Rezension. In seinem neuen Buch über die Spannungslage im Nahen Osten nimmt Michael Lüders mit großer Sach- und Detailkenntnis zunächst das aktuelle Geschehen insbesondere im Iran, aber auch im Irak und Jemen, unter die Lupe, bevor er überschwenkt zum Gaza-Krieg, zu Israel und Palästina, unter Bezugnahme auf die neuesten Entwicklungen in Syrien und im Libanon. Für jeden, der die Geschehnisse in dieser Weltregion verstehen will, bietet dieses Buch mit seinem präzisen Blick auf die Konflikte eine schlüssige geopolitische Analyse der politischen Umbrüche, deren Entwicklung mit ungewissem Ende noch lange nicht abgeschlossen ist.
Iran: Von der Demokratie über die Monarchie zur islamischen Republik
Lüders beginnt sein Buch mit einem Rückblick auf die jüngere Geschichte des Irans nach dem Ersten Weltkrieg, als die Briten in dieser Weltregion drei strategische Ziele verfolgten: den Zugriff auf das Erdöl, die Kontrolle Palästinas als Pufferzone des Suezkanals und die Sicherungen aller Land- und Seewege nach Indien. Die Briten konnten sich das Monopol auf die Erdölförderung solange im Iran sichern, bis 1951 Mohammed Mossadegh zum Premierminister gewählt wurde und die iranische Erdölindustrie nationalisierte. Damit war sein Sturz besiegelt.
In Syrien, das von Frankreich 1945 in die Unabhängigkeit entlassen worden war, orchestrierte die CIA bereits 1949 einen Putsch, den ersten in der arabischen Welt. Diese präzise durchgeführte Operation wurde „zum Vorbild amerikanischer Regimewechsel in anderen Ländern der Dritten Welt“. Nach einer Reihe von weiteren Staatsstreichen sicherte sich in Syrien 1970 der Alawit Hafis al-Assad die Macht, dessen Sohn Baschar al-Assad 2025 gestürzt wurde.
Um Mossadegh im Iran zu beseitigen, waren die Briten auf amerikanische Unterstützung angewiesen. Die Amerikaner waren gerne bereit, die Federführung zu übernehmen. „Die ‚Drecksarbeit‘, so Bundeskanzler Friedrich Merz in heutigem Kontext, erledigten dabei die CIA und der britische Auslandsgeheimdienst MI6.“ Schon damals wurden Gegner dämonisiert und Mossadegh als „unberechenbar, irre, gerissen, provokant … einer der gefährlichsten Führer“ beschrieben. Der britische Außenminister Eden verglich ihn wiederholt mit Hitler. Lüders weist darauf hin, dass die Unterwerfung und Versklavung ganzer Völker – damals wie heute – immer mit der Dämonisierung der Unterworfenen einhergeht.
1953 wurde Mossadegh inhaftiert und die Amerikaner verhalfen Schah Mohammed Reza Pahlavi durch einen Putsch auf den Thron. „So groß war seine [Mossadeghs] Naivität, dass er ausgerechnet den amerikanischen Botschafter um Unterstützung bat.“ Mit Mossadegh war ein „überzeugter Anhänger des Parlamentarismus, ein Bewunderer Mahatma Gandhis, Abraham Lincolns und der amerikanischen Demokratie“ gestürzt worden, um eine Monarchie zu installieren. Nach der Machtergreifung des Schahs, der eine brutale Diktatur mit Hilfe seines SAVAK-Geheimdienstes errichtete, wurde der Iran in der Region zum wichtigsten Verbündeten Israels.
1979 wurde der Schah durch die Islamische Revolution von Ayatollah Khomeini gestürzt. Michael Lüders: „Ohne Putsch 1953 keine islamische Revolution 1979“ – „Ohne Sturz Mossadeghs keine Islamische Republik.“
Der heutige Iran
Das Buch erläutert den Wesenskern des Schiitentums, klärt über die internen Konflikte des heutigen Iran auf und beleuchtet den Atomstreit mit den USA ebenso wie den staatskapitalistischen Wirtschaftskurs. Laut Lüders pflegten sowohl die USA als auch Israel hinter den Kulissen ein äußerst pragmatisches Verhältnis zu Khomeinis Iran, insbesondere wenn es um Waffengeschäfte ging.
Der Autor erklärt, warum es im Iran – trotz der Ablehnung des Junktim aus Politik und Religion sowie Unzufriedenheit von großen Teilen der Bevölkerung – keine relevante Oppositionsbewegung gibt und warum ausgerechnet der Westen mit seinen Sanktionen zu einem Gutteil dafür verantwortlich ist. Zum einen wurde durch die Sanktionen die Mittelschicht als potentieller Träger von Protesten stark geschwächt, zum anderen verheißen vom Westen initiierte Regimewechsel im Lichte der Katastrophen, die den Irak, Afghanistan und Libyen getroffen haben, keine erstrebenswerten Zukunftsaussichten.
Im heutigen Konflikt zwischen Israel und dem Iran geht es nicht, wie von Israel behauptet, um seine durch iranische Atomwaffen gefährdete Sicherheit, sondern um die regionale Vorherrschaft in dieser geopolitisch bedeutenden Weltregion. Doch weder die USA noch Israel wagen es angesichts der unkalkulierbaren Folgen gegen den Iran in den Krieg zu ziehen.
Lüders nimmt auch Bezug auf die wichtigsten Unterstützer des Iran. Im Libanon ist dies die durch die Ermordung ihres Führungspersonals, allen voran Hassan Nasrallah, geschwächte Hisbollah und in Gaza die Hamas. Beide Bewegungen „als Reaktion auf israelische Besatzung entstanden“ und erstarkt.
Dominanzstreben der USA
Der Autor gibt einen Überblick über die amerikanische Doktrin, die seine Außenpolitik bestimmen, wobei sich die US-Republikaner und Demokraten in der Rhetorik, nicht aber im Grundsatz, vom globalen Dominanzstreben unterscheiden.
Es geht dabei um Strategien des Regimewechsels, durchgeführt zur Ausschaltung jedes Machtfaktors, der sich dem amerikanischen Dominanzstreben in den Weg stellt. Selbstverständlich darf es unter dieser Prämisse niemals eine palästinensischen Staat geben und wurde der Iran als ‚Schurkenstaat‘ zum Feindbild Nummer eins. Ein Regimewechsel im Iran steht „seit mehr als dreißig Jahren auf der Agenda Washingtons“.
Lüders gibt einen Überblick über die Beziehungen zwischen Iran und Irak, über den Krieg der USA gegen den Irak und wie sich die „Achse des Widerstands“ von Iran über Irak, Syrien bis in den Libanon und den Jemen ausdehnen konnte.
Armenhaus Jemen
Ein ganzes Kapitel widmet Lüders dem Armenhaus der arabischen Halbinsel, dem in seinen archaischen Stammesstrukturen verbliebenen Jemen. Die dortige Bewegung Ansar Allah, vom Westen als Huthis bezeichnet, beherrscht heute den Nordteil des Jemen und ist ein starker Verbündeter der Palästinenser im Gazastreifen. Das ebenfalls nach der Vorherrschaft in der Region strebende sunnitische Saudi-Arabien führte gegen die Ansar Allah einen desaströsen Krieg, der Ansar Allah zu dem Ruf, unbesiegbar zu sein, verhalf. Lüders bemerkt, dass die Ansar Allah, ebenso wenig wie die Hisbollah, Vasallen Teherans sind, auch wenn sie von dort Unterstützung erhalten. Er resümiert: „Ein gescheiterter Staat plus eine Sandalenmiliz, die sich hervorragend mit ballistischen Raketen, Drohnen und militärischer Hightech auskennt und gleichzeitig die Klaviatur sozialer Medien souverän bedient. Wie aber einen irregulären Akteur der Sorte Huthis besiegen?“
Der Iran und sein Atomprogramm
Der Fall der Assad-Regierung in Syrien und damit der Bruch der „Achse des Widerstands“ hatte das Scheitern des iranischen Verteidigungskonzepts zur Folge, das vorsah, schiitische Milizen außerhalb des Iran zu unterstützen. Was zur Verteidigung bleibt, ist das Atomprogramm.
Dabei haben die USA 1957 selbst „den Grundstein für das iranische Atomprogramm gelegt“, indem sie Israel, Pakistan und den Iran „im Kontext des Kalten Krieges dauerhaft an die USA zu binden“ versuchten, „indem man sie mit nuklearem Knowhow versorgte“, selbstverständlich zur friedlichen Nutzung, potenziell aber mit der Möglichkeit zum Bau von Atombomben. „1967 nahm im Norden Teherans ein aus den USA gelieferter Atomreaktor seine Arbeit auf, der bis heute in Betrieb ist. […] 1975 begann der Bau des ersten iranischen Atomkraftwerks in Buschehr am Persischen Golf. Von deutscher Seite waren Siemens und AEG maßgeblich daran beteiligt“.
1979 wurde die Zusammenarbeit mit westlichen Ländern in Buschehr beendet, das dortige Atomkraftwerk erst 2010 mit russischer Hilfe fertiggestellt. In den 1990er Jahren hatte bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Pakistan im Bereich Nukleartechnologie begonnen.
Revolutionsführer Khamanai hatte 2003 eine Fatwa erlassen, das den Bau und die Anwendung von Atomwaffen untersagt. Das geheime Atomwaffenprogramm wurde eingestellt. Nachdem 2015 Atomverhandlungen mit dem Westen zum Erfolg geführt hatten, wurde das Abkommen 2018 von Donald Trump wieder aufgekündigt und der Iran mit bis heute 1.500 Boykottmaßnamen überzogen. Für die daraus resultierende florierende Schattenwirtschaft und den Schmuggel diente Dubai als Drehscheibe.
An Trumps Politik des „maximalen Drucks“ auf den Iran, zu dem auch die Ermordung des angesehenen Generalmajors Qasem Soleimani gehörte, änderte sich auch durch die Machtübernahme Bidens nichts.
Nach dem Bruch der Achse des Widerstands werden die iranischen Hardliner, die genug angereichertes Uran anhäufen möchten, um mit dem Bau der Bombe zu drohen, wieder Aufwind erhalten. „Im Juni 2025 verfügte der Iran über 9248 Kilogramm angereichertes Uran, so viel wie nie zuvor“. Der Iran „sieht keine Veranlassung, den Amerikanern zu trauen“.
Iran und BRICS – vom Gottes- zum Nationalstaat
2022 unterzeichneten die russische Gazprom und die National Iranian Oil Company ein Abkommen im Wert von 40 Milliarden US-Dollar zur Begründung einer „Gas-OPEC“. Katar erwägt, sich diesem Kartell anzuschließen.
2024 trat der Iran den BRICS-Staaten bei, deren Ziel es ist, die US-Dollar-Dominanz zu unterlaufen. Am 12. Juni 2025 traf der erste Güterzug der neuen Bahnverbindung Peking – Teheran in der iranischen Hauptstadt ein, am 13. Juni 2025 bombardierte Israel erstmals den Iran.
„Eine fast fertiggestellte Eisenbahn- und Straßenverbindung führt von Russland über Aserbaidschan in den Iran und weiter in Richtung Persischer Golf, eine andere verläuft bis zum Kaspischen Meer und weiter per Schiff in den Iran“, dann „in Richtung Indischer Ozean zur Hafenstadt Chabahar unweit der pakistanischen Grenze und weiter, auf dem Seeweg, in Richtung Indien“. Im Januar 2025 unterzeichneten Moskau und Teheran den „Vertrag über eine umfassende strategische Partnerschaft“.
Eine Rede von Ayatollah Khamanai an die iranische Nation unmittelbar nach Ende des Krieges am 26. Juni 2025 lässt laut Lüders aufhorchen. Khamanais Rhetorik sei „de-islamisiert“ gewesen, das heißt, es habe nur einmal ein direkter Bezug zum Islam stattgefunden, aber zwanzigmal einer zum Iran und zur Nation. Khamanai habe die geschichtliche Bedeutung der iranischen Zivilisation betont, also Zugriff auf die vorislamische Zeit, die iranische Antike, genommen. Dies markiere den Weg hin von der Islamischen Republik zu einer Republik, die auf dem iranischen Nationalismus beruht. Nationalstaat anstatt Gottesstaat.
Projekt Großisrael: Gaza-Krieg und Israels Völkermord
Der folgende Teil des Buches beschäftigt sich mit dem Völkermord im Gazastreifen, ausgehend vom Großangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf den Süden Israels. Dieser 7. Oktober wurde von Israel, dem „atomar bewaffneten Sparta“, als Chance verstanden, durch Massenmord und Vertreibung die Palästinenserfrage unwiderruflich zu lösen. Lüders führt Beispiele an, wie Israel die Dämonisierung der Palästinenser betrieb, während gleichzeitig an der Meinungsfront jegliche Kritik an Israels Vernichtungskrieg als Antisemitismus gebrandmarkt wurde.
Der Autor setzt sich mit dem Gründungsmythos Israels auseinander und gibt einen geschichtlichen Überblick, wie seither der israelische Staat versucht, sein Projekt ‚Großisrael‘ mit Hilfe ethnischer Säuberungen und Angriffe auf Syrien und den Libanon zu verwirklichen, dies alles mit Unterstützung der USA und mit Deutschland als zweitgrößtem Waffenlieferanten.
Die UN-Hilfsorganisation für Palästina UNRWA wurde ausgeschaltet, indem man sie zur „ausländischen Terrororganisation“ erklärte, am 27. Juni 2025 betrug die Zahl der getöteten UNRWA-Mitglieder 317. „Hunger wird dergestalt zur Kriegswaffe“. Die Blockade gegen Gaza war zu dieser Zeit total. Die wenigen, von der obskuren privaten GHF betriebenen Verteilerstellen wurden zur Todesfalle: Hungernde konnten zwischen Verhungern und Erschossen werden wählen. Es besteht der Plan, Konzentrationslager im Gazastreifen einzurichten und seine Bewohner in andere Länder umzusiedeln.
Lüders weist darauf hin, dass es in der israelischen Unabhängigkeitserklärung keinen Bezug auf die Grenzen des neuen Staates gibt und Israel auch keine Verfassung hat. Israel ist ein ethnonationaler Staat, das heißt, eine Demokratie nur für seine jüdischen Bürger, nicht aber für die Palästinenser, die als Bürger zweiter Klasse behandelt werden, von den Palästinensern in den besetzten Gebieten ganz zu schweigen.
Heute erlebt man die „konsequente Verwirklichung des Projektes Großisrael“, fußend auf dem Modell eines Siedlungskolonialismus. Das Ziel Israels und auch der USA ist es, jeden gewaltsamen lokalen und regionalen Widerstand gegen die imperiale Anmaßung Israels wie auch der USA zu unterbinden. Daneben müssen die Staaten der Region „soweit destabilisiert werden, gerne auch durch Regimewechsel, dass es keiner politischen oder militärischen Macht jemals gelingen kann, die Hegemonie Israels herauszufordern.“ Dazu muss auch der Einfluss Russlands und Chinas zurückgedrängt werden.
Lüders trauriges Resümee: „Großisrael ist ohne ‚ewigen Krieg‘ nicht zu denken, nicht zu haben, nicht zu verwirklichen.“
Doch auch Sparta ist untergegangen. Und so muss sich Israel fragen, was passieren wird, wenn Israel seine Kräfte überdehnt oder nicht vorhersehbare Ereignisse eintreten. Dabei wäre es Israel möglich, der Hamas den Wind aus den Segeln nehmen, indem es die Besatzung palästinensischer Gebiet, so wie von der UN gefordert, beendet.
Libanon
Stattdessen führt Israel Krieg nicht nur gegen die Hamas, sondern auch gegen die Hisbollah im Libanon. Es ist ihr zwar die Schwächung der Hisbollah gelungen, sie ist jedoch keineswegs vernichtend geschlagen, obwohl Israel auch im Libanon jedes Mittel recht ist. So gehört zu ihrer dortigen Kriegsführung „die systematische Zerstörung der libanesischen Landwirtschaft“. „Die israelische Brandschatzung hat 47.000 Olivenbäume vernichtet, 340.000 Nutztiere, ebenso große Anbaugebiete von Obst und Gemüse, wobei auch die Bewässerungsanlagen teils schwer beschädigt wurden.“ Der wirtschaftliche Gesamtschaden werde auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt.
Die Großisrael-Ideologie hält Lüders für nicht friedensfähig und sie hat sogar das Potential, einen Dritten Weltkrieg auszulösen, auch in Anbetracht dessen, dass Großisrael „neben dem gesamten Palästina auch Teile Ägyptens, Jordaniens, Syriens und des Libanons“ umfasst.
Syrien und die Machtübernahme der Dschihadisten
Die syrischen Golanhöhen wurden bereits 1967 von Israel erobert, besetzt und anschließend besiedelt. Mit Inbesitznahme des Berg Hermon kontrolliert Israel „den Zugang zu allen Wasserresourcen“.
Seit 9/11 arbeiteten die USA mit maßgeblicher Beteiligung Israels, aber auch Großbritanniens, mehrerer Golfstaaten, Jordaniens und der Türkei, am Sturz der Regierung Assad. „Die USA und ihre Verbündeten haben radikale Dschihadisten der übelsten Sorte, darunter den ‚Islamischen Staat‘ und Al-Qaida (…), in Syrien bewaffnet und finanziert, um die Regierung in Damaskus zu Fall zu bringen.“ Nach dem Eingreifen Moskaus in den Krieg, gelang es den Assad-Kräften zunächst, „die von Islamisten gehaltenen Teile Syriens sukzessive zurückzuerobern“. Idlib wurde zum letzten Zufluchtsort der Dschihadisten, dort vom Westen inklusive der Ukraine militärisch geschult. Bekanntlich rückte der Al-Qaida-Kommandant Dscholani siegreich gegen Damaskus vor und nennt sich heute Präsident von Syrien.
„Vor dem Krieg verfügte Syrien über eine stabile, wachstumsorientierte Wirtschaft mit guten Zukunftsaussichten“, bei geringer Staatsverschuldung. Nachdem die USA deren Zusammenbruch orchestrierten, „machte Inflation die syrische Währung praktisch wertlos“. Auch wenn heute viele Wirtschaftssanktionen wieder aufgehoben wurden, sind Syriens Zukunftsaussichten alles andere als rosig. Abertausende verloren ihre Jobs, das Regime besteht aus dschihadistischen Formationen, die neuen Machthaber sind in der Bevölkerung nicht verwurzelt. Gefolgsleute des Assad-Regimes gaben ihre Waffen nicht ab, unter den Alawiten wurden Massaker angerichtet. Im Süden kam es zu Gewaltausbrüchen gegen Drusen, eine weitere religiöse Minderheit, zu deren Schutzmacht sich Israel stilisierte.
Israel zerbombte „in hunderten Angriffswellen 80 Prozent aller syrischen Militäranlagen“, einschließlich des zivilen Flughafens von Aleppo. Auf den Golanhöhen wurde die einheimische Bevölkerung vertrieben und „heute stehen israelische Panzer rund 20 Kilometer westlich vor Damaskus“. Israels Außenminister: „Die Idee eines vereinten souveränen Syriens mit vollständiger Kontrolle über das ganze Land ist wenig realistisch.“
Das Land soll „entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien“ zerlegt werden. Gewarnt wird inzwischen vor militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Israel, deren Interessen in Syrien aufeinanderprallen, insbesondere was die Kurdengebiete betrifft.
Israel sieht sich von Feinden umzingelt, und nicht nur vom Iran bedroht, sondern auch von Pakistan. Und selbst Katar soll ihm ein Dorn im Auge sein, auch aufgrund von dessen hervorragenden Beziehungen zu Washington.
Israels Verbündete
Inzwischen gehen die Verbündeten Israels auf vorsichtige Distanz, denn es drohen immer mehr juristische und politische Folgen für die Beteiligung an israelischen Verbrechen. Israel dagegen verstärkt die eigene Propaganda, während es weiterhin Gaza und die Nachbarstaaten bombt.
Doch könnte es so weit kommen, so fragt der Autor, „dass der Dealmaker im Weißen Haus zu dem Schluss gelangt, das Projekt Großisrael werde für Amerika schlichtweg zu teuer“ und „Israels Alleingänge etwa in Syrien schaden den Interessen der USA in der Region auf Dauer mehr, als Washington zu akzeptieren bereit ist“? Israel könnte zu einem weiteren Nagel im Sarg des us-amerikanischen Imperialismus werden.
Die Akteure im Nahen Osten – neben dem Iran auch Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien – könnten verstanden haben, „dass Großisrael auch für sie selbst eine existentielle Bedrohung bedeutet“ und ihre Zusammenarbeit verstärken. Das Projekt Großisrael könnte „den Keim der Selbstzerstörung“ in sich tragen. Juden könnten unterschätzen, wie tief der Hass und die Wut sind, „welche die Menschenverachtung des israelischen Vorgehens weltweit auslöst“. Dabei sind Pogrome ein europäisches Phänomen, „die es in der Geschichte der arabisch-islamischen Welt nie gegeben“ hat, auch wenn es Antisemitismus unter Emigranten gibt, gespeist durch die „deutschen Komplizenschaft mit israelischen Verbrechen“.
Lüders erinnert an das Verhalten jüdischer Fußballfans in Amsterdam Ende 2024, als diese Jagd auf arabische Menschen machten. Und auch auf die Drohungen Israels gegen den Internationalen Strafgerichtshof in Den Hag, der im November 2024 einen Haftbefehl gegen Netanjahu wegen des Verdachts auf Beteiligung an einem Völkermord erlassen hat. Laut dem Votum des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 „ist die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete nach Maßgabe des Völkerrechts illegal“.
Insgesamt hält der israelische Historiker Tom Segev den Zionismus nicht gerade für eine Erfolgsgeschichte. Es sei für Juden sicherer, außerhalb von Israel zu leben.
Doch ob Frankreich, Großbritannien, Deutschland oder die EU, Israels Recht auf Selbstverteidigung wird betont, auch wenn Israel der Aggressor war, der den Iran angegriffen hat. Allerdings war der Denkfehler Israels in Sachen Iran die Vorstellung, „ein angegriffenes Volk könnte oder wollte sich von einem Aggressor ‚befreien‘ lassen.“
Der Krieg gegen den Iran endete, nachdem auch Israel massive Bombentreffer einstecken musste, seine Flugabwehr gegen Irans Hyperschallraketen überfordert war und es Gefahr lief, den Krieg zu verlieren. Trump bombardierte noch iranische Atomanlagen und erklärte danach den Krieg für beendet. Hierfür sieht Lüders folgende Gründe: Sorge vor einer Eskalation, übergreifend auf die Golfstaaten; Ausbruch eines nicht mehr zu kontrollierenden Flächenbrands unter Einbeziehung von Russland und China; Schließung der für den Erdöltransport unverzichtbaren Straße von Hormus.
Ausblick
Die Zeit arbeitet für den Iran, und die „Achse des Widerstands“ ist zwar geschwächt, aber keineswegs gebrochen. Die USA und Israel könnten den Iran als starke Regionalmacht anerkennen oder – was Lüders für wahrscheinlicher hält – den nächsten Waffengang planen.
Lüders stellt die Frage nach einem „anderen Umgang mit dem Vermächtnis jüngerer deutscher Geschichte, nämlich ein universeller“? Und er fragt auch: Welche ‚Staatsräson‘ mit welchem Israel? Innerhalb welcher Grenzen und auch mit einer rechtsextremen Regierung? „Die hiesige ‚Staatsräson‘ erweist sich ihrem Wesen nach als undemokratisch und autoritär. […] Als einziges Land der Welt hat sich Deutschland als Reaktion auf die Klage Südafrikas gegen Israel wegen des Vorwurfs des Genozids auf die Seite Israels gestellt – was nicht einmal die USA getan haben, […] während Proteste gegen das Massensterben im Gazastreifen mit unerbittlicher juristischer Härte verfolgt, kriminalisiert und nötigenfalls niedergeknüppelt werden.“ Dies brachte Deutschland die Verachtung eines Großteils der Welt, insbesondere des Globalen Südens, ein.
Michael Lüders schlägt den Bogen von der aktuellen Weltlage zur Gefahr eines großen Krieges und fragt, warum der Bürger sprachlos bleibt und die Propaganda des Systems dankbar konsumiert. Ob das Plädoyer für eine breite, gesellschaftliche Bewegung gegen den Wahnsinn, gegen die Dummheit und den Zynismus Gehör findet?
Viele Artikel und Bücher wurden über den Iran, den Gazakrieg und den Nahostkonflikt verfasst, doch kaum eine andere Veröffentlichung durchleuchtet so treffend und umfassend die Hintergründe und das aktuelle Geschehen in der wohl augenblicklich gefährdetsten Weltregion, wie das neue Buch von Michael Lüders. Die kenntnisreiche Einbettung des Gazakriegs und der Palästinenserfrage in den Gesamtkomplex Naher und Mittlerer Osten macht die Stärke dieses Buches aus.
Insbesondere sei auf das detailreiche Kartenmaterial in den Umschlagseiten hingewiesen, das dem Leser eine unmittelbare geographische Orientierung ermöglicht, um ihn die Vorgänge in dieser Weltregion auch in ihrer geopolitischen Bedeutung besser einordnen zu lassen.
Michael Lüders
„Drecksarbeit? Israel, Amerika und der imperiale Größenwahn im Nahen Osten“
Goldmann, 2025, 237 Seiten





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