Der britische Guardian schrieb am 23. April 2023, dass der libysche LNA-Oberkommandierende Khalifa Haftar die RSF-Miliz von Hamdan Dagalo in den letzten Monaten auf die Kämpfe im Sudan vorbereitet habe. Dies lasse einen langwierigen Konflikt im Sudan befürchten, der von äußeren Kräften angeheizt wird. Soweit so richtig.

Der Krieg im Sudan ist keine rein regionale Auseinandersetzung, sondern bei den einst Verbündeten und heutigen Feinden ziehen regionale und ausländische Geheimdienste die Strippen. Und diese werden auch entscheiden, wie lange dieser Krieg geführt wird.
Es ist eine verkürzte Sicht, die gegenwärtigen Kämpfe im Sudan auf die Rivalität zwischen dem Vorsitzenden des Regierungsrats und Kommandanten der sudanischen Armee, General Abdel Fattah al-Burhan, und seinen Stellvertreter und Kommandanten der RSF-Miliz (Rapid Support Force/Schnelle Eingreifgruppe), Hamdan Dagalo (alias Hemedti), zu beschränken.

Was bis Anfang des Jahres galt

Laut Guardian habe Dagalo früher Söldner nach Libyen geschickt, um die Libysche Nationalarmee (LNA) unter dem Oberbefehl von Khalifa Haftar, der den Osten und Süden Libyens kontrolliert, zu unterstützen. Auch beim Schmuggel, es dürfte sich vorrangig um Waffen, Treibstoff, Drogen und Gold handeln, hätten Dagalo und Haftar zusammengearbeitet. Allerdings seien die sudanesischen Söldner, die an der Seite der LNA kämpften, Rivalen von Dagalo und gehörten der offiziellen sudanesischen Armee unter General al-Burhan an.

Haftar und seine LNA erhielten außerdem von Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Unterstützung, ebenso von Ägypten.

Trotz seiner jetzigen Positionierung für Dagalo sei Haftar daran gelegen, den Vorsitzenden des Regierungsrats Abdel Fattah al-Burhan, nicht zu verprellen, ebenso wenig wie Ägyptens Präsidenten es-Sisi, der auf Seiten al-Burhans steht.

Dagado und Haftar im Jahr 2023

Laut Guardian habe Haftar zwischen Februar und Mitte April wichtige Aufklärungsinformationen an Dagalo weitergegeben, dessen Feinde verhaftet, die Treibstofflieferungen erhöht und möglicherweise eine Abteilung von Hunderten von RSF-Kämpfern im Häuserkampf ausgebildet.

Wie der libyschen Presse zu entnehmen war, besuchte Sidiq Haftar, Sohn des LNA-Kommandanten Khalifa Haftar, Anfang April die sudanesische Hauptstadt Khartum. Gegen eine Spende in Höhe von zwei Millionen USD wurde Sidiq Haftar Ehrenpräsident des dortigen Fußballklubs al-Merich. Der Guardian berichtet über ein anschließendes Treffen mit Milizenführer Dagalo, der ein großer Fan dieses Fußballklubs ist. Haftar soll bei diesem Treffen Dagalo gewarnt haben, dass sich die Armee unter al-Buran darauf vorbereite, die Dagalo-Miliz anzugreifen. Daraufhin habe Dagalo, nur einen Tag, nachdem Sidiq Haftar den Sudan verlassen hat, seine RSF-Miliz in der Hauptstadt Khartum und um den strategisch wichtigen Flughafen von Merowe in Stellung gebracht.

Könnte es nicht auch so sein, dass Haftar Dagalo das Signal zum Losschlagen übermittelte? Es ist umstritten, wer für den Beginn der Kämpfe verantwortlich ist, die Armee oder die RSF-Miliz.

Weiter heißt es beim Guardian, Haftar habe Dagalo mit Waffenlieferungen unterstützt und würde ihm Treibstoff, das im Hafen von Bengasi ankommt, liefern. Und nur wenige Tage vor Ausbruch der Feindseligkeiten habe Haftar die Verhaftung eines Stellvertreters des sudanesischen Milizenführers Musa Hilal angeordnet. Musa Hilal soll ein erbitterter Gegner von Dagalo sein. Hilals Milizen sollen in der Zentralafrikanischen Republik Wagner-Kämpfer nahe der sudanesischen Grenze in einen Hinterhalt gelockt und schwere Verluste beigebracht haben.

Die Wagner-Gruppe, ein privates russisches Sicherheits- und Militärunternehmen, streitet strikt jede Form der Unterstützung für die RSF-Miliz von Dagalo ab. Tatsächlich dürften sich im Sudan nur sehr wenige Wagner-Leute aufhalten.

Zündet der Guardian Nebelkerzen?

Auf der offiziellen Bühne erscheinen die üblichen Verdächtigen: Dagalo und die RSF-Miliz, Haftar und die LNA, Russland und die Wagner-Gruppe. Alle irgendwie miteinander verbündet und alles irgendwie undurchsichtig und verworren. Derweil der rosa Elefant im Raum wächst und wächst.

Wo sind die USA in diesem Konflikt? Wo Großbritannien, wo der Westen? Haben sie mit den ganzen Krisen in der Sahelzone nichts zu schaffen? Haben sie keine Angst, nach Mali und dem Tschad und einem wackeligen Niger auch noch aus dem Sudan verdrängt zu werden, weil die afrikanischen Staaten ihre Bevormundung und ihr koloniales Gehabe mehr als satthaben? Überlassen sie dort selbstverständlich den Russen und Chinesen das Feld, wenn das die dortigen Regierungen so wünschen? Kann die Wagner-Gruppe gerne die Öl- und Gasanlagen in Libyen bewachen und damit kontrollieren? Schauen die USA wirklich einfach nur zu und waschen ihre Hände in Unschuld? Haben sie plötzlich keine Interessen mehr an einer geopolitisch wichtigen und rohstoffreichen Region und an einem Land wie dem Sudan? Glaubt das jemand?

Es wird verschleiert, dass sich ein weiterer Stellvertreterkrieg in einem der ärmsten Länder Afrikas abspielt, in einem von Konflikten zerrissenen Land, in dem Milizen leicht zu kaufen sind und zivile Opfer als Kollateralschaden nicht groß interessieren.

Libyen und Haftar

Richtig ist, dass Haftar seit Jahren sowohl von Russland als auch von anderen Staaten wie Frankreich, den VAE und Ägypten unterstützt wird. Haftar holte die russische Wagner-Gruppe nach Libyen, zunächst um die Ölquellen vor dem Zugriff der islamistischen Gruppen und der Moslembruderschaft zu schützen, später, um gemeinsam gegen das milizenbeherrschte Tripolis zu marschieren. Gehätschelt, finanziert und hochgerüstet wurden diese militärischen Kräfte im westlichen Libyen von den USA im Verbund mit arabischen Staaten, allen voran Katar. Das Ziel war eine bisher trotz aller Bemühungen nicht wirklich gelungene Aufspaltung Libyens in drei Teile, Kyrenaika im Osten, Tripolitanien im Westen und der Fessan im Süden. Eine echte Existenzgrundlage hat Libyen nur durch den Zusammenhalt all seiner Gebiete.

Aber es ist nicht nur die russische Wagner-Gruppe im östlichen Libyen aktiv, sondern auch die USA tummeln sich auf LNA-Stützpunkten.

Seit Anfang des Jahres hat sich die politische Situation in Libyen drastisch geändert. Dazu muss man wissen, dass der LNA-Oberkommandierende und CIA-Mann Khalifa Haftar 2011 aus den USA eingeflogen wurde, um an Seite der Aufständischen und radikal-islamistischen Gruppen gegen die Dschamahirija-Regierung und Muammar al-Gaddafi zu kämpfen, wohl schon damals mit dem Ziel, kurzfristig die radikal-islamistischen Gruppen nicht zu stark werden zu lassen, langfristig das Land zu spalten. 2014 brach in Tripolis zwischen diesen Verbündeten des Jahres 2011 ein blutiger Krieg aus, in dessen Verlauf sich Haftar mit seiner Miliz in den Osten des Landes zurückzog, wo er die LNA aufbaute und gegen radikal-islamistische Gruppierungen wie al-Kaida und den IS zu Felde zog.

Haftar holte sich – wohl im Einvernehmen mit den USA – von der Wagner-Gruppe Unterstützung, um die Erdölanlagen im östlichen und südlichen Libyen vor den islamistischen Milizen zu schützen. Bereits ab 2015 hat die Wagner-Gruppe sicherheitsrelevante Aufgaben wie Schulung an und Wartung von russischen und sowjetischen Waffensystemen sowie Minenräumdienste für die LNA in Bengasi und Derna übernommen.

Was ist 2023 anders?

Der Sudan soll mit der Hilfe Haftars und seiner LNA aufgerollt und die Wagner-Gruppe aus Libyen und der Region verdrängt werden.

Anfang des Jahres 2023 hat sich der Wind komplett gedreht. Zum Erstaunen vieler Beobachter hat sich Khalifa Haftar plötzlich mit seinem bisherigen Widersacher, dem von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ installierten ‚Premierminister‘ in Tripolis, Abdulhamid Dabaiba, zusammengetan. Auch die Vereinigung der Kampftruppen im Westen und Osten Libyens ist großes Thema, während sich der UN-Gesandte Bathily um die Abhaltung von Wahlen in Libyen bemüht. Wahlen, die in naher Zukunft trotz aller anders lautenden Zusicherungen sicher nicht stattfinden werden.

Vermutlich sahen sich die USA gezwungen, ihre Libyen-Strategie zu ändern. Zum einen wurden die europäischen Verbündeten angesichts nicht enden wollender Migrantenströme immer nervöser, zum anderen schien eine Teilung Libyens am massiven Widerstand verschiedener politischer Gruppen zu scheitern. Dazu kam, dass die Türkei, die einige Militärstützpunkte im westlichen Libyen besetzt hält, für die Nato ein immer unsicherer Kantonist wird. Erdogan sieht sich vom Westen um die Früchte seiner Kooperation während des sogenannten ‚arabischen Frühlings‘ betrogen und verspricht sich für die Türkei größere Vorteile durch eine engere Kooperation mit Russland. Nicht zu vergessen, dass es im Ukraine-Krieg nicht gerade rosig für den Westen aussieht und der Abnutzungskrieg eher die USA und deren Verbündete, vorne weg Europa, als Russland wirtschaftlich zu schwächen droht.

Nun soll dem Einfluss Russlands in Libyen ein Ende bereitet und die russische Wagner-Gruppe aus Libyen und der Region gedrängt werden. Der Plan ist, nach dem Zusammenschluss der westlichen und östlichen libyschen Militärkräfte gemeinsam gegen die Wagner-Gruppe vorzugehen, selbstredend unter geheimem westlichem Kommando. Man lässt kämpfen. Um diesen Coup vorzubereiten, bemühte sich CIA-Chef William Burns Mitte Januar persönlich nach Libyen. Dort führte er Gespräche sowohl mit der Dabaiba-‚Regierung‘ im westlichen Tripolis als auch mit Khalifa Haftar im östlichen Bengasi.

Vorher bereits hatten die USA Sanktionen gegen die Wagner-Gruppe verhängt und sie in die Liste der transnationalen kriminellen Organisationen aufgenommen. RT schrieb Anfang Februar, dass die USA den Druck auf ihre Verbündeten im Nahen Osten und Nordafrika (MENA) erhöht haben, um die russische Wagner-Gruppe zu verdrängen.

Noch am 30. März 2023 hatte der UN-Sondergesandte für Libyen, Abdoulaye Bathily, den Sudan besucht, um mit dem Vorsitzenden des sudanesischen Übergangsrats, General Abdel Fattah al-Burhan Gespräche über die Rückführung der sudanesischen Söldner, die sich in Libyen aufhalten, zu führen. Dies sollte ein Schritt auf dem Weg zum Abzug aller ausländischen Truppen von libyschem Territorium sein.

Die Kämpfe im Sudan bedeuten für Libyen nichts Gutes. Abgesehen von der unsicheren Lage in den südlichen Gebieten durch das Einsickern von Kämpfern und dem Verstärken eines Flüchtlingsstroms nach Libyen werden Wahlen wieder in weite Ferne rücken – allen Bemühungen des UN-Gesandten Bathily zum Hohn. Für die libysche Bevölkerung wird dies verheerende Folgen haben, auch für die libysche Wirtschaft. Befürchtet wird sogar, dass nun eine Spaltung Libyens in nicht mehr nur drei Teile betrieben wird, sondern dass neben Kyrenaika, Tripolitanien, Fessan auch eine südostlibysche Region im Gespräch ist.

Angst vor den Auswirkungen des Sudan-Kriegs dürfte auch Ägypten haben, das eine lange Grenze mit dem Sudan verbindet. Über diese Grenze könnten nicht nur Kriegsflüchtlinge eindringen und das wirtschaftlich geschwächte  Ägypten weiter belasten, sondern sich auch durch eingesickerte, extrem-islamstische Kämpfer die Sicherheitslage massiv verschlechtern, was wiederum das Ausbleiben der Touristen zur Folge haben würde. Ein Alptraum für es-Sisi.

Der Sudankrieg kann von den USA als massives Druckmittel auf die Sahel- und Saharastaaten eingesetzt werden.

Die USA kämpfen um ihre weltweite Vorherrschaft

Im Sudan haben sich nicht wie in Libyen vorher Verfeindete versöhnt, sondern ehemals Verbündete führen nun Krieg gegeneinander. General Abdel Fattah al-Burhan ist der Vorsitzende des sudanesischen Übergangsrats, während RSF-Kommandant Dagalo sein Stellvertreter war. Mit diesem sudanesischen Übergangsrats waren die LNA unter Haftar verbündet, ebenso wie das Nachbarland Ägypten, beide in Gegnerschaft zur Moslembruderschaft und radikal-islamistischen Kräften.

In der gesamten MENA-Region haben sich jedoch die politischen Konstellationen verschoben, allerdings nicht im Sinne der USA beziehungsweise des bisher in der Sahelzone tonangebenden Frankreichs. Die bisherigen Gegenspieler Ägypten und die Türkei verständigten sich, die Türkei ist sogar bereit, Kontakte mit dem einst blutig bekämpften syrischen Präsidenten Assad wieder aufzunehmen. In MENA scheinen Kriegsmüdigkeit und Friedensliebe um sich greifen, wobei China und Russland die Federführung am Friedensprozessen übernommen haben. Sehr zum Leidwesen Frankreichs, das seine Einflusszonen verliert, und der USA, die auf „Spalte und Herrsche“ setzen, um die Staaten zu schwächen und nicht zuletzt, um ihren militärisch-industriellen Komplex am Laufen zu halten.

Die Waffen, die in den Sudan zur Vorbereitung der Kämpfe geliefert wurden, sollen folgerichtig von den Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine abgezweigt worden sein.

Grundsätzlich dürfte Russland nicht daran interessiert sein, die Kämpfe in den Staaten der Sahara und Sahelzone auszuweiten, auch weil die Kämpfer der Wagner-Gruppe dringend in der Ukraine gebraucht werden, wo eine ukrainische Gegenoffensive bevorstehen soll.

Die Erweiterung der Kampfzone, die im Sudan stattfindet, könnte auf Libyen übergreifen. Andere Staaten könnten folgen. Der Alptraum geht weiter.

https://www.theguardian.com/world/2023/apr/23/libyan-warlord-could-plunge-sudan-into-a-drawn-out-nightmare-conflict
https://libyareview.com/33994/will-sudan-unrest-exacerbate-libyas-security-risks/
https://gela-news.de/die-wueste-bebt-krieg-im-sudan