Proteste gegen Stromausfälle / Kämpfe zwischen Milizen / Bewegung im Erdölsektor / Mussa Ibrahim von Saif al-Islam mit neuen Aufgaben betraut
+ 23.09.: Demonstrationen in Tripolis. Gegen die 24-stündigen Stromausfälle in Tripolis gingen erneut Demonstranten auf die Straße. Sie blockierten mit brennenden Reifen Hauptverkehrsstraßen. https://libyareview.com/?p=6770
+ Foto: https://twitter.com/MstrMax11/status/1309249944981843968/photo/1
„Stromausfall“ sollte als Synonym für Unzufriedenheit mit der politischen Lage gelesen werden.
+ 25.09.: Kämpfe zwischen Milizen der ‚Einheitsregierung‘. In Tripolis eskalieren Kämpfe zwischen verschiedenen Milizen der ‚Einheitsregierung‘, bei denen sogar Flugabwehrgeschütze und Panzer eingesetzt werden. So werden Bilder gepostet, die zeigen, wie Rauch aus dem Waffenlager der Sicherheitsmiliz in Tadschura aufsteigt. Es soll mindestens vier Tote und mehrere Verletzte gegeben haben.
Als Grund wird Tötung von zwei Mitgliedern der Tadschura-Lions-Miliz durch die Daman-Miliz genannt. Der Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘ Salah ad-Din an-Namrusch will nun seinerseits mit Gewalt gegen die beiden Milizen vorgehen und hat ihre Auflösung verkündet.
https://libya.liveuamap.com/en/2020/25-september-smoke-rose-from-inside-the-missile-camp-belonging
https://twitter.com/MstrMax11/status/1309480423454457857/photo/1
https://libyareview.com/?p=6796
Libysches Erdöl
+ 25.09.: Sarradsch begrüßt Öffnung der Erdölanlagen. Nun hat sich auch der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Fayez as-Sarradsch positiv zu der Wiedereröffnung der Ölanlagen und die Aussicht auf Beendigung der Feindseligkeiten geäußert. Er hob die Bedeutung der Berliner Libyen-Konferenz hervor und stellte fest, dass der Libyenkonflikt nicht gewaltsam zu lösen sei. Er bat die UN um Unterstützung bei den für das nächste Jahr anvisierten Wahlen. Er rief auch zum politischen Dialog mit allen Fraktionen und Regionen Libyens auf.
https://libyareview.com/?p=6777
+ 26.09.: Wiederaufnahme des Betriebs auf dem Hamada-Ölfeld (südlich von al-Dschabal al-Gharbi) der Arabian Gulf Oil Company (AGOCO) im Rahmen der neuen Vereinbarung. Das Ölfeld besteht aus mehreren Feldern: (MN8) (MN5) (MN7) und der Ölanlage Zawiya. Poduziert werden täglich 10.000 Barrel, die zur Raffinerie in Zawiya gepumpt werden.
https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1309848322228793344
+ 27.09.: Auch das große as-Sarrir-Ölfeld hat seine Arbeit wieder aufgenommen.
https://twitter.com/MahmudM27830556/status/1309939815463489537
+ 26.09.: Ahmed Maitiq, stellvertretender Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ aus Misrata, traf am 26.09. in der Türkei ein, um laut der Website von OilPrice an verschiedenen Arbeitstreffen teilzunehmen.
Am 18. September hatte Maitiq die Schaffung einer gemeinsamen Kommission angekündigt, die die Öleinnahmen kontrollieren und eine „gerechte Verteilung“ dieser Einnahmen gemäß den festgelegten Bestimmungen sicherstellen soll.
Auch der Sprecher der LNA al-Mismari hatte erklärte, dass die Erdölvereinbarung mit Maitiq die Bildung einer Kommission zur Verteilung der Öleinnahmen beinhaltet, die aus libyschen Stammesscheichs und Mitgliedern des libyschen Parlaments und Ahmed Maitiq besteht.
https://libyareview.com/gna-deputy-pm-maiteeq-arrives-in-turkey/
+ 26.09.: Der Vorsitzende der National Oil Corporation (NOC) Mustafa Sanella traf sich mit Vertretern der italienischen ENI. Es ging dabei um die Verbesserung der Leistungen der Mellitah Oil und Gas Company (MOGC).
Sanella bestätigte, dass das NOC die Arbeit in den Ölfeldern aufgenommen hat, die als sicher gelten.
https://libyareview.com/noc-chairman-holds-meeting-with-eni-delegation-in-tripoli/
Die Mellitah Oil und Gas Company (MOGC) ist die größte Erdölgesellschaft in Libyen. Sie ist für die Verwaltung von Ölfeldern im ganzen Land zuständig ebenso wie für drei Ölplattformen, auf denen Offshore gefördert wird. Daneben ist sie auch verantwortlich für die Ölpipelines, die über tausende von Kilometern Libyen durchziehenden. MOGC exportiert über eine 516 km lange Unterwasserpipeline, die den Mellitah-Industriekomplex mit der italienischen Küste verbindet und von Green Stream verwaltet wird, aufbereitetes Erdgas nach Italien. Daneben deckt MOGC auch den lokalen Bedarf an Erdgas für die Versorgung der libyschen Kraftwerke.
+ 27.09.: Ein Video gibt Eindruck über die schlechte Versorgungslage bei Diesel-Kraftstoff in der libyschen Hauptstadt Tripolis:
https://twitter.com/Love4Libya/status/1309598886458257408
+ 24.09.: Saif al-Islam Gaddafi politisch aktiv. LibyaDesk schreibt auf Twitter: Wie es scheint, wurde Mussa Ibrahim von Saif al-Islam Gaddafi beauftragt, sein politisches Team wiederzubeleben und neu zu organisieren. Vermutlich ist er mit dem Plan von Gaddafi und der Vorbereitung auf die nächste Phase der politischen Gespräche befasst.
https://twitter.com/LibyaDesk/status/1309209407176269825
Mussa Ibrahim war Informationsminister der Dschamahirija-Regierung während des Nato-Krieges gegen Libyen und diente bis zuletzt Muammar al-Gaddafi als Sprecher. Im Oktober 2019 meldete sich Mussa Ibrahim bei RT zu Wort: https://deutsch.rt.com/international/93487-gaddafis-sprecher-wir-haben-recht/
Migranten
+ 25.09.: Mindestens 13 Migranten starben, nachdem ein Flüchtlingsboot vor der libyschen Küste gekentert war (Internationale Organisation für Migration).
https://libyareview.com/?p=6794
+ 25.09.: Franziska Vilmar von Amnesty International fordert die Europäische Union erneut auf, „jede Kooperation mit Libyen von der Einhaltung von Menschenrechten abhängig zu machen. Niemand darf von der libyschen Küstenwache nach Libyen zurückgebracht werden. Die in dem Land grassierende Straffreiheit führt dazu, dass niemand zur Verantwortung gezogen wird, der die Rechte geflüchteter Menschen oder gar die Menschen selbst mit Füßen tritt“. In dem AI-Artikel heißt es weiter: „Während die eine Hälfte der aus Seenot abgefangenen Menschen zurück in offizielle Haftlager gebracht wird, gilt die andere Hälfte als verschwunden. Diese Menschen werden in von Milizen betriebene inoffizielle Haftlager – wie zum Beispiel die berüchtigte Tabakfabrik in Tripolis – verbracht, zu denen keine internationale Organisation Zugang hat. Von diesen verschleppten Menschen verliert sich jede Spur.“ Seit 2016 hat „die von der EU unterstützte libysche Küstenwache geschätzt 60.000 Frauen, Männer und Kinder auf See abgefangen und nach Libyen zurückgebracht, 8.435 davon allein im Jahr 2020 (Stand: 14. September).“
https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/libyen-menschen-auf-der-flucht-sind-gefangen-einer-spirale-der-gewalt
Verschiedenes
+ 26.09.: Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, dass in den letzten zehn Tagen mehr als 1.200 Söldner, die auf der Seite der ‚Einheitsregierung‘ von der Türkei nach Libyen gebracht worden waren, nach dem Auslaufen ihrer Verträge nach Syrien zurückgekehrt sind.
Nach den Statistiken des SOHR sind bisher insgesamt etwa 18.000 syrische Söldner nach Libyen gekommen, darunter 350 Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt seien etwa 8.500 der pro-türkischen Söldner nach Ablauf ihrer Verträge nach Syrien zurückgekehrt.
https://libyareview.com/?p=6803
+ Im ägyptischen Urghada soll unter ägyptischer Schirmherrschaft und mit Einverständnis der UNO ein Treffen der Militärs der verfeindeten libyschen Parteien stattfinden.
https://libya.liveuamap.com/en/2020/26-september-the-meeting-of-the-libyan-military-in-hurghada
In Libyen bewegt sich gerade viel.
+ 26.09.: Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ und Moslembruder, Fatih Baschagha, sagte bei einem Treffen mit dem niederländischen Botschafter in Libyen, Lars Tummers, er sei bereit, die diplomatischen Vertretungen in Libyen zu sichern. Er dankte der Niederlande auch für die Einrichtung einer Aufklärungsmission, „die den Verbrechen der Haftar-Milizen und den Verbrechen der russischen Wagner-Söldner nachgehen wird“.
https://almarsad.co/en/2020/09/26/ready-to-secure-embassies-and-diplomatic-missions-in-libya-says-bashagha-to-dutch-ambassador/
Diese Aussagen lassen Einiges befürchten. Zum einen ist es nicht gerechtfertigt, von „Haftar-Milizen“ zu sprechen, da Haftar vom demokratisch gewählten und international anerkannten Parlament beauftragt wurde, wieder eine libysche Armee aufzubauen, eben die LNA. Zum anderen ist die Frage, wie es denn um die Aufklärung der von den Milizen der ‚Einheitsregierungen‘ begangenen Kriegsverbrechen steht, man denke nur an das al-Shatti-Massaker oder an die jüngsten Vorkommnisse in den von den Milizen eingenommenen Städte.
Und im Moment bekämpfen sich die Milizen in Tripolis gegenseitig, anstatt dass sie irgendjemand oder irgendetwas beschützen. Und erst vor wenigen Tagen schossen in Tripolis Baschaghas Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten.
Was Tripolis betrifft, unterliegen die Sicherheitskräfte von Baschagha den Befehlen aus der Türkei und werden von syrischen Söldnern unterstützt, die schlimmer Menschenrechtsverletzungen wie Entführungen, Vergewaltigungen und Morde beschuldigt werden. EU-Staaten in einem arabischen Land lassen sich also mehr oder weniger direkt von Erdogan, syrischen Extremisten und den Moslembrüdern, die auch Verbindungen zu al-Kaida pflegen, beschützen? Absurd!
26.09.: Stephanie Williams, stellvertretende Vorsitzende der UN-SMIL, betonte die Notwendigkeit, ausländische Streitkräfte und Söldner aus Libyen abzuziehen und die politischen Gespräche voranzutreiben. Es sei inakzeptabel, dass nach wie vor täglich Militärgüter nach Libyen gelangten. Sie forderte die beiden kriegführenden Parteien auf, ausländische Streitkräfte und Söldner innerhalb von 90 Tagen nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens abzuziehen.
Sie forderte auch den Schutz von Sirte und seiner Umgebung: „Wir legen großen Wert auf den Schutz von Sirte und anderen bewohnten Gebieten in der Zentralregion Libyens … mehr als 90% des libyschen Erdöls befinden sich dort…. Deshalb müssen wir die dortige Ölinfrastruktur schützen“.
Williams meinte, dass die Durchführung von Präsidentschaftswahlen die Krise in Libyen lösen würde.
https://libyareview.com/4426/german-foreign-minister-heiko-maas-stresses-need-to-return-to-negotiations-in-libya/
[Wer muss die libysche Ölinfrastruktur schützen? Doch wohl die Libyer selbst und nicht die UNO. Wie dieser Schutz auszusehen hat und wie bzw. durch wen er gewährleistet werden soll, sagte Williams nicht.
+ 26-09.: Der italienische Premierminister Giuseppe Conte erklärt in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass eine politische Lösung der einzige Weg zur Lösung der libyschen Krise sei. Er bestätigte, dass der Frieden in Libyen erreicht wird, wenn die ausländische Einmischung aufhört.
https://libyareview.com/?p=6801
Das sagt ausgerechnet Italien, das selbst Truppen in Libyen stationiert hat und militärisch fest an der Seite der ‚Einheitsregierung‘ steht und für die Ausrüstung und Bezahlung der berüchtigten libyschen Küstenwache verantwortlich ist.
26.09.: Sabine Kebir bietet auf Freitag eine gute Darstellung der derzeitigen Situation in Libyen. Unter anderem heißt es dort: „Was gerade geschieht, ist auch das Ergebnis einer Selbstermächtigung der kriegsgepeinigten libyschen Zivilbevölkerung. Den Anfang September begonnenen und noch anhaltenden Demonstrationen in Tripolis – dem Protest gegen die seit Jahren zusammengebrochene Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern, die das Verlangen nach einem Abzug ausländischer Söldner einschließt – folgten wenig später ähnliche Aktionen im Osten Libyens. […] Der Oberste Stammesrat steht hinter solchem Protest und gibt zu verstehen, im Ausland getroffene Entscheidungen über Libyen nicht mehr anerkennen zu wollen – es müsse endlich Wahlen geben.“
Sabine Kebir sieht die jetzige Bewegung in Libyen durch einen Anstoß der Trump-Regierung ausgelöst. Sie schreibt: „Dass die USA nun die gleiche Konfliktpartei unterstützen wie Russland, ist für die deutsche Außenpolitik, besonders Heiko Maas, hochpeinlich. […] Die jahrelangen Friedensbemühungen von UN und EU werden jäh als das entlarvt, was sie stets waren: wirkungslos.“ [Man möchte hinzufügen: nicht nur wirkungslos, sondern sogar kontraproduktiv.]
https://www.freitag.de/autoren/sabine-kebir/akt-der-selbstermaechtigung
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