Der Milizenführer Abdel Ghani (Ghaniwa) al-Kikli wurde in Tripolis heimtückisch ermordet, seine Miliz Support Deterrence Apparatus (SSA) befindet sich in Auflösung, das SSA-Hauptquartier wurde von Milizen der Dabaiba-‚Regierung‘ übernommen. Dies könnte den stark unter Druck geratenen Tripolis-‚Premier‘ Abdulhamid ad-Dabaiba stärken und die Bemühungen um die politische Einheit Libyens und die Einleitung eines Wahlprozesses enorm behindern.
Es war angesichts der massiven Militärbewegungen in Tripolis voraussehbar, dass sich in der libyschen Hauptstadt etwas zusammenbraut. So warnte der Föderationsrat von Groß-Tripolis, dass die Sicherheit der Bevölkerung durch Milizenkämpfe bedroht sei und die Jugend von Abu Salim, ein dicht bewohnter Stadtteil von Tripolis, protestierte gegen die Versuche, Tripolis zum Schauplatz eines bewaffneten Konflikts zu machen. Auch die UN-Mission in Libyen forderte zur Deeskalation auf.
Die jüngsten Ereignisse in Gharyan und al-Choms hatten bereits eine Zuspitzung der Situation angedeutet. So hatte in al-Chums am 7. Mai die Misrata Joint Force die vollständige Kontrolle über das Hauptquartier des Stability Support Apparatus (SSA), das unter dem Kommando von Ghaniwa al-Kikli stand, übernommen.
Blutige Kämpfe
Am Nachmittag des 12. Mai rückten Konvois von Militärfahrzeuge aus az-Zawiya, az-Zintan und Misrata in Tripolis ein und fluteten die Straßen. Erwartet wurde ein erbitterter Kampf zwischen den SSA-Milizen von al-Kikli und Dabaibas Militärkräften. Gegen 21 Uhr forderte das Verteidigungsministerium die Einwohnern von Tripolis dazu auf, ihre Häuser nicht mehr zu verlassen. Die Flugzeuge vom Mitiga-Flughafen in Tripolis wurden zur Sicherheit ausgeflogen und auf dem Flughafen von Misrata in Sicherheit gebracht.
Der russische Militärblogger Oleg Blochin berichtete von dutzenden Menschen, die bei den Zusammenstößen ums Leben kamen, auch wenn dies offiziell bestritten wird. Die Kämpfe dauerten nach dem Todesmeldung von al-Kikli allerdings nicht lange, das SSA-Hauptquartier konnte von den Dabaiba-Milizen schnell eingenommen werden, die ganz großen Kämpfe blieben aus. Nach dem Tod von Ghaniwa al-Kikli und seinen Leibwächtern hatten sich die meisten Mitglieder des Stability Support Appartus ergeben oder waren geflohen.
Al-Kikli war mit sechs Leibwächtern vom Verteidigungsministerium, das ebenfalls von Abdulhamid Dabaiba geführt wird, in das Takbali-Hauptquartiers der 444. Brigade eingeladen worden, angeblich um über eine Deeskalation der angespannten Sicherheitslage zu beraten. Dabei scheint es sich um einen üblen Hinterhalt gehandelt zu haben: Die im Internet kursierenden Videos, viele davon bald gelöscht, zeigen Erschossene, bei denen es sich um al-Kikli und seine Leibwächter handeln soll.
Schon bald gab die Dabaiba-‚Regierung‘ bekannt, ihre Milizen kontrollierten das gesamte Stadtviertel Abu Salim. Nicht nur das SSA-Hauptquartier wurde am folgenden Tag von Bewaffneten geplündert, sondern die Nationale Institution für Menschenrechte berichtete von Diebstählen und Plünderungen öffentlichen und privaten Eigentums und von gestohlenen Fahrzeugen in der Gemeinde Abu Salim und in anderen Stadtgebieten.
Die Frau von Osama Talisch, dem Leiter der Facilities and Installations Security Authority, wurde bei dem Versuch, in ihr Haus zu gelangen, durch eine Kugel getötet. Osama Talisch selbst war nach dem Tod von Ghaniwa al-Kikli nach az-Zawiya geflohen.
Am 13. Mai blieben Geschäfte geschlossen, ebenso wie Bildungseinrichtungen. Dabaiba erklärte, die Lage in Tripolis unter Kontrolle zu haben. Es ist wohl vorgesehen, die SSA aufzulösen beziehungsweise Teile davon in Militärkräfte des Innenministeriums unter Imad at-Trabelsi einzugliedern.
Von einem Ende der Kämpfe und der vollständigen Kontrolle, die die Milizen des Innenministeriums angeblich über Tripolis erlangten, kann jedenfalls keine Rede sein. Berichtet wird von Milizen, die das Feuer auf Bewohner von Suk al-Dschuma eröffnen, die aus Protest Ampel und Straßen blockiert hatten. Die ganze Nacht vom 13. auf den 14. Mai und auch noch am darauffolgenden Morgen sind Schusswechsel und Gewehrsalven zu hören. Sarkastischer Kommentar: „Das Wetter in Tripolis heute Morgen!“
Wird es weitere Milizenkämpfe geben?
Dabaiba wird als nächstes versuchen, die mächtige Tripolis-Miliz Special Deterrence Force/SDF (auch Rada-Miliz) von Abdel Rauf Kara, die den Mitiga-Militärstützpunkt einschließlich Flughafen und Gefängnis unter ihrer Kontrolle hat, zu entmachten. Bisher zählte Abdelrauf Kara ebenso wie Ghaniwa al-Kikli zu den Unterstützern der Tripolis-‚Regierung‘ von Dabaiba.
Bereits in der Nacht auf den 14. Mai wird von Kämpfen zwischen der Special Deterrence Force unter dem Kommando von Abdel Rauf Kara und Mitgliedern der 444. Kampfbrigade unter dem Kommando von Machmud Hamza berichtet. Auf der Insel al-Madschmaa im Gebiet Zawiya ad-Dahmani sind zahlreiche SDF-Kräfte stationiert.
Die militärischen Kämpfer, die sich in Tripolis versammelt haben, sollen sich nach dem Ende der Kämpfe in Tripolis darauf vorbereiten, in Richtung Gharyan und weiter nach Zintan vorzurücken. Zintan kündigte bereits eine allgemeine Mobilmachung an. Der Innenminister der Dabaiba-‚Regierung‘, Imad at-Trabelsi, beauftragte die 444. Kampfbrigade, die dem Kommando von Machmud Hamza unterstellt ist, sowie das al-Ghasri-Bataillon in Gharyan, den örtlichen Stability Support Apparatus (SSA) anzugreifen und aus den westlichen Bergen zu vertreiben. Ob dies gelingen kann?
Wer war Ghaniwa al-Kikli und warum musste er weg?
Der Aufstieg Ghaniwa al-Kiklis begann 2021, nachdem er mit Abdulhamid Dabaiba eine Vereinbarung getroffen hatte, Kiklis Verbündete in strategisch wichtige Positionen zu hieven. Im Gegenzug versprach ihm al-Kikli seinen Milizen-Schutz in der Hauptstadt Tripolis. So gelang es al-Kikli, seinen Einfluss weiter ausweiten und die Kontrolle über die State Facilities Security Authority zu erlangen, die für den sicheren Bargeldtransfer zwischen den Banken im Raum Tripolis und der Libyschen Zentralbank verantwortlich war. Al-Kiklis Mistreiter, Mohammed al-Khodscha, wurde zum Leiter der Abteilung Bekämpfung illegaler Migration ernannt, die Internierungslager für Migranten betreibt. Menschenhandel wurde somit zu einer weiteren Einnahmequelle. Al-Kikli, der zum inneren Kreis von Dabaiba gehörte, hatte sich ein Netzwerk aufgebaut, das ihm half, sich mittels Verträgen und Akkreditiven den Zugang zu Devisen zu sichern. Außerdem sponserte er den beliebten Fußballverein Al-Ahly Sports Club im Bezirk Abu Salim.
Ein von al-Kiklis Bruder Fathi geleitetes Unternehmen bemühte sich, in den Ölsektor einzusteigen und arbeitete deshalb mit dem deutschen Unternehmen Neumann & Esser zusammen, das erst im vergangenen Jahr eine Niederlassung in Libyen gegründet hatte, um sich den Akakus-Auftrag zu sichern. Es geht dabei um einen Deal mit dem Akakus Oil Operations Consortium, das heißt um Ölkonzessionen im Murzuq-Becken, ein Projekt im Wert von 280 Millionen USD.
Mord an al-Kikli – Inszenierung des Westens
Dazu erklärte Ibrahim Musa, ehemaliger Sprecher des Allgemeinen Volkskomitees: „Der Grund für die Ermordung al-Kiklis waren der Kampf um die letzten Krümel des libyschen Reichtums, um libysche Holdinggesellschaften und Machtpositionen. Die Ausführung erfolgte auf direkten Befehl der us-amerikanischen und britischen Botschafter in Libyen. Ziel war es, die Macht in die Hände bestimmter krimineller Gruppen zu legen und ihre Dienste zu nutzen, um die Sicherheitslage in Tripolis im Sinne ihrer eigenen Interessen umzugestalten.“
Musa Ibrahim sieht im heimtückischen Mord an al-Kikli mehr als nur eine billige Verschwörung. Es handle sich um eine Inszenierung des Westens, die dem immer gleichen Drehbuch folgt, mit denselben Schauspielern und demselben Regisseur. Al-Kikli und seine Mörder spielten die ihnen zugedachten Rollen. Weder die ausgeschalteten Milizen, noch die Dabaiba-Milizen handelten aus patriotischen Motiven.
Die ausländischen Mächte wollten sicherstellen, dass in Libyen keine unabhängige politische Bewegung entsteht und sich keine politischen Gruppen zusammenschließen, um durch Wahlen den libyschen Staat wiederaufzubauen. Immer wenn in Libyen positive Entwicklungen beginnen, dränge der Westen seine Agenten, willfährigen Milizen, Kriegsherren, Kriminellen, Drogenhändler und Menschenhändler, sich um die Krümel des libyschen Reichtums zu prügeln, die ihnen die ausländischen Mächte zugestehen.
Musa: „Der Kampf wird um Positionen und Geld geführt und darum, wer der ausländischen Macht in unserem Land am besten dienen kann. Wir müssen uns gegen diese schmerzliche Realität erheben, diese Unterschiede überwinden und nach den gemeinsamen nationalen Nennern suchen, die uns in der Zukunft einen; unseren Kindern, unseres Wohlergehens und unseres Wohlstands willen.“
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