Rezension. In seiner Schrift „Der Notfallkapitalismus und die Kapitulation der Linken“ beschreibt Fabio Vighi den zerstörerischen Weg des senilen Krisenkapitalismus, den dieser rücksichtslos zu seiner eigenen Rettung eingeschlagen hat, und die Blindheit der Linken, deren überholte Denkschablonen verhindern, dies zu erkennen.

Das Heft „Der Notfallkapitalismus und die Kapitulation der Linken“ ist eine Fortsetzung und Ergänzung der vorangegangenen Schrift „Notfallkapitalismus“. Doch was genau ist unter dem Begriff „Notfallkapitalismus“ – auch „Katastrophen“-, „Krisen“- oder „Zombiekapitalismus“ überhaupt zu verstehen? Und warum hat „die Linke“ kapituliert?

Laut Vighi zeichnet sich der Notfallkapitalismus durch die Schaffung von Krisen aus, die nötig sind, um den vor dem Kollaps befindlichen Finanzkapitalismus am Leben zu erhalten. Die immer stärkere Automatisierung und die abnehmende Profitrate in der realen Wirtschaft bewirkten eine Flucht des Kapitals in die Finanzspekulation und erschaffen dort riesige Spekulationsblasen. Um eine Hyperinflation zu vermeiden, dürfe das Kapital nicht in die reale Wirtschaft gelangen, sondern werde mittels „Krisenmanagement“ – Corona und Krieg – in Spekulationsblasen der Finanzmärkte umgeleitet.

Die Linke sehe zwar, dass die im Kapitalismus eingepreisten zyklischen Phasen inzwischen in eine strukturelle Dauerkrise übergegangen sind, die über immer noch mehr Kredite und in Folge noch höhere Schulden vor der Implosion bewahrt werden soll. Das Neue dabei – die Auflösung des alten Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital durch das Finanzkapital – werde jedoch von der Linken übersehen. Heute erfolge Kapitalvermehrung nicht mehr nur durch die Ausbeutung der Arbeitskraft, sondern Reichtum werde durch eine Simulation von Wachstums ohne Substanz erzeugt. Deshalb müsse die Fragestellung aktualisiert werden, nämlich wie man nicht nur den Kapitalismus, sondern auch die Lohnarbeit überwinden kann.

Vighi weist darauf hin, dass in den letzten Jahren nicht nur die Finanzmärkte manipuliert und systemisch verzerrt wurden, sondern auch die Realität. Die neue kapitalistische Ära basiere auf Manipulation und Kontrolle. Indem das System einen Sündenbock aufbaut – siehe Corona und Russland – gelinge es ihm zwar nicht, das Problem zu lösen, aber zumindest, es aufzuschieben.

Das gegenwärtige Wirtschaftssystem befinde sich in einem ständigen Defizitzustand, das immer mehr inflationäres Bargeld erfordert, das es in Form von Derivaten wie ein schwarzes Loch ansaugt – ein System, das im Zusammenbruch enden müsse. Die Herrschenden seien deshalb bemüht, es vorher kontrolliert mittels selbst gemachter Krisen zu zerstören, um eine neue monetäre Infrastruktur aufzubauen, die voraussichtlich auf der digitalen Währung der Zentralbank basieren wird. Diese Krisen müssten für die Menschen so traumatisierend sein, dass sie bereit wären, die „neuen digitalen Ketten nicht nur zu akzeptieren, sondern darum zu betteln.“

Vighi hält sowohl neokeynesianische als auch neoliberale Konzepte für Schnee von gestern, mit denen es nicht möglich sei, die kapitalistische Produktionsweise wiederzubeleben. Ob es zu einem deflationärem Marktcrash oder zu einem hyperinflationären Zyklus kommt, in jedem Fall werden die Eliten die digitale Verwaltung des Geldes durch die Zentralbank als Lösung anbieten, ein „digitaler Impfstoff“ sozusagen.

Der stetige Rückgang des Wirtschaftswachstums erfordere eine zunehmende Geldschöpfung, um die Schuldentilgung bedienen zu können, was zu einer „grotesken Abhängigkeit von der Kreditschöpfung geführt hat.“ Da sich das Kapital nur noch schwer durch Profitinvestitionen reproduzieren ließe, werde die Abhängigkeit von Kredit zu einer chronischen Sucht. Und „je größer die Kluft zwischen realem Kapital und fiktivem Kredit wird, desto größer wird auch das Potential für einen systemischen Zusammenbruch“.

Kriege – Globalisierung – Wirtschaftscrash

Als Hauptursache für militärische Konflikte sieht Vighi das Ausufern der Globalisierung bei gleichzeitigem sozioökonomischen Zusammenbruch. „Seit 2011 führen die USA ununterbrochen Krieg, der […] direkt und indirekt rund 4,5 Millionen Todesopfer forderte.“ Die USA verursachten aufgrund des Zusammenhangs zwischen ihrer globalen wirtschaftlichen Dominanz und ihrem militärischen Komplex Chaos, mit dem Ziel, ihre Wirtschaftshegemonie noch länger aufrechtzuerhalten. Dabei ermögliche es die Ausweitung der Schulden, das riesige Militär im In- und Ausland zu finanzieren, gestützt vom Dollar als Weltreservewährung. Der Krieg gegen das Virus sei nahtlos durch einen echten Krieg ersetzt worden. Aber auch Chinas Wachstum stütze sich seit der globalen Finanzkrise von 2008 auf Kredite. Deshalb sei die im Entstehen begriffene multipolare Weltordnung von derselben „selbstzerstörerischen Tendenz geprägt wie die strauchelnde kapitalistische Produktionsweise“.

Die Unfähigkeit der Linken zu Erkenntnis

Ein ganzes Kapitel widmet der Autor Skavoj Žižek der Unfähigkeit der Linken zu erkennen, wie die Coronavirus-Krise […] den Aufstieg des autoritären Kapitalismus beschleunigte. Das Fehlen jedweder linken Opposition sei ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der neoliberalen Revolution. Um den Zusammenbruch des Kapitalismus zu verhindern, werde versucht, „unsere Identität von einer konsumorientierten zu einer rechtlich entmachteten“ umzugestalten, auch mit autoritären Mitteln. „Der Kapitalismus erfindet sich als voll digitalisierte feudale Technologie neu.“ Das Virus habe nicht globale Solidarität entfaltet, sondern einen „gewaltsamen Prozess der ‚schöpferischen Zerstörung‘ (J.A. Schumpeter)“, der darauf abziele, „sozioökonomische Apartheit zu installieren“. Nötig sei deshalb, kollektive Formen des Widerstands zu entwickeln, um nicht als Sklaven in einem „neofeudalen Inferno“ aufzuwachen.

Triebkräfte des senilen Kapitalismus

Der Autor sieht fünf Triebkräfte des senilen Kapitalismus, zu denen er ausführlich Stellung nimmt. Schulden seien nötig zu Liquiditätsbeschaffung, um diese Gelder in Form von Krediten in die Wirtschaft einzuschleusen. Durch billige Kredite käme es zu Finanzblasen, deren Platzen vermieden werden soll. Es werde eine kontrollierte Zerstörung der „Arbeitsgesellschaft“ notwendig, um die spekulativen Märkte zu erhalten. Der Konsumkapitalismus wandle sich und werde zum Manager der kollektiven Verelendung. Die Endphase des Blasen-Kapitalismus zeichne sich durch permanente Ausnahmezustände und Krisen aus. Zur Realisierung sei die Errichtung einer ‚Hyper-Realität‘ mittels Manipulation und medialer Propaganda nötig.

Ausführlich behandelt werden die Themen Covid, Ukraine, Israel – als austauschbare Notfälle, um eine kontinuierliche Liquiditätszufuhr auf den Anleihemärkten zu gewährleisten und Geld aus dem Nichts zu generieren. „Dem Kapital ist dem Ausmaß des Leids, das es der Menschheit zufügt, völlig gleichgültig“, wenn es gilt, dem Trieb zur Profitmaximierung zu folgen. Mit dem auch gegen Verschwörungstheorien ausgerufenen Krieg soll jegliches kritisches Denken zum Schweigen gebracht werden.
Vighi sieht „die Bühne für einen neuen 11. September“ bereitet.

Laut dem Autor „kann das dominante, aber hoch verschuldete Finanzkasino […] nur durch die kontrollierte Zerstörung der Überreste der produktiven Wirtschaft aufgebläht bleiben“. Es gebe kein Zurück zu „guten alten Zeiten“, die „nostalgische Sehnsucht nach Massenarbeitsgesellschaft des Fordismus der Nachkriegszeit sei eine Chimäre.

Die Logik des Krisenkapitalismus setze die Aufnahme von ständig neuen Krediten voraus, um die Finanzblasen zu befeuern. „Die Rückkoppelungsschleife aus Schulden, Finanzen, imperialistischem Restwahn, wirtschaftlichem Abschwung und ideologischer Wahrnehmungssteuerung werde noch jahrelang anhalten.

Finanzkasino – Kryptowährung – Schulden

Gerade „reitet der Casino-Kapitalismus auf einer riesigen Welle der Krypto-Ekstase“, die von Donald Trump angetrieben werde. Der Versuch, Kryptowährungen in den Mainstream zu bringen, gepaart mit einer weiteren Deregulierung des Bankenwesens, diene dazu, „das gesamte System in das globale Panoptikum der vollständigen Tokenisierung zu integrieren“. Die Arbeitsgesellschaft löse sich „nun in einer atomisierten ‚Dschungelgesellschaft‘ auf, in der traditionelle Klassenunterschiede nicht mehr gelten.“
„Der strukturelle Zusammenbruch des Sozialvertrags zwischen Arbeit und Kapital, der die moderne liberale Ordnung stützt, kann nur zu einem Anstieg des institutionellen Zynismus führen.“

Der Autor geht auch ein auf Berlins Mega-Konjunkturpaket sowie auf das von-der-Leyen-Projekt Re-Arm Europe sowie auf die Aufhebung der Beschränkungen für Defizitausgaben, sofern sie für Krieg verwendet werden, wobei die Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes mit gezielter Rhetorik, die der Angstmache dient, der Bevölkerung schmackhaft gemacht werden soll. Die „kapitalistische Produktionsweise hat längst ihre wahre Natur als Produktionsweise der Zerstörung bestätigt“.

Donald Trump – Zollpolitik – Zinssenkungen

Das letzte Kapitel widmet Vighi der Zollpolitik von Donald Trump. Seine wechselhafte Handelspolitik hält er für ein Ablenkungsmanöver, eine Konjunkturabschwächung für erwünscht.

Die Zahlen sprechen für sich: Bis Ende 2025 müssen die USA rund neun Billionen US-Dollar an fälligen Schulden refinanzieren, dazu kommt ein Staatsdefizit von annähernd zwei Billionen US-Dollar – ohne „den US-Dollar als globale Reservewährung hätte dieses massive Ungleichgewicht bereits zu einer Zahlungsunfähigkeit geführt“. Es müssten daher die Zinsen für diese gigantischen Schulden um jeden Preis deutlich sinken – möglich gemacht, indem die Renditen für Staatsanleihen sinken. Denn mit jedem Basispunkt Zinssenkung könnten Zinsen in Milliardenhöhe eingespart werden. Unter diesen Umständen könnten sich eine Rezension und ein finanzieller Abschwung als positiv erweisen, da dadurch eine Zahlungsunfähigkeit vermieden werden könne.

Die Schuldenfalle, in die sich der Westen begeben habe, verdeutliche auch die Finanzlage in Japan mit der weltweit höchsten Schuldenquote von rund 250 Prozent. Europa selbst scheint nichts anderes tun zu können, „als seine Nacktheit hinter einem grotesken Wettrüsten zu verstecken“, um die Finanzblasen aufrechtzuerhalten.

Das hoch verschuldete Finanzkasino könne nur durch die kontrollierte Zerstörung der restlichen produktiven Wirtschaft am Laufen gehalten werden und dazu müsse die reale Nachfrage methodisch unterdrückt werden, während gleichzeitig fiskalische Ausgaben in unerschwinglicher Höhe zur Rettung der Märkte getätigt werden. Um nicht hinter die Kulissen dieses abartigen Spiels zu blicken, werden politische Spaltungen inszeniert: „politisches Theater als groteske Krisenbewältigung“.

Fabio Vighi: „Entweder wir wachen auf und finden Wege, uns diesem ruinösen Weg zu widersetzen, oder wir werden von ihm überwältigt.“

 

Wolfram Elsner weist in seinem Vorwort darauf hin, dass Fabio Vighi kein Ökonom und auch kein Finanzexperte, sondern Professor für Kritische Theorie ist, deshalb sei er auch nicht verpflichtet, Lösungsansätze zu entwickeln. Seine Arbeit bestehe in der „wichtigen Ideologiekritik einer kriegsgeilen ‚Grün‘-Ideologie oder auch einer neoliberal verwirrten Linken“.

Eine Bestätigung der Thesen von Fabio Vighi findet sich aktuell in der zutiefst zynischen Schlagzeile von Boerse-Express vom 21. November, die da lautet: „Rheinmetall Aktie: Friedensangst schockt Anleger“.

Um einen Ausweg der Menschheit aus der vorgezeichneten Katastrophe zu finden, ist eine schonungslose Analyse der bestehenden Verhältnisse – gerade angesichts der Vernebelungstaktikten der Herrschenden – unabdingbar. Hierzu leistet Fabio Vighi einen wertvollen Diskussionsbeitrag.

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Fabio VighiDer Notfallkapitalismus und die Kapitulation der Linken
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Wolfram Elsner
Schriftenreihe des Forum Gesellschaft & Politik e.V.
pad Verlag 2025, 82 Seiten, 7 EUR
zu beziehen über: pad-verlag@gmx.net

Von Fabio Vighi erschienen ebenfalls in der Schriftenreihe Forum Gesellschaft & Politik:

Fabio VighiNotfallkapitalismus
Texte zur politischen Ökonomie des in Agonie befindlichen ‚senilen Kapitalismus‘
pad Verlag 204, 96 Seiten, 7 EUR

Fabio Vighi „Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals“
mit einem Vorwort von Rudolph Bauer
pad Verlag, 2024, 80 Seiten, 7,00 €
https://gela-news.de/last-exit-pandemien-und-kriege-oder-die-spur-des-geldes