Der ehemalige französische Präsident wurde wegen illegaler Wahlkampffinanzierung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Doch sein wahres Verbrechen, die Zerstörung Libyens, bleibt ungesühnt. Sarkozy führte 2011 die internationale Koalition an, die mit Hilfe der NATO zum Sturz der damaligen Dschamahiriya-Regierung führte.
Ein Pariser Gericht sprach am 25. September 2025 Nicolas Sarkozy, von 2007 und 2012 französischer Präsident, der kriminellen Verschwörung schuldig. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Sarkozy von Libyen Gelder zur illegalen Wahlkampffinanzierung für den Präsidentschaftswahlkampfes des Jahres 2007 erhalten hat. Sarkozy wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, davon zwei Jahre ohne Bewährung. Zudem wurde ein sofort wirksamer Haftbefehl angeordnet, dessen Vollzug allerdings aufgeschoben wurde. Damit steht fest, dass Sarkozy selbst im Fall, dass er gegen das Urteil Berufung einlegt, ins Gefängnis muss. Außerdem wurde ihm eine Geldstrafe von 100.000 Euro auferlegt und er wurde von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen.
Sarkozy wäre der erste Staatschef seit Philippe Pétain, dem Chef des französischen Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte, der inhaftiert wird. Sarkozy wurde bereits in zwei früheren Prozessen wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme verurteilt, konnte jedoch stets einer Gefängnisstrafe entgehen. Im Juni 2024 wurde Sarkozy die Ehrenlegion – Frankreichs höchste Auszeichnung – aberkannt.
Eine illegale Wahlkampffinanzierung
Der Zeuge Ziad Takieddine hatte 2016 ausgesagt, er habe Ende 2006 oder Anfang 2007 mehrere in Libyen vorbereitete Koffer mit insgesamt fünf Millionen Euro in das damals von Sarkozy geführte französische Innenministerium gebracht. Vertraute Sarkozys sollen die Geldübergabe durch Mittelsmänner eingefädelt haben.
Im Gegenzug empfing Ende 2007 der frisch gewählte französische Staatspräsident Sarkozy Muammar Gaddafi mit militärischen Ehren im Élysée-Palast. Damit sollte die Rückkehr Gaddafis auf die politische Bühne Europas und damit Libyens Zugang zu internationalen Wirtschaftsverbindungen wieder ermöglicht werden. Außerdem soll Sarkozy Gaddafi politische Zugeständnisse gemacht haben, darunter die mögliche Aufhebung eines Haftbefehls gegen Gaddafis Geheimdienstchef und Schwager, Abdullah as-Senussi, der in Frankreich in Abwesenheit wegen eines Flugzeugattentats 1989 im Niger verurteilt worden war.
Die anderen Angeklagten
Nicolas Sarkozy saß nicht alleine auf der Anklagebank. Neben ihm standen zwölf weitere Personen vor Gericht, darunter drei ehemalige französische Minister, was das Vertrauen in die etablierte Politik weiter untergraben dürfte. Alexander El Gohary, der beschuldigt wurde, das Komplott vermittelt zu haben, wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt und seine sofortige Festnahme angeordnet. Claude Guéant, Sarkozys rechte Hand, und der ehemalige Minister Brice Hortefeux wurden zu sechs beziehungsweise zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Der 67-jährige Hortefeux darf seine Strafe mittels einer elektronischen Fußfessel verbüßen, während der 80-jährige Guéant aufgrund seines Gesundheitszustands nicht inhaftiert wird. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.
Das Gericht verurteilte in Abwesenheit auch Baschir Saleh, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Libya Africa Investment Portfolio, zu fünf Jahren Gefängnis, einer Geldstrafe von vier Millionen Euro und einem 15-jährigen Verbot, Verwaltungs- oder Führungspositionen zu bekleiden. Als wichtigstes Bindeglied zwischen Libyen und Sarkozys Wahlkampfteam bei der Geldüberweisung wurde ihm Geldwäsche und Korruption vorgeworfen. Er hatte für Libya Africa Investment Portolio zu einem zehnfach überhöhten Preis eine Villa bei Cannes gekauft, die einem engen Vertrauten Sarkozys gehörte.
Nachdem Baschir Saleh nicht vor dem Ermittlungsrichter erschien, wurde ein internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Dem Libya Africa Investment Portfolio wurde durch die Verurteilung Sarkozys im Rahmen einer Zivilklage eine Entschädigungszahlung von über acht Millionen Euro durch die Angeklagten zugesprochen.
Sarkozy selbst bestreitet die Vorwürfe. Sein Anwalt erklärte, Sarkozy werde Präsident Macron nicht um Begnadigung bitten, sondern seine Unschuld beweisen.
Libysche Zeugen
Bereits im März 2011, nachdem in Libyen Unruhen gegen die damalige Dschamahiriya-Regierung ausgebrochen waren, hatte der Sohn von Muammar Gaddafi, Saif al-Islam Gaddafi, gegenüber europäischen Medien erklärt, Sarkozys Wahlkampfteam habe libysche Gelder erhalten und mit drastischen Worten die Rückgabe des Geldes geforderte. Er sagte: „Sarkozy muss das Geld zurückgeben, das er von Libyen zur Finanzierung seines Wahlkampfes bekommen hat. Wir haben seine Kampagne finanziert und das können wir beweisen… Das erste, was wir fordern, ist, dass dieser Clown das Geld an das libysche Volk zurückgibt.“
In den folgenden Jahren belegte Saif al-Islam seine Anschuldigungen mit Dokumenten und Zeugenaussagen. 2012 veröffentlichte die französische Website Mediapart ein libysches Dekret zur Genehmigung der Bereitstellung von 50 Millionen Euro für Sarkozys Wahlkampf, unterzeichnet von Moussa Kusa, dem ehemaligen Sekretär des Allgemeinen Volkskomitees für Auswärtige Beziehungen und Internationale Zusammenarbeit. Saif al-Islam Gaddafi bot auch an, dass Zeugenaussagen von Abdullah as-Senussi, Libyens ehemaligen militärischen Geheimdienstchef, und Baschir Saleh, dem Gericht vorgelegt werden.
Abdullah as-Senussi machte seine Zeugenaussagen in einem libyschen Gefängnis, in dem er seit 2011 ohne ein rechtskräftiges Urteil gefangen gehalten wird. Sein Anwalt, Achmed Naschad, erklärte, dass sein Mandant mit seiner Aussage maßgeblich zur Verurteilung Sarkozys beigetragen habe. As-Senussi Vernehmung, bei der auch Beweise vorgelegt werden konnten, hatte in Anwesenheit der libyschen Staatsanwaltschaft stattgefunden.
Im Januar 2025 erneuerte Saif al-Islam in Interviews seine Anschuldigungen und erklärte, es sei Druck auf ihn ausgeübt worden, damit er seine Aussagen zurücknehme. Doch Saif al-Islam blieb dabei: Es habe eine Vereinbarung zwischen Paris und Tripolis zur Wahlkampffinanzierung von Nicolas Sarkozy gegeben.
Diese Offenlegungen mag Sarkozy zwar als Racheakt der Libyer bezeichnen, dies heißt aber nicht, dass sie falsch wären. Richtig ist: Ohne Saif al-Islam Gaddafi hätte es niemals eine Aufarbeitung von Sarkozys Finanzierungsskandal gegeben.
Weitere wichtige Beweise
Die Anklage stützte sich jedoch nicht nur auf die Aussagen von sieben ehemaligen hochrangigen libyschen Persönlichkeiten, sondern auch auf die Auswertung von Reisen nach Libyen, sowohl von Claude Guéant, Sarkozys ehemaligem Berater, als auch Brice Hortefeux, unter Sarkozy mit verschiedenen Ministerposten bedacht und seit 2011 Mitglied des Europäischen Parlaments. Jetzt wohl mit Fußfessel.
Nachgewiesen wurden bestimmte Finanztransfers und nicht zuletzt fanden sich Hinweise in den Notizbüchern des ehemaligen libyschen Ölministers Schukri Ghanem, der nach seiner Flucht aus Libyen 2012 unter mysteriösen Umständen in Österreich ums Leben kam. Sein Leichnam wurde in Wien aus der Donau gefischt.
Der Tod von Ziad Takieddine
Nur zwei Tage vor der Urteilsverkündung verstarb der ebenfalls wichtige Zeuge Ziad Takieddine. Der französisch-libanesische Geschäftsmann hatte wiederholt erklärt, dass er in den Jahren 2006 und 2007 dabei geholfen hat, bis zu fünf Millionen Euro in bar von Libyen nach Frankreich zu bringen und an Sarkozy beziehungsweise dessen Stabschef zu übergeben. Ziad Takieddine hatte ebenfalls behauptet, Gaddafi habe Sarkozy nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch für andere Zwecke Geld überwiesen.
Zwischenzeitlich hatte Takieddine seine Anschuldigungen zurückgezogen, sie dann aber wieder bekräftigt, woraufhin ein weiteres Verfahren gegen Nicolas Sarkozy und auch dessen Ehefrau, Carla Bruni, wegen des Verdachts der Aussageerpressung des Zeugen eingeleitet wurde.
Stimmen aus Libyen
Laut dem Schriftsteller und politischen Analyst Mustafa al-Fituri glauben viele, dass der französische Geheimdienst bei Muammar Gaddafis Ermordung eine Rolle spielte. Gaddafi sollte als Zeuge der illegalen Wahlkampffinanzierung aus dem Weg geräumt werden.
Fituni wirft dem französischen Gericht vor, die Konsequenzen von Sarkozys Handlungen nicht zu berücksichtigen, angefangen mit seiner Intervention in Libyen im Jahr 2011 und dem anschließenden Zusammenbruch des Landes bis zu einer noch nie gekannten Migrationsproblematik im Mittelmeerraum. Die Auflösung des libyschen Staates habe es dschihadistischen Netzwerken ermöglicht, sich auch in der Sahelzone auszubreiten.
Dies alles gehe weit über einen Finanzskandal hinaus. Das französische Gericht habe zwar illegale Finanzierungen geahndet, nicht aber das von Sarkozy mitverschuldete Blutvergießen. Sarkozys Abenteuer halle in Afrika noch immer nach und auch nach 14 Jahren habe sich Libyen noch nicht erholt. Al-Fituri bezeichnet Nicolas Sarkozy als Kriegsverbrecher.
Der Groll gegenüber Frankreich habe sich vertieft und die antifranzösische Stimmung sei gewachsen, angeheizt durch neokoloniale Arroganz und gebrochene Versprechen. Noch immer blieben diejenigen straflos, die dies alles unter dem Deckmantel der Moral orchestrierten.
Auch der ehemalige mauretanische Außenminister Isselku Old Achmed Ezidbeh bezieht sich auf den verheerenden Krieg, den Sarkozy 2011 gegen Libyen begann und mit dem die Zeugen seines Verbrechens beseitigt werden sollten. Als weitere Gründe für die Aggression Frankreichs gegen Libyen nennt Ezidbeh die Verhinderung der monetären und wirtschaftlichen Integration des afrikanischen Kontinents und der Versuch der Vorteilsnahme gegenüber des italienischen Ölkonzerns ENI.
Mit diesem Krieg sei unter dem Schlagwort „arabischer Frühling“ nicht nur Libyen selbst zerstört, sondern auch die Stabilität der gesamten Sahelzone gefährlich erschüttert worden. Die Justiz sei aufgerufen, einen Rahmen zu finden, innerhalb dessen Sarkozy eben dieser Verbrechen angeklagt wird.
Achmed Gaddaf ad-Dam, ehemals Koordinator für die Beziehungen zwischen Libyen und Ägypten, forderte den jetzigen französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf, eine Untersuchung über die wahren Gründe für die französische Militärintervention 2011 in Libyen einzuleiten. Nicolas Sarkozy gehöre wegen schwerer Verstöße gegen das Völkerrecht vor Gericht gestellt. Er habe im UN-Sicherheitsrat auf Sanktionen gegen Libyen gedrängt und die NATO-Intervention unterstützt. Alle später ans Licht gekommenen Fakten hätten bestätigt, dass 2011 eine schwerwiegende Aggression gegen ein Land begangen wurde, das für Afrikas Sicherheit unverzichtbar war.
Die Verurteilung von Nicolas Sarkozy bringt noch lange keine Gerechtigkeit für das zerstörte Libyen, eine kleine Genugtuung ist sie aber allemal. Und wie von Saif al-Islam Gaddafi gefordert, müssen Millionen an Libyen zurückgezahlt werden.
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