Zusammenstöße von Milizen in Tripolis / Viele Konferenzen – Umsetzung der Resultate fraglich / Forbes: Moslembrüder an Frieden nicht interessiert

+ 02.10.: Bürgermeister von 19 libyschen Gemeinden rufen zu Parlamentswahlen spätestens bis Februar 2021 auf. Die Wahlen sollen auf der Grundlage der Verfassungserklärung des bisherigen Wahlgesetzes stattfinden. Der Präsidialrat der ‚Einheitsregierung‘ wird aufgefordert, die dafür notwendige Unterstützung zu leisten. Die UN-Sondermission für Libyen solle die Wahlen überwachen und eine freie und faire Stimmabgabe gewährleisten.
Das neu gewählte Parlament soll maximal und ohne Option auf Verlängerung zwei Jahre im Amt bleiben. Seine vorrangige Aufgabe sei die Einigung über die künftige Verfassung des Landes. Es sollten keine Posten mehr nach Quoten oder regionaler Zuweisung erteilt werden. Den politischen Gesprächen werde kein Vertrauen mehr entgegengebracht, der politische Prozess habe sich von den Vorstellungen und Wünschen des libyschen Volkes weit entfernt.
https://libyareview.com/6967/

+ 02.10.: Zusammenstöße zwischen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ im Südwesten von Tripolis: Bewohner ersuchen um Evakuierung aufgrund der schweren Kämpfe zwischen dem Zinten-Bataillon von Emad Trabelsi und der Zawiya Force. Bereits letzte Woche erschütterten Tripolis Kämpfe zwischen zwei Milizen der ‚Einheitsregierung‘.
https://libyareview.com/6970/

+ 05.10.: Eine gewaltige Explosion in Tripolis erschütterte das Hauptquartier der Fursan-Janzour-Miliz. Es scheint ein Munitionslager explodiert zu sein, Rauschschwaden stiegen auf.
https://addresslibya.net/archives/59877
https://twitter.com/NadiaR_LY/status/1313042870333509632/photo/1

05.10.: Bewaffnete dringen in den Flughafen von Tripolis ein und umstellen ihn.

https://libya.liveuamap.com/en/2020/5-october-libya–an-armed-group-enters-tripoli-airport-and

+ 02.10.: 2. Sirte-Konferenz. Die Vorbereitungen für die zweiten Sirte-Konferenz, die am 10. Oktober stattfinden soll, sind laut dem Außenminister der Übergangsregierung (Tobruk), Abdel-Hadi al-Hwaidsch in vollem Gange. Al-Hwaidsch wies darauf hin, dass es sich um eine hochrangig besetzte, nationale Konferenz handle, die innerhalb Libyens stattfinde. Es werde der ernsthafte Versuch unternommen, einen Fahrplan zur Lösung der libyschen Krise zu erstellen. Er sprach auch darüber, wie es um die Menschenrechte angesichts von Konflikten und Krieg in Libyen bestellt ist.
https://libyareview.com/6947/

+ 03.10.: 2. Sirte-Konferenz: Al-Hwaidsch traf mit dem Parlamentspräsidenten Agilah Saleh zusammen, um den Ablauf der zweiten Sirte Konferenz festzulegen. Diese Konferenz soll historische Anknüpfungspunkte schaffen, die zur Stärkung nationaler Prinzipien wie Einheit und Souveränität des Landes beitragen sollen. Es wird eine unabhängige politische Lösung zur Beendigung des Libyenkonflikts angestrebt. Zu Frieden, Auflösung der Milizen und der Beendigung von Chaos und Terrorismus wird aufgerufen.
https://libyareview.com/7007/

+ 02.10.: Genf-Vorgespräche in Bouzinka: Im ägyptischen Bouzinka begann die zweite Runde der Gespräche zwischen dem Hohen Staatsrat und dem libyschen Parlament, die als Vorbereitung für den Genfer-Dialog unter UN-Schirmherrschaft gelten. Es wird darüber diskutiert, welche Personen welche Positionen in der dann fünften Übergangsphase seit 2011 einnehmen sollen. Es geht um die Postenbesetzung bei Zentralbank, Generalstaatsanwaltschaft, Öl- und Investitionsinstitutionen, Aufsichts- und Rechnungsführungsorgane sowie die Kommission zur Bekämpfung der Korruption.
Kritisch zu den Genfer Gesprächen hat sich die Verfassungsrechtlerin Azza Maghur geäußert.
https://libyareview.com/6989/
https://www.freitag.de/autoren/gela/der-genfer-un-plan-wird-konflikte-verschaerfen
Bereits der Vorsitzender des Hohen Rates Khaled al-Mishri hatte die Bouznika-Gespräche als „unverbindlich und informell“ heruntergespielt; keine Institution wäre bereit, ihren Sitz in Tripolis zu verlassen. Auch Agila Saleh hatte sich kritisch gegenüber der Zuweisung von Posten an bestimmte Personen geäußert. Dabei waren die Teilnehmer an den Gesprächen doch von Saleh und Mishri handverlesen ausgesucht, was in den jeweiligen Institutionen wiederum zu Ärger führte.
Grundsätzlich hat die libysche Bevölkerung jegliches Vertrauen in jeden politischen Prozess verloren, egal, ob UN-gestützt oder nicht.

+ 06.10.: Bouzinka-Treffen: Der Oberste Justizrat Libyens (SJC) gab seine Ablehnung der Ergebnisse der Bouznika Treffen (Marokko) bekannt. Er bezeichnete sie als ausländische Einmischung und als Verletzung der Souveränität und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verteilung der Posten nach einem geographischen Proporz entspreche nicht den Interessen der Libyer. Die Zuständigkeiten müssten dem Volk gerecht werden und sähen keine Unterscheidungen zwischen Ost, West und Süd vor.
Die Ernennung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs könne nur in Absprache mit der Generalversammlung des Obersten Gerichts erfolgen, der Generalstaatsanwalt könne nur nach Rücksprache mit dem Obersten Justizrat ernannt werden. Nach Abschluss der Konsultationen mit dem Obersten Gerichtshof und dem Obersten Justizrat besetze anschließend das gewählte Parlament diese Ämter.
https://libyareview.com/7056/
Der Oberste Justizrat folgt damit auch der Argumentation der Verfassungsanwältin Azza Maghur:
https://www.freitag.de/autoren/gela/der-genfer-un-plan-wird-konflikte-verschaerfen

+ 05.10.: Die Teilnehmer der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar diesen Jahres beraten erneut per Videokonferenz über das weitere Vorgehen. Sprich – wie sich ihre 2011 gehegten Pläne für eine Neokolonisierung Libyens doch noch durchsetzen lassen könnten. Dabei sind USA, Russland, Türkei, Ägypten, Frankreich, Deutschland und weitererNationen und internationale Organisationen. Die eigentlichen Konfliktparteien sind in der nun tagenden Runde jedoch nicht vertreten. Sie lieber gleich gar nicht einladen, als sie wieder vor der Türe warten lassen und ihnen dann die Ergebnisse mitteilen- so wie bei den Berliner Libyen-Gesprächen im Januar.
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-19-uhr/videos/beratungen-buergerkrieg-libyen-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-konferenz-123.html
Ein Versuch der EU und Deutschlands, doch noch einen Zipfelchen Einfluss zu bekommen.
Nicht vergessen: Libyen wurde 2011 durch die Nato in einen failed state gebombt und den verschiedenen ausländischen Interessen zum Fraß vorgeworfen.

+ 04.10.: EU-Sanktionen. Die EU hat den libyschen Parlamentspräsidenten Agila Saleh und Nuri Abu Sahmain, den ehemaligen Chef des Allgemeinen Nationalkongresses, von der Sanktionsliste gestrichen. Die beiden Politiker unterlagen seit 2016 einem Reiseverbot und dem Einfrieren von Vermögenswerten.
https://libyareview.com/7034/

+ 03.10.: Sanella (NOC) will Sanktionen gegen Kritiker. Der Vorsitzende der National Oil Company (NOC), Mustafa Sanella, hat die UN aufgerufen, 19 Personen, die er für die Ölblockade verantwortlich hält, auf eine Sanktionsliste zu setzen. Dazu zählen Scheich as-Senussi al-Heliq az-Zawi, der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Rates der libyschen Scheichs und Ältesten Belgasem Qreish, einer der Ältesten von Zintan und der Leiter der Petroleum Facilities Guard (PFG), Naji al-Maghribi, der Sprecher der LNA Generalmajor Ahmed Al-Mismari, die Blogger Issa Rashwan und Mahmoud Muhammad al-Aram sowie der Radiomoderator Muhammad Amtalal sowie überraschenderweise auch Major Masoud Dscheddi, Kommandeur der 116. Infanteriebrigade, der in Sebha am 15. September die wichtigste Anti-IS-Operation durchführte. Außerdem auf der Liste Scheich Muhammad Saad sch-Schatra aus Adschdabiya und Muhammed Khalifa al-Megrahi aus Sebha.
Ein Rundumschlag nicht nur gegen alle kritischen und missliebigen Personen, sondern auch gegen die Pressefreiheit. Sieht so ein Signal für Frieden und Aussöhnung aus? Al-Aram, der immer wieder die Umweltverschmutzung durch die Ölförderung anpangerte und sich an den jüngsten Protesten beteiligte, meldete sich zu Wort: Er besitze in den USA weder Immobilien noch Millionen von Dollar, er müsse sich also keine Sorgen machen.
https://libyareview.com/7005/

+ Öffnung der Ölanlagen: Laut Haftar bleibt das Abkommen zur Öffnung der Ölanlagen, das mit russischer Vermittlung in Sotschi beschlossen wurde, zunächst auf 30 Tage begrenzt, wobei die politischen Akteure bis zum 17. Oktober Zeit haben, es zu bestätigen und langfristige Mechanismen für die Einnahmenverteilung festzulegen. Das aus Ölvorkommen erzielte Einkommen wird bis zu einer endgültigen Einigung eingefroren.

+ 05.10.: Memoranda of Understanding bei UN eingetragen. Das Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘ gab bekannt, dass die beiden libysch-türkischen Memoranda of Understanding (MOUs) vom November 2019 offiziell in das Vertragsregister der Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Das eine Memorandum betraf die Seegrenzen zwischen beiden Ländern, das andere die militärische Zusammenarbeit. Ersteres wurde durch das Abkommen zwischen Ägypten und Griechenland über die gemeinsamen Seegrenzen praktisch außer Kraft gesetzt, das zweite widerspricht den UN-Sicherheitsratsbeschlüssen zum verhängten Waffenembargo. Das libysche Parlament lehnte beide Abkommen ab.
Wie diese beiden Abkommen es wohl jetzt doch in das UN-Vertragsregister geschafft haben? Der Eintrag soll allerdings nur ein formales Verfahren sein, das weder Legitimität verleiht noch die Anerkennung durch die UNO impliziert.
http://en.alwasat.ly/news/libya/297332

+ 02.20.: Moslembruderschaft an Frieden in Libyen nicht interessiert. In einem Artikel des Forbes Magazins, der sich mit der Öffnung der libyschen Ölanlagen beschäftigt, heißt es, die Moslembruderschaft habe kein Interesse an einem dauerhaften Frieden in Libyen. „Der Erfolg des Abkommens könnte auch von der Rolle der Fraktion der Moslembruderschaft innerhalb der ‚Einheitsregierung‘ abhängen. Der Staatsratsvorsitzende und Khaled al-Mishri und der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ Fathi Bashagha sind hochrangige Politiker innerhalb des ‚Einheitsregierung‘, die enge Verbindungen zu der islamistischen Extremistengruppe unterhalten und von der türkischen Regierung und Katar unterstützt werden. Al-Mishri hat Friedensinitiativen des tunesischen Präsidenten abgelehnt und wurde beschuldigt, auf der Gehaltsliste Katars zu stehen. Bashagha wurde von as-Sarraj wegen des Vorwurfs zu enger Beziehungen zur Türkei und des Machtmissbrauchs bei der Unterdrückung von Demonstrationen in Tripolis suspendiert. Darüber hinaus hat die Muslimbruderschaft kein Interesse an einem dauerhaften Frieden zwischen beiden Parteien und zieht es stattdessen vor, die Gespräche zu untergraben und weiterhin zu taktieren, um ihren Einfluss in Libyen auszubauen.
In der Hoffnung, bei den Neuverteilung von Verträgen ganz vorne dran zu sein, versuchen viele geopolitische Akteure (darunter die Türkei, Katar, Italien, Ägypten, Russland, Frankreich und die VAE), unterschiedliche libysche Fraktionen bei diesen Verhandlungen zu stärken.“
Forbes beschuldigt auch die NOC und damit Mustafa Sanella, das laut Forbes neben ‚Einheitsregierung‘ und LNA die drittstärkste Fraktion in Libyen darstellt, nicht an der Wiedereröffnung der Ölanlagen interessiert zu sein, da sie dadurch ihr Entscheidungsmonopol im Ölbereich gefährdet sieht. Deshalb weigere sie sich, in bestimmten Ölanlagen den Ausnahmezustand aufzuheben unter dem Vorwand, dort befänden sich bewaffnete Gruppen. Die NOC ist nach Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats die einzige Stelle, die zum Export von Erdöl berechtigt ist.
Bezüglich der Türkei schreibt Forbes: „Die Türkei, eine Bastion der Muslimbruderschaft und zunehmend destabilisierende geopolitische Kraft in der Region, hat sich dem Abkommen bisher nicht öffentlich widersetzt. Es könnte sein, dass den Interessen Ankaras in Libyen – bei denen es um umstrittene Seegrenzen und Tiefseebohrrechte im östlichen Mittelmeer geht – besser gedient ist, wenn die ‚Einheitsregierung (die ihre Forderungen unterstützt) finanziell gut ausgestattet ist. Doch wie ihre Positionierung in Libyen, Syrien, Katar und jetzt Armenien zeigt, kann die Außenpolitik der Türkei als neoimperialistisch oder neo-osmanisch bezeichnet werden. Noch nie zuvor war das Land diplomatisch so isoliert. Viele sehen in der offensichtlichen Unterstützung der extremistischen Muslimbruderschaft die treibende Kraft, warum sich die arabischen Länder kollektiv diplomatisch Israel zuwenden. Die internationale Gemeinschaft muss der Rolle der Türkei in Libyen Grenzen setzen, wenn Stabilität und Versöhnung das letztendliche Ziel sein soll“.
https://www.forbes.com/sites/arielcohen/2020/10/02/libya-may-stage-a-strong-comeback-to-global-oil-markets/#2e5dc1f5362d

+ 03.10.: Der Finanzminister der ‚Einheitsregierung‘ Faraj Boumtari sagte, der libysche Bankensektor sei vollständig gelähmt. Dem Privatsektor würden keine Kredite mehr gewährt. Da ein Unterschied bis zum vierzigfachen zwischen den Gehältern bestehe, müsse eine faire Gehaltsskala eingeführt werden. Angestellte hätten seit Jahren keine Gehälter mehr erhalten, vorgesehene Gelder für den Süden seien von der Libyschen Zentralbank nicht ausbezahlt worden. Es sollen 30 (!) Studien in Auftrag gegeben werden, um dem Privatsektor beim Start neuer Projekte zu helfen.
https://libyareview.com/6979/
Das bringt vor allen denen etwas, die die Studien durchführen.

+ 04.10.: Entführungen. Wiederum wurden ausländische Arbeiter in Libyen entführt, um Lösegeld zu erpressen. Diesmal handelt es sich um sieben Inder, die für eine indische Gesellschaft tätig waren.
Vor einer Woche war nach einer Entführung die Befreiung von ägyptischen Arbeitern geglückt, die inzwischen nach Hause zurückkehren konnten.
https://libyareview.com/6992/

+ 06.10.: Die offizielle Arbeitslosenrate in Libyen beträgt derzeit etwa 14 Prozent.