripolis-Milizen bedroht fühlte.

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Kurznachrichten Libyen – 11. bis 20. August 2024

Unwetterbedingte schwere Überschwemmungen in ganz Südlibyen / Gefährliches Chaos: Parlament machte vormalige Absetzung von Siddiq al-Kebir als Zentralbankchef rückgängig, woraufhin der Staatsrat in Übereinstimmung mit Dabaiba-Regierung al-Kebir absetzte – Ist der offizielle Komplettbankrott Libyens geplant? Situation eskaliert / Parlament will Dabaiba-‚Regierung‘ absetzen und Oberbefehl über Armee / Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen wächst

Libyen ein Tollhaus. Das Land wird nicht nur zerteilt, sondern regelrecht zersplittert. Gewirr von Interessen: „wer gegen wen?“ im „alle gegen jeden!“ Spiel. Im Hintergrund ziehen die Kräfte die Fäden, die für die Zerstörung Libyens 2011 verantwortlich sind, während sie vordergründig salbungsvoll schwadronieren.

Unwetter im südlichen Libyen führen zu schweren Überschwemmungen

+ Katastrophale Überschwemmungen in Kufra. Kufra ist auf solche schweren Unwetter nicht vorbereitet.
Video: https://x.com/LibyaReview/status/1822680340772577618

+ Am 11. August wurde durch starke Regenfälle das Krankenhaus in Kufra überflutet. Einige Patienten mussten evakuiert werden.
https://libyareview.com/47169/severe-flooding-in-kufra-leads-to-emergency-hospital-evacuation/

+ Am 12. August wird aus al-Kufra gemeldet, dass etwa 25 der aus Lehm gebauten Häuser aufgrund starker Regenfälle vollständig einstürzten. Die betroffenen Familien wurden evakuiert.
https://x.com/libyapress_2010/status/1822780481626124292

+ Am 14. August wurde aufgrund von Wetterwarnungen im südlichen Libyen, insbesondere für die Grenzgebiete zum Sudan, Tschad und Niger, einschließlich des Tibesti-Gebirges, al-Uwaynat und des südlichen Gatrun, der Notstand ausgerufen.
https://libyareview.com/47256/libyan-ambulance-service-declares-emergency-in-southern-region/

+ Die Teerstraße zum Grenzübergang al-Qatrum in den Niger ist aufgrund von starken Regenfällen zusammengebrochen.
Foto: https://x.com/libyapress_2010/status/1824090561311133823

+ 16. August: Nahe Ghat (Südwesten) kamen bei Überschwemmungen drei Kinder ums Leben. Das nahe Ghat gelegene Tehala steht unter Wasser. Das Gesundheitssystem brach zusammen. Viele Menschen mussten evakuiert werden.
Außerdem wurde die Straße zwischen Ghat und Ubari weggeschwemmt. Die Stromversorgung und die Kommunikation sind unterbrochen.
Nach drei Tagen Dauerregen sind Evakuierungsmaßnahmen und Hilfslieferungen aus allen Landesteilen sowie von UNICEF angelaufen. Die Gemeinden rufen um Hilfe. Insbesondere Ärzte und Zelte werden benötigt. Insgesamt sitzen rund 4.000 Menschen fest.
[Wo sind seit 2011 Libyens Öleinnahmen geblieben? Sicherlich wurden sie nicht in den Bau von Staudämmen oder sonstige Infrastrukturprojekte zum Schutz vor Hochwasserkatastrophen gesteckt.]
https://libyareview.com/47315/3-children-killed-by-floods-in-libyas-tehala/
https://x.com/libyapress_2010/status/1824220412311462326
Video: https://x.com/LibyaReview/status/1824229484733636761
https://x.com/libyapress_2010/status/1824759177761239532
https://x.com/LibyaReview/status/1825196482875535463

+ Am 18. August rechnete das Nationale Meteorologische Zentrum mit weiteren heftigen Regenfällen in mehreren südwestlichen Regionen, insbesondere in Ghat, al-Gatrun, Murzuq und Traghan, was zu weiteren Talüberflutungen und Überschwemmungen führen und die humanitäre Krise in diesen Gebieten verschärfen könnte.
https://libyareview.com/47396/4000-people-stranded-due-to-floods-in-libya/

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Machtkampf um Vorsitz der Libyschen Zentralbank droht in Gewalt umzuschlagen

as-Siddiq al-Kebir

as-Siddiq al-Kebir – Chef der Libyschen Zentralbank (CBL)

Wer die Libysche Zentralbank (CBL) beherrscht, kontrolliert die libyschen Öleinnahmen, die insbesondere zur Finanzierung der Milizen und militärischen Kräfte dienen, die wiederum die verschiedenen politischen Fraktionen an der Macht halten.

Zur Eskalation trägt bei: Das Parlament setzte die Dabaiba-‚Regierung‘ ab und entzog dem Präsidialrat den Oberbefehl über die Armee / Militärisches Vorrücken der ostlibyschen Militärkräfte (LNA) unter Haftar befürchtet / Streit im Staatsrat um Wahl des Vorsitzenden geht weiter / Saddam Haftar könnte weitere Erdölfelder schließen

War bereits vorher ein Machtkampf um den Vorsitz im libyschen Hohen Staatsrat entbrannt, verschärft sich die Situation weiter. Während der mit der Dabaiba-‚Regierung‘ verbündete Präsidialrat in Tripolis den Vorsitzenden der Libyschen Zentralbank (CBL), as-Siddiq al-Kebir, absetzte, bestätigte das Parlament gemeinsam mit dem Staatsrat dessen Verbleib im Amt. Die USA scheinen weiterhin al-Kebir als CBL-Chef zu unterstützen. Bedeutet dies eine Distanzierung von Abdel Hamid ad-Dabaiba?

Das Parlament im Osten entzog gleichzeitig dem Präsidialrat den Oberbefehl über das libysche Militär und unterstellte dieses dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh, ein symbolischer Akt. Dieser Oberbefehl hat nur Bedeutung für das westliche Libyen, denn das östliche und südliche Libyen wird von den ostlibyschen Militärkräften, der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA) unter dem Befehl von Khalifa Haftar und seinem Sohn Saddam Haftar, beherrscht, unterstützt von Russland. Das westliche Militär ist wiederum aufgespalten in verschiedene, sich teils feindlich gesinnte Milizen. Die Milizen, die mit der Dabaiba-‚Regierung‘ verbündet sind, werden von der Türkei unterstützt, die sich dies durch gewinnbringende Verträge und Zusagen bezahlen lässt.

Grob gesprochen heißt das, die Dabaiba-‚Regierung‘ wird vom Präsidialrat, der Türkei, einigen starken Milizen in Tripolis unterstützt. Bisher erfolgte die Unterstützung auch vom Westen, sowie der ‚internationalen Gemeinschaft‘ und der UN-Sondergesandten Stephanie Khoury. Die Dabaiby-‚Regierung‘ hatte zusammen mit dem Haftar-Clan den Wunsch, die Spaltung Libyens zunächst aufrechtzuerhalten und sich die Öleinnahmen zu teilen, auch um damit die jeweilige Streitmacht zu finanzieren.

Auf der anderen Seite agieren das Parlament im östlichen Libyen mit Teilen des gespaltenen Staatsrats, dessen neu gewählter Vorsitzender Khaled al-Mischri zusammen mit dem Parlament eine ganz neue Regierung anstrebt, die endlich Wahlen ohne Exklusion durchführen soll. Die Wahl al-Mischris zum neuen Vorsitzenden wird von seinem Gegenspieler, Mohamed Takala, nicht anerkannt. Takala unterstützt die Dabaiba-‚Regierung‘.

Ein ziemliches Durcheinander, hervorgerufen durch immer neue Spaltungen, die Libyen in immer kleinere politische Einheiten aufsplittern.

Der Plan der Westmächte und ihrer Unterstützer bestand 2011 zunächst darin, dass sich die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien, den failed state Libyen teilen. Durch das Erstarken Russlands im östlichen Libyen ging dieser Plan nicht auf. Trotzdem wurde mit Hilfe Khalifa Haftars und seiner Söhne, die das Kommando über das östliche Militär (LNA) haben, zunächst die Teilung weiterverfolgt. Längerfristig wird Haftar versuchen, ganz Libyen militärisch zu beherrschen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Khalifa Haftar immer noch der Mann der CIA mit us-amerikanischem Pass ist. Sollte es Haftar gelingen, auch Tripolis einzunehmen, werden die nächsten Schritte darin bestehen, im Sinne der USA das russische Militär aus Libyen zu verbannen. Russland seinerseits hat ein starkes Interesse, den Zugang zu den afrikanischen Sahelländern zu behalten, mit denen es seit neuestem militärisch verbündet ist. Libyens südliche Grenzen schließen an den Niger, Tschad und Sudan an. Mit der Kontrolle über die libyschen Erdölfelder würde Russland auch einen Großteil des Erdölexports nach Europa kontrollieren, so bezieht Italien über zwanzig Prozent seines Öls aus Libyen.

Für Libyen besteht die dringende Gefahr, zum neuen Aufmarschgebiet des Nato-Kriegs gegen Russland zu werden und die libyschen Milizen zu Proxykämpfern.

Und die Türkei? Sie ist Nato-Partner und der Joker im Spiel, der die im westlichen Libyen gelegenen Militärbasen besetzt hält, und dabei erfolgreich für sich selbst die größten Vorteile herauszuschlagen versucht.

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Kurznachrichten Libyen – 1. bis 10. August 2024

Milizenkämpfe in Tadschura (Tripolis) / Aufmarsch von Haftar- und westlichen Militärs im Gebiet von Ghadames (Grenzübergang zu Algerien) / Schließung des Scharara-Ölfelds durch Saddam Haftar / Kontroversen um Wahl des Staatsratsvorsitzenden / Erdölminister der Dabaiba-‚Regierung‘ Khalifa Abdel Sadiq wegen Korruption verhaftet / Belgasem Haftar verwaltet milliardenschweren Aufbaufonds

Kämpfe in Tadschura

+ Erneut sind am 9. August in Tadschura (östlich von Tripolis, nahe des Mitiga-Flughafens) während des Freitagsgebets Milizenkämpfe ausgebrochen. Daran beteiligt waren die mächtige Miliz von Tadschura , Rabeh ad-Duru (auch: al-Baqara-Miliz) unter Führung von Khalifa Baschir Khalifa (alias al-Baqara/die Kuh), und die Miliz Sabriya ar-Ruthaimi unter Führung von Muati bin Ramadan
Sabriya al-Ruthaimi ist ideologisch eng mit dem extremistischen Imam as-Sadiq al-Gharyani verbunden und sichert ihn.
https://x.com/LibyaReview/status/1821895064437522726
https://libyareview.com/47057/2-militias-clash-in-libyas-tajoura/
https://x.com/libyapress_2010/status/1821946510650601540

+ Die Zusammenstöße in Tadschura halten auch am 10. August an. Es werden neun Tote und 16 Verletzte, darunter ein Zivilist, gemeldet.
Video:
https://x.com/LibyaReview/status/1821995712948900284

+ Bei den Zusammenstößen in Tadschura sind Milizen aktiv, die gegen die Dabaiba-‚Regierung‘ sind.
Die ad-Duru-Miliz (Bashir al-Baqara) konnte die Kontrolle über das Hauptquartier der Sabriya-Brigade von Muati bin Ramadan übernehmen.
https://x.com/libyapress_2010/status/1822201359522754827

+ Auslöser der Zusammenstöße war ein Attentat auf den Kommandeur der Raheh ad-Duru-Brigade, Bashir Khalafi (alias al-Baqara) durch eine Miliz, die mit der Sabriya-Miliz verbündet ist. Khalafi wurde schwer verletzt. Daraufhin startete die Rabeh ad-Duru-Brigade einen Gegenangriff auf das Hauptquartier der Sabriya-Miliz in der Hamidiya-Gegend von Tadschura, wobei die Rabeh ad-Duru-Miliz die Kontrolle über das Hauptquartier erlangen konnte und zwölf Mitglieder der gegnerischen Miliz gefangen nahm.
Ein Militärkonvoi der mit der Dabaiba-‚Regierung‘ verbündeten Joint Force wurde beobachtet, wie er von Misrata in Richtung Tripolis fuhr.
Bewaffnete Fahrzeuge der Rabeh ad-Duru-Miliz stellten sich an der Küstenstraße auf, um zu verhindern, dass Verstärkung zur Sabriya-Miliz durchkommt. Es wurden Erdwälle errichtet.
Bemühungen um eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien dauern an.
Die Dabaiba-‚Regierung‘ schweigt wie üblich zu den aktuellen Kampfhandlungen.
https://libyareview.com/47082/9-dead-16-injured-in-armed-clashes-in-the-libyan-capital/
https://x.com/libyapress_2010/status/1822209181354508477

+ Am Morgen des 10. August kam es im Gebiet Qara Bulli zu einem kurzen Zusammenstoß zwischen der (contra Dabaia-Miliz) Joint Force aus Misrata und der (pro-Dabaiba-Miliz) Rabeh ad-Duru. Die Feindseligkeiten zwischen Misrata und der Dabaiba-‚Regierung‘ könnten eskalieren. Es könnten sich noch weitere Misrata-Milizen an die Seite der Joint Force beim Kampf um Tripolis stellen.
https://x.com/libyapress_2010/status/1822208944091078724
https://www.agenzianova.com/de/news/libia-tregua-temporanea-a-tripoli-dopo-violenti-scontri-tra-milizie-rivali/

+  Aufgrund der anhaltenden Kämpfe in Tripolis kündigte die Universität Tripolis bis auf Weiteres die Aussetzung aller Veranstaltungen und Prüfungen an.
https://x.com/LibyaReview/status/1822210078813901248

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Tollhaus Libyen – Wahl oder Nichtwahl des Staatsratsvorsitzenden

al-Mischri - Takala - Dabaiba

vorne: al-Mischri; hinten: Dabaiba und Takala

Betrug und Stimmenkauf bei Wahl des Staatsratsvorsitzenden bewirken weitere Spaltung des Landes

Wie das Durcheinander staatlicher Organe insgesamt die politische Lage kompliziert

Im heutigen Libyen existieren mehrere staatliche Organe, die das politische Leben bestimmen, sich entweder unterstützen oder als Gegenspieler verstehen. Dazu zählen das Parlament, mit dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh, und die vom Parlament bestimmte ‚Regierung‘ von Osama Haddad. Das Parlament ist international anerkannt, die Haddad-‚Regierung‘ dagegen nicht. Die von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannte Regierung nennt sich ‚Einheitsregierung‘ und sitzt in Tripolis. Ihr Regierungschef heißt Abdul Hamid Dabaiba, der unter Federführung der UN-Sondermission in Libyen mittels geduldetem Stimmenkauf an die Macht kam.

Daneben gibt es den Präsidialrat unter Mohammed al-Menfi, der sich als eine Art offizielles Staatsoberhaupt von Libyen und als Oberbefehlshaber der militärischen Kräfte im westlichen Libyen versteht. Im östlichen Libyen befehligt Khalifa Haftar mit Hilfe seines Sohnes Saddam Haftar die sogenannte Libysche Nationalarmee (LNA).

Der Hohe Staatsrat (HSC)

Ferner existiert ein Hoher Staatsrat (HSC), ein insgesamt fragwürdiges Organ, im Jahr 2015 von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ im Rahmen des politischen Skhirat-Abkommens geschaffen, um der vom Westen hofierten Moslembruderschaft ein Mitspracherecht in der libyschen Politik zu sichern. Obwohl nur als beratendes Gremium eingesetzt, verstand sich der Hohe Staatsrat als Gegenspieler des Parlaments und des Haftar-Militärs im östlichen Libyen und arbeitete eng mit der sogenannten ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis zusammen. Der HSC maßt sich ein Mitspracherecht bei Gesetzgebungsverfahren und bei wichtigen nationalen Entscheidungen an, die eigentlich allein dem Parlament obliegen sollten.

Doch da in Libyen selten etwas so ist, wie es zu sein scheint, haben sich aufgrund unterschiedlicher Interessen die Bündnispartner in Libyen neu aufgestellt. Die einstigen Gegenspieler, der Haftar-Clan im östlichen Libyen und der Dabaiba-Clan im westlichen Tripolis, scheinen sich darauf verständigt zu haben, alles dafür zu tun, damit die chaotische Situation in Libyen beibehalten wird, um durch ein in zwei Regierungen gespaltenes Land die eigene Macht aufrechtzuerhalten und damit auch die Kontrolle ausländischer Mächte zu gewährleisten, deren Interessen sie vertreten, und die als Gegenleistung wiederum sie an der Macht halten.

Nicht im Sinne von Dabaiba und Haftar haben sich, erhofft und doch unerwartet, vor Kurzem bei einem Treffen in Kairo Vertreter des Parlaments und des Staatsrats darauf geeinigt, eine neue Einheitsregierung für ganz Libyen zu bestimmen, die das Land gemäß vom Parlament verabschiedeter Wahlgesetze zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt. Dazu ist es nötig, sowohl die Dabaiba-‚Regierung‘ im Westen als auch die ‚Haddad‘-Regierung im Osten zu Gunsten einer neuen Einheitsregierung aufzulösen.

Für Libyen könnte dies einen wichtigen Schritt bei der Überwindung der Spaltung des Landes bedeuten.

Die Wahl des Staatsratsvorsitzenden

Auch wenn die Vertreter des Staatsrats in Kairo der Einsetzung einer neuen, einheitlichen Regierung zustimmten, zeigten sich die Staatsratsmitglieder in dieser Frage gespalten, wie sich spätestens bei der Wahl des Staatsratsvorsitzende am 6. August 2024 zeigte. Libyen wäre eben nicht der kaputte Staat, der seit dem Nato-Krieg des Jahres 2011 im Chaos versinkt, wäre nicht auch diese Wahl dazu genutzt worden, weitere Spaltungen zu provozieren.

Zur Wahl standen drei Kandidaten: der bisherige Vorsitzende Mohamed Takala, der dem Dabaiba-Lager nahesteht, der Moslembruder Khaled al-Mischri, der bereits Vereinbarungen mit dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh traf und einer neuen Regierung positiv gegenübersteht, und als dritter Kandidat Adel Karmous, ebenfalls ein Kandidat der Moslembruderschaft. Nach einem ersten Wahlgang, bei dem Takala 67 Stimmen, al-Mischri 54 und Karmous 17 Stimmen erhalten hatte, wurde eine Stichwahl durchgeführt, deren Ergebnis knapper nicht hätte sein können: 69 Stimmen für al-Mischri und 68 Stimmen für Takala, bei einem leeren und einem ungültigen Stimmzettel.

Der ungültige Stimmzettel

Der ungültige Stimmzettel enthielt den Namen „Takala“, dieser war jedoch nicht in der dafür vorgegebenen Rubrik eingetragen, sondern auf der Rückseite des Stimmzettels vermerkt. Mohamed Takala forderte daraufhin, dass ein dritter Wahlgang durchgeführt werden müsse. Diesem Ansinnen verweigerten sich die al-Mischri-Anhänger. Als es daraufhin zu tumultartigen Szenen kam, die in Schlägereien ausarteten, schaltete sich das Fernsehen aus der Live-Übertragung aus. Auch die Wahl zweier Stellvertreter des Vorsitzenden konnte nicht mehr durchgeführt werden.

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Kurznachrichten Libyen – 21. bis 31. Juli 2024

Libyen: heruntergewirtschaftet und am Ende
Nach Gewaltausbruch wieder fragile Ruhe in az-Zawiya / Waffendepot explodiert in Zinten / Skandal um Militärausbildung in Südafrika / Scheich Ali Abu Sabiha soll Fessan verlassen / Machtkampf im Staatsrat um Wahl des Vorsitzenden / Verurteilungen im Derna-Staudammbruch-Strafprozess / Haftars Sohn bei Erdogan / Libyen zehntkorrupteste Land der Welt

Az-Zawiya

+ Am 22. Juli wurde ein junger Mann namens Rafik Karima in az-Zawiya (45 km westlich von Tripolis) durch einen Kopfschuss getötet.
Rafik Karima wurde von der Staatsanwaltschaft in mehr als acht Anklagepunkten gesucht. Es besteht der Verdacht, dass er von den eigenen Leuten liquidiert wurde, um schwere Verbrechen zu vertuschen.
Az-Zawiya ist aufgrund der Nähe zur Hauptstadt und der Rolle als wichtiger Knotenpunkt für die libysche Öl- und Gasindustrie von strategischer Bedeutung.
https://libyareview.com/46398/young-man-shot-dead-in-armed-clashes-in-al-zawiya/
https://x.com/SaifFuture/status/1815478681378095430

+ Am 23. Juli kommt es in az-Zawiya zu Zusammenstößen zwischen Milizen. Bei Schießereien wurden die Autos von Zivilisten getroffen.
Es kam zu erheblichen Beschädigungen von Häusern.
https://x.com/libyapress_2010/status/1815763282159972789
https://x.com/SaifFuture/status/1815791572622967060
https://x.com/libyapress_2010/status/1815802600669003979

+ Der Rote Halbmond forderte die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und die Möglichkeit zur Evakuierung von Zivilisten.
Zwischenzeitlich konnten 40 Familien in Sicherheit gebracht werden.
Der Rettungsdienst warnte die Bürger vor Benutzung der Küstenstraße. Die Universität sagte Examensprüfungen ab.
https://x.com/libyapress_2010/status/1815816148790714617
https://x.com/alwasatengnews/status/1815864668877168831

+ Am 24. Juli herrschte Ruhe in az-Zawiya. Infolge der jüngsten Kämpfe wurden 13 Verletzte gezählt. Die Zusammenstöße seien auf Spannungen zwischen Jugendlichen zurückzuführen, die zum einen dem  Sicherheitsdienst des Innenministeriums angeschlossen waren und zum anderen dem Generalstab.
https://x.com/libyapress_2010/status/1816120868499537927

+ Middle East Online-Website: Die wiederholten Kampfhandlungen sind ein Hinweis auf die fragile Sicherheitslage und die Unfähigkeit von ad-Dabaiba, sie zu kontrollieren. Az-Zawia sei wegen seiner Milizen weiterhin auf dem Weg der Gewalt.
https://x.com/libyapress_2010/status/1816050193017553079

Fragile Sicherheitslage am Grenzübergang Ras Adschdir

+ Der Grenzübergang zu Tunesien, Ras Adschdir, wird von libyscher Seite am 23. Juli durch einen Sitzstreik blockiert, da die Forderungen der Protestierenden aus der Gemeinde Zuwara nicht erfüllt wurden.
Der grenzüberschreitende Handel zwischen Libyen und Tunesien ist von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft der Grenzregion, in denen viele Familien für ihren täglichen Bedarf auf Schmuggelwaren und Treibstoff angewiesen sind. Die Grenzschließungen haben beträchtliche Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft in Ben Gardane und anderen tunesischen Städten.
https://libyareview.com/46392/what-are-the-economic-consequences-of-border-closures-for-libya-tunisia/

+ Am Grenzübergang Ras Adschdir konnte sich laut Zeugenberichten die Schmugglerfraktion durchsetzen: Innenminister Imad Trabelsi hat die Erkennungs- und Inspektionsfahrzeuge (Scanner) vom Grenzübergang Ras Adschdir abgezogen.
Die Lage bleibt angespannt.
https://x.com/libyapress_2010/status/1816193574352085083

+ Am 29. Juli kam es erneut zu Zusammenstößen am Grenzübergang Ras Adschdir zwischen mit dem Innenminister Trabelsi verbundenen Milizen und Milizen aus Zuwara.
https://x.com/libyapress_2010/status/1817688185188880409

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Kurznachrichten Libyen – 11. bis 20. Juli 2024

Die Ergebnisse des Kairo-Treffens von Parlament und Staatsrat zur Roadmap für Wahlen werden weitgehend begrüßt / Scheich Ali Abu Sabiha wieder in Freiheit / Gewalt und Verschleppungen nehmen zu / In Tripolis fand das „Forum Migration im Mittelmeerraum“ statt, ohne Lösungsansätze zu finden

Unruhen in az-Zawiya

+ Nachdem bestätigt wurde, dass das Milizenmitglied Schehab al-Akraschi getötet worden war, kam es erneut zu Zusammenstößen in der Stadt az-Zawiya (45 km westlich von Tripolis) zwischen Mitgliedern des der First Support Force von az-Zawiya und dem stellvertretenden Leiter des Anti-Security Threats Service, Muhammad Bahroun.
https://x.com/libyapress_2010/status/1811434468101795955

+ Am 11. Juli wurde berichtet, dass ein bewaffneter und gepanzerter Konvoi des 127. Schutz- und Wachbataillons unter dem Kommando von Hussein Schawat aus Misrata kommend in der Hauptstadt Tripolis einfuhr.
Das 127. Schutz- und Wachbataillons und die 222. Madschfal-Brigade sollen sich darauf vorbereiten, die Kontrolle über die Zawiya-Hauptquartiere (al-Karimiya, as-Sawani, ad-Dawa al-Islamiyyah) zu übernehmen.
https://x.com/SaifFuture/status/1811471665244655977
https://x.com/SaifFuture/status/1811469614192427480

+ In az-Zawiya wurde am 11. Juli mobilisiert und eine wichtige Kreuzung mit Sand verbarrikadiert.
https://x.com/SaifFuture/status/1811469505396175313

+ Am 12. Juli kam es in az-Zawiya zu Kämpfen zwischen den Milizen. Mehrere Straßen wurden gesperrt, Passanten gerieten in Panik.
https://x.com/libyapress_2010/status/1811804340941717640

+ Das Mitglied des Rates der Ältesten und Honoratioren von az-Zawiya, Hussein al-Maghribi erklärte, dass wegen des Verschwindens von jungen Bewohnern der Stadt am 13. Juli die Küstenstraße weiterhin von den Anwohnern gesperrt bleibt.
https://x.com/libyapress_2010/status/1812082863719801226

+ Der Vorsitzende des Nationalen Menschenrechtsausschusses, Ahmed Hamza, stellte die Frage nach dem Verbleib des Innenministers Trabelsi, während in az-Zawiya schlimme Dinge wie Kämpfe, Entführungen und Morde passieren. Sein Büro sei nur 40 Kilometer entfernt.
https://x.com/libyapress_2010/status/1812120714914205717

+ Der Innenminister der Dabaiba-‚Regierung‘, Trabelsi, gibt zu, über eine der wichtigsten westlibyschen Küstenstädte, nämlich az-Zawiya, keine Kontrolle zu haben. Und auch Zintan sei nur teilweise unter Kontrolle.
Neben dem Kraftstoff- und Drogenschmuggel ist Zawiya eine Basis für Scheluserbanden.
https://x.com/libyapress_2010/status/1813878759201669619
https://news.libyadesk.com/zawiyas-perpetual-state-of-conflict/

+ Der Bürgermeister von az-Zawiya erklärte, alle Gefangenen seien freigelassen worden. Es sei zu keinen Schießereien gekommen, sondern lediglich zu Protesten der Bevölkerung.
https://x.com/libyapress_2010/status/1812452134043939323

+ Am 17. Juli stürmten in der Stadt az-Zawiya Bewohner das Hauptquartier von Abdul Ghaffar al-Khadrawi, da sie ein militärisches Hauptquartier in dem Gebiet nicht akzeptieren. https://x.com/libyapress_2010/status/1813665116212400506

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