Mit dem Absturz der Tories bei den britischen Unterhauswahlen am 4. Juli 2024 dürfte auch die Karriere eines Mannes beendet sein, der nicht nur über Libyen viel Leid brachte.
So mancher wird sich verwundert gefragt haben, wieso ausgerechnet David Cameron – oder auch Baron Cameron of Chipping Norton, Nachfahre von Wilhelm V. und mit dem britischen Königshaus verwandt – am 3. November 2023 als Außenminister ins Kabinett von Rishi Sunak berufen wurde.
David Cameron, da war doch was? Tatsächlich da war was! In seiner Funktion als Parteiführer der britischen Tories (Conservative Party) von 2005 bis 2016 und als britischer Premierminister von Mai 2010 bis Juli 2016 hatte er nicht nur das – gescheiterte – Schottische Unabhängigkeitsreferendum, sondern auch den Brexit als deren Initiator zu verantworten. Schon allein deshalb war das Erstaunen groß, dass dieser politische Wiedergänger erneut zu einer politischen Karriere und dann noch als Außenminister ansetzte.
Weniger in das Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit dürfte gedrungen sein, dass David Cameron einer der Hauptverantwortlichen für den zerstörerischen Strudel war, in den Libyen 2011 gezogen wurde, und der es bis heute am Boden hält, zerrissen von den Interessen ausländischer Mächte. Politische und kriegerische Erschütterungen, ausgelöst durch den Nato-Krieg gegen Libyen, durchziehen seither die gesamte Sahelzone bis weit hinein ins Innere Afrikas. Ein Vermächtnis auch des David Cameron.
Grußbotschaft von Saif al-Islam Gaddafi an die Tories
Der libysche Präsidentschaftskandidat Saif al-Islam Gaddafi hat anlässlich der demütigenden Wahlniederlage der Tories am 4. Juli 2024 eine sarkastische Grußbotschaft an die Conservative Party gesandt. Die Botschaft beginnt mit den Worten „Have a nice journey Tories … we will miss you.“ (Gute Reise Tories … wir werden euch vermissen).
Mit den Worten: „Wherever you go and whatever you do… you will be cursed.“ (Wohin du auch gehst und was du auch tust, du wirst verflucht sein) hatte sich Saif al-Islam Gaddafi bereits einen Tag vor den Wahlen an den bis 4. Juli amtierenden britischen Außenminister David Cameron gewandt. Diese Botschaft ging auch an Mitglieder des britischen Parlaments, das britische Außenministerium und den britischen Vertreter im UN-Sicherheitsrat.
Saif al-Islam Gaddafi sind diese harschen Worte nicht zu verdenken, war es doch Cameron, der mit zu den Hauptverantwortlichen für die Zerstörung Libyens, die Folterungen und den Tod von tausenden Libyern zählt, darunter Saifs Brüder und sein Vater, Muammar al-Gaddafi. Saif al-Islam selbst erlitt bei seiner Gefangennahme im November 2011 schwere Verletzungen an seiner rechten Hand und musste anschließend über fünf Jahre in Gefangenschaft verbringen.
Seine bittere Botschaft mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Saif zu Zeiten, als er an der London School of Economic studierte und dort seinen Doktortitel erwarb, ein umschwärmter Liebling der britischen High Society war. Denn unter der Regierung von Tony Blair, der einen außenpolitischen Kurswechsel hin zu Libyen vollzogen hatte, war Muammar Gaddafi ein wichtiger Verbündeter Großbritanniens, der die von Libyen gesammelten Daten zu terroristischen Organisationen wie al-Kaida gerne an den britischen Geheimdienst MI6 weiterreichte.[1]
Der Verräter David Cameron
Die Bombardierung Libyens durch Großbritannien im März 2011 war eine Verletzung der UN-Resolution 1973. Die Resolution habe zwar die Einrichtung einer Flugverbotszone gefordert und die Ergreifung aller nötigen Maßnahmen, um Zivilisten vor Angriffen zu schützen. Keinesfalls damit abgedeckt waren aber der Einsatz ausländischer Truppen auf libyschem Boden und das Herbeiführen eines Regimewechsels. Der damalige Premierminister David Cameron gab jedoch für beides grünes Licht. Entgegen seinen anfänglichen Beteuerungen vor dem britischen Parlament bekannte er sich nur wenig später in einem Brief an US-Präsident Barack Obama und den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zu „einer Zukunft ohne Gaddafi“.
Während des aggressiven Angriffs der NATO auf Libyen führten britische Kampfflugzeuge 3.000 Einsätze durch, darunter 2.000 Luftlandungen, was etwa einem Fünftel der von der NATO in Libyen durchgeführten Einsätze entspricht. Das britische Verteidigungsministerium erklärte damals, seine Flugzeuge verschiedener Typen hätten 640 militärische Ziele in Libyen erfolgreich bombardiert.
Mehrfache Verletzung des Völkerrechts
Der damalige Chef des Verteidigungsstabes, General David Richards, erklärte im Jahr 2016 im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung, Großbritannien habe „innerhalb der libyschen Rebellen ein paar eigene Leute gehabt (enbedded)“. Curtis zog daraus den Schluss, Großbritannien habe 2011 in Libyen das Völkerrecht noch eindeutiger verletzt als das im Irakkrieg 2003 der Fall war.[2]
Ein Bericht des britischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten von 2015 enthüllte, dass sich der ehemalige britische Premierminister David Cameron auf „falsche Annahmen“ stützte, um in Libyen militärisch zu intervenieren.[3] Dies bedeutet, die Berichte wurden passend gemacht, um eine Intervention in Libyen zu rechtfertigen.
Der britische Geheimdienst und die extremistischen Islamisten
Angeblich bekämpfte der MI6 al-Kaida-Gruppen, tatsächlich arbeitete er insgeheim mit ihnen zusammen, um die damalige libysche Dschamahirija-Regierung und Muammar al-Gaddafi zu stürzen.
Im April 2018 musste der damalige britische Außenminister Alistair Burt bei einer parlamentarischen Anfrage zugeben, dass die britische Regierung während des Libyen-Krieges wahrscheinlich Kontakte zur Libyan Islamic Fighting Group (LIFG) hatte. Diese Information ist besonders heikel, da der Manchester-Attentäter Salman Abedi, bei dessen Anschlag im Mai 2017 in Manchester 22 Menschen starben, und sein Vater, Ramadan Abedi, Mitglieder der LIFG waren. Ramadan Abedi war der LIFG bereits 1994 beigetreten.[4]
Der britische Geheimdienst hat laut dem Journalisten Peter Oborne 2011 die in Großbritannien lebenden libyschen Migranten dazu ermutigt, nach Libyen auszureisen, um sich dem Kampf gegen die Dschamahirija und Gaddafi anzuschließen. Die meisten von ihnen waren LIFG-Mitglieder und kamen aus Manchester. Nach dem Tod Gaddafis konnten sie ohne Probleme nach Großbritannien zurückkehren.[5]
Obwohl David Cameron für all diese Fehlentscheidungen mit ihren verheerenden Auswirkungen die politische Verantwortung trug, war er von Rishi Sunak 2023 zum Außenminister ernannt worden. Seit dem 4. Juli hat wenigstens dieser Spuk ein Ende.
[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/spannungsfeld-libyen-al-kaida-der-westen
[2] https://www.freitag.de/autoren/gela/was-wusste-theresa-may
[3]https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11902.htm
[4] https://www.freitag.de/autoren/gela/gb-naehrte-terror-nattern-am-eigenen-busen
[5] https://www.middleeasteye.net/columns/britain-needs-full-public-inquiry-libya-war-1720645742
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