Rezension: „Golo spaziert – Das Land der sicheren Freiheit“ von Teer Sandmann
In seinem Roman „Golo spaziert“ bricht der Autor Teer Sandmann eine Lanze für das gegen den Strich gebürstete Denken und reiht erbarmungslos klugen Satz an klugen Satz, unversehens von Realismus zu Surrealismus wechselnd. Das sprach- und bildgewaltige Werk mit Wortschöpfungen, die auf der Zunge zergehen, könnte auch den Titel tragen: Gedanken auf Spaziergängen über den ganz normalen Wahnsinn – eine Generalabrechnung.
Folgt man dem Gedankenlabyrinth von Teer Sandmann, stellt sich genüssliches Staunen ein ob der genauen Alltagsbeobachtungen, die oft in kafkaesken Szenen enden, wie die Schilderung eines Konzerts für Hörgeschädigte, in dessen Verlauf ein alter Mann immer wieder den Konzertablauf stört, weil ein Scheinwerfer verrutscht.
Kleine Alltagsbeobachtungen, in denen sich die heutige Zeit verdichtet. Der Autor nähert sich Autoren, Regisseuren, Musikstücken, die mit seiner Biographie verknüpft sind und die auch in der Biographie vieler Leser eine Rolle spielen dürften, die Erinnerungen wachrufen an eine Zeit, in der zwar das Land, aber noch nicht „die sichere Freiheit“ existierten.
Liest man die auf besondere Art grafisch gestalteten Buchstaben, die die Kapitel einleiten, ergeben sie von innen nach außen das Wort GOTT, von außen nach innen allerdings den Begriff TOT. Oder es ist das Wort LOGO erkennbar, das aber auch GOLO heißen könnte. Und so haben in dem Roman abwechselnd Gott und der Spaziergänger Golo das Wort, außer es ist ein Abschnitt einem Kurs der VHS/Volkshochschule gewidmet.
Golo hat Zeit und spaziert. Und macht sich dabei so seine Gedanken über die Welt und Gott, der in dem Roman seine eigenen Auftritte hat und abrechnet mit Richtern, Staatsanwälten und Politikern, die er alle töten will und die in ihrer Selbstgerechtigkeit gefangen um ihr Leben betteln. Die Presse übernimmt den Part des Gegenspieler Gottes. Deshalb wird Gott die Journalisten töten, um die Welt zu retten. So ist es nur folgerichtig, dass die demokratischen Parteien Gott vom Verfassungsschutz beobachten lassen. Bleibt zu klären, ob Gott bereits gestellt ist, ob es ihn gar nicht gibt oder ob er eine Software, ein Social-Bot ist. Nicht nur über diese Fragen verzweifelt Gott, während er auf einem Balkon am Ohridsee sitzt und neben Tolstoi, Dostojewskij und Faukner auch über Auschwitz nachdenkt und sich in einem Film von Theo Angelopoulus wähnt, bevor er in Amsterdam durch ein Mondrian-Gemälde in den Himmel entschwebt.
Golo ist erfasst vom gerechten Zorn über einen ad absurdum geführten Freiheitsbegriff, genannt die „sichere Freiheit“. Nicht zufällig durchziehen Twin-Peaks-Szenen das Buch: der Zwerg, der Riese, das Schachbrettmuster, die roten Vorhänge, das Grammophon. Das Grauen und die Abgründe, die sich hinter dem allgegenwärtigen Spießertum auftun, finden sich auch hinter der deutschen Idylle.
Der Autor springt von Laubbläsern zu Fellini, Pasolini, Bertolucci und Zucchero, zu Moses und dem Alten Testament, zu kaukasischen Wiesen, zu Wasservögeln. Er rechnet mit der Sozialdemokratie ab, die nicht wüsste, dass der neue Schismus im Kleid des Antischismus auftritt, vermischt Tom Waits mit Sarajewo, Pale mit dem Balkankrieg und die Titelmelodie von „Winnetou“ mit einem Spaziergang durch die Gassen von Lahore. Unvermittelt erfolgt ein Wechsel zu Caspar David Friedrich und den Laubbläsern, vom „Ungesundheitsvernichtungswahn“ geht es über Ingeborg Bachmann zu Prince. Frank Wedekind fehlt natürlich genauso wenig wie Goethe und dann wirft Gott wieder Blitze, bevor die „protestantische Verlogenheit“ und die unerschütterliche Korrektheit Gott aufs neue erzürnen. Die heutige Kunst wird beschrieben als „inhaltsleer, aber an Inhalt erinnernd“, große Kunst als „Quotenkunst“, „als Verhöhnung der Langsatzwelt“ von anno dazumal. Und mit einem Blitz aus der Wohnung eines schwulen Malers tötet Gott „innert Sekunden die Politiker auf allen Kontinenten.“ Wen wundert es da noch, dass es nur ein kurzer Schritt von Bachs Matthäus-Passion bis zu Abba ist?
Es geht natürlich auch um Sex, ums Schwulsein und sogar um die Liebe zu Knaben und den Sexualmord. Der Tatort spielt eine Rolle. Daneben geht es auch um Digitalisierung und die Angst vor dem Tod und warum das Wort „Unwort“ nie zum „Unwort des Jahres“ wurde, und warum man bei jedem Autor, dessen Gedanken man interessant findet, bei Wikipedia auf den Begriff „Verschwörungstheoretiker“ stößt und wieso jeder „böse“ ist, der bei unterschiedlichen politischen Fragen eine andere Meinung vertritt. Daneben findet sich der Leser in Indien, im Kaukasus, in Mexiko, auf dem Balkan, im Bayerischen Wald oder in Moorlandschaften wieder. Ein Engel darf auch nicht fehlen. Denn Golo ist auf der Suche nach der Romantik und der Sehnsucht. Golos Art zu Denken: „Entartet!“
Verwirrend? Ja, schon! Verblüffend? Jede Seite! Lesenswert? Unbedingt!
Teer Sandmann: „Golo spaziert – Das Land der sicheren Freiheit“
EWK-Verlag Elsendorf / März 2018
Es findet sich auch eine Rezension in der Literaturbeilage der NZZ vom 24.06.2018 (Seite 10 unten):
https://files.static-nzz.ch/2018/6/25/5aae548b-f07f-417a-9589-012b56b8df31.pdf
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