Aktuell. Stämme / Militärische Lage / Tunesien / Politik / UNO / Sicherheitskonferenz / Diplomatie / Migranten

Libysche Stämme

+ Am Mittwoch, den 19. Februar, findet in Tarhuna die erste große Stammeskonferenz seit nunmehr fast zehn Jahren statt. Die Stämme wollen gegen die neokolonialistische Politik der Türkei Stellung beziehen. Es wird erwartet, dass die dort gefassten Beschlüsse bedeutende Auswirkung auf die libysche Innenpolitik haben werden. Die Stämme stellen die libysche Zivilgesellschaft dar, ohne die in Libyen nichts geht.
[Wenn sich die libyschen Stämme nicht mehr spalten lassen, dann können sie auch nicht mehr beherrscht werden. Schluss mit „divide et impera“.]

+ Die von der westlichen Presse komplett ignorierte Stilllegung der Ölanlagen durch die libyschen Stämme hält an.

+ Am Freitag, den 15.2., fand in Bengasi eine Großdemonstration gegen die türkische Einmischung in Libyen statt. Es wurde auch gegen die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis und gegen die UN demonstriert, die das demokratisch gewählte Parlament dazu zwinge, mit Terroristen zu verhandeln. Die internationale Gemeinschaft wurde aufgefordert, dass libysche Parlament als die echte Vertretung des libyschen Volkes zu respektieren. Die Schließung der Ölanalagen werde unterstützt, damit die Finanzierung von Terrorismus mit libyschem Geld ein Ende nehme. Gefordert wurde auch, dass die LNA die Hauptstadt von „syrischen Söldnern“ befreit.
https://twitter.com/LNA2019M/status/1228389695798874113

+ Feldmarschall Haftar hat eine Delegation des Warfalla-Stammes, Stammesführer und den Bürgermeister von Bani Walid in ar-Radschma (Bengasi) empfangen.

Militärische Lage

+ Im Süden von Tripolis wird gekämpft. Die LNA hat Luftangriffe im Süden von Misrata geflogen.

+ Innerhalb der Stammesmilizen, die für die sogenannte ‚Einheitsregierung‘ kämpfen, gibt es immer mehr hochkarätige Überläufer. Es kommt zu Kämpfen innerhalb der Milizen, die die ‚Einheitsregierung‘ unterstützen. Damit wird die von Teilen der EU und der Türkei unterstützte ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch immer schwächer. Inzwischen soll die Türkei an die 3000 dschihadistische Kämpfer aus Syrien eingeflogen haben. Damit hat sich der libysche Bürgerkrieg zu einem Kampf zwischen der von den libyschen Stämmen unterstützten Libyschen Nationalarmee (LNA) und ausländischen Söldnern gewandelt, d.h. die Libyer kämpfen gegen eine ausländischen Militärintervention um ihre Souveränität.

+ Nachdem sich der libysche Konsul in Tunis, Mohamed el-Merdas, von der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis losgesagt und diese schwer beschuldigt hatte, wurde sein Haus in Ben Achour auf Befehl des Innenministers der ‚Einheitsregierung‘, Fathi Bashaga, zerstört.

+ Der Mitiga-Flughafen von Tripolis hat seinen Betrieb nach Raketenbeschuss zum wiederholten Mal eingestellt. Unklar ist, wer für den Beschuss verantwortlich ist.

+ Es soll schon wieder ein Schiff mit Fahrzeugen für die ‚Einheitsregierung‘ in Misrata angelegt haben. Außerdem wurden Verträge gefunden, die die ‚Einheitsregierung‘ mit tschadischen Söldnern geschlossen hat.

+ In einer Fernsehansprache sagte der Oberkommandierende der LNA, Feldmarschall Haftar, dass sich seine Truppen nahe des Zentrums von Tripolis befinden. Die Befreiung der Hauptstadt stünde kurz bevor. „Wir versichern, dass es kein Zurück mehr gibt. Wir werden unser Ziel erreichen, selbst wenn sie die Söldner der ganzen Welt zu Hilfe holen“. Haftar sagte auch, dass es in Libyen keinen Frieden geben werde bis die Terroristen besiegt und die Söldner dahin zurückgekehrt seien, von wo sie kamen.

+ Wie das deutsche Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage der Linken mitteilte, wurden sowohl an Katar als auch an die Türkei Waffenlieferungen genehmigt, und dies, obwohl beide Länder in den Krieg in Libyen involviert sind. Auch die VAE erhielt Rüstungsgüter. Laut der Linken sei es ein Widerspruch, für ein Waffenembargo zu stimmen und gleichzeitig Waffen an beide Kriegsparteien zu liefern.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-02/libyen-krieg-ruestungsexporte-deutschland-tuerkei-katar-waffenembargo

+ Übersichtskarte welche Staaten die LNA und welche die ‚Einheitsregierung‘ unterstützen:
https://twitter.com/LNA2019M/status/1227405583516602368

TUNESIEN

+ In Tunesien ist der Bau eines Flüchtlingslagers für 50.000 Flüchtlinge aus Libyen geplant. Das Lager Bir Fatnasseya befindet sich zwischen den Städten Remada und Tataouine inmitten in der südtunesischen Wüste.
Bereits 2011 waren nach Beginn des Nato-Krieges gegen Libyen mehr als eine Million Menschen nach Tunesien geflohen. Libyen hatte damals insgesamt sechs Millionen Einwohner.
„Da sich die Kämpfe in Libyen im Dezember abermals verschärften, hat Tunesiens Militär seine Präsenz an der Grenze verstärkt und vermeldet vermehrt irreguläre Grenzübertritte. Auch die Zivilbehörden und das UNHCR sind in Alarmbereitschaft.“
https://www.jungewelt.de/artikel/372546.fl%C3%BCchtlinge-in-tunesien-mitten-in-der-w%C3%BCste.html

[Die LNA hat es bisher strikt vermieden, die Kampfeszone auf bewohntes Stadtgebiet auszudehnen. Es dürfte sich deshalb bei den zu erwartenden Flüchtlingen vor allem um Moslembrüder handeln, die nach einem Sieg der LNA von Tripolis in das nahe Tunesien flüchten werden. Dies dürfte in Tunesien zu einer Verschärfung der eh schon angeschlagenen wirtschaftlichen und politischen Situation führen. Allerdings kann sich Tunesien nicht gegen den Westen zur Wehr setzen, da es wirtschaftlich zu stark von ihm abhängig ist.]

Libysche Innenpolitik

+ Der Parlamentspräsident Aguila Saleh berief die Parlamentsmitglieder zu einer „wichtigen Sitzung“ am nächsten Dienstag in Tobruk ein.

+ Laut LNA hat der türkische Präsident Erdogan die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis aufgefordert, weitere 1,5 Milliarden US-$ schon in der kommenden Woche zur Stützung der türkischen Lira auf türkische Banken zu überweisen.

+ Erdogan sagte: „Wir werden das Ausbildungs- und Sicherheitsabkommen, das wir mit Sarradsch getroffen haben, bis zum Ende erfüllen.“

+ In einem Interview mit dem britischen Telegraph sagte der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Fathi Bashagha, ein Krieg sei von niemanden zu gewinnen. Die ‚Einheitsregierung‘ brauche nur zu warten, bis der Oberkommandierende der LNA, Khalifa Haftar, gestorben sei.
[Unsinn vom Feinsten: Wenn Haftar nicht mehr der Oberkommandierende ist, wird das Parlament einen neuen Oberkommandierenden ernennen. An der überlegenen militärischen Lage der LNA in Libyen würde dies rein gar nichts verändern.]

+ Außerdem forderte Bashagha für die ‚Einheitsregierung‘ mehr Unterstützung durch die Europäer beim Kampf gegen die LNA.

UNO

+ Der UN-Sicherheitsrat hat die von den Briten eingebrachte Resolution 2509 zu Libyen mit 14 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung verabschiedet. Die Resolution fordert die libyschen Parteien dazu auf, sich zu einem dauerhaften Waffenstillstand zu verpflichten und bekräftigt das Waffenembargo gegen Libyen; es bietet also nichts Neues, denn ein Waffenembargo besteht bereits seit 2011. Es wurden den Staaten, die dagegen verstoßen, keine Konsequenzen angedroht, so dass dieses Waffenembargo genauso nutzlos ist wie die vorangegangenen.
Russland hatte sich der Stimme enthalten, da eine „klar zum Ausdruck gebrachte Zustimmung der libyschen Konfliktparteien“ fehle. „Wir haben ernsthafte Zweifel, dass diese Resolution in dieser Form zu irgendeiner Art von Lösung beitragen wird“, sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja.“
https://www.tagesschau.de/ausland/un-sicherheitsrat-libyen-resolution-101.html

+ Der libysche Parlamentarier Ali as-Saeedi betonte in einer Presseerklärung, dass die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage sei, die Krise in Libyen zu lösen. Sie sei dafür zu unzuverlässig und zu stark gespalten. „Die jüngste Resolution des Sicherheitsrates zur Einhaltung des Waffenembargos gegen Libyen ist leider nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht. Genau die gleichen, die für die Resolution gestimmt haben, seien auch diejenigen, die gegen die Resolution verstoßen.“ Hätte die internationale Gemeinschaft wirklich die Kämpfe beenden wollen, hätte sie den Konflikt schon 2011 lösen können.“

+ Nichtsdestotrotz spricht der deutsche Außenminister Heiko Maas von einem großen Schritt, da nun die Beschlüsse der Berliner Libyen-Konferenz vom UN-Sicherheitsrat verbindlich gestützt werden.

+ Der Dienst für Minen-Aktionen der Vereinten Nationen (UNMAS) gab bekannt, dass es weltweit in Libyen die größten Mengen an nicht unter Kontrolle stehender Munition gebe. „Es wird geschätzt, dass es in ganz Libyen zwischen 150.000 und 200.000 Tonnen nicht unter Kontrolle stehender Munition gibt.“

+ Die Vereinten Nationen bedauern, dass sie für ihre Flüge von der LNA keine Landeerlaubnis mehr für Libyen bekommen. Die UN-Flüge von und nach Libyen mussten eingestellt werden.

‚Sicherheitskonferenz‘ in München

+ Das Motto lautete heuer „Westlessness“. Man kann sich nur wünschen, dass sich dieses Motto bewahrheiten möge angesichts der Verwüstungen, die die westliche Politik mit ihrer Nato vor allem in der arabischen Welt bisher angerichtet hat. Sollte der Einfluss des Westens zurückgedrängt werden, kann dies nur im Sinne einer neuen Friedenspolitik sein.
Gegen die Konferenzteilnehmer haben neun Gruppen Demonstrationen angemeldet, darunter das „Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz“.
Der Leiter der Sicherheitskonferenz, Ischinger, betont, dass sich Deutschland zu wenig militärisch in der Welt engagiere. Dem kann man nur entgegenhalten: Deutschland wird weder am Hindukusch, noch in Libyen oder dem Irak verteidigt, was dort verteidigt wird, sind wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Militärische Spielchen mit dem Leben und dem Leiden hunderttausender Menschen.

+ Nach München sind etwa 40 Staats- und Regierungschefs sowie etwa 100 Außen- und Verteidigungsminister gekommen. Auch Libyen war Thema. German-Foreign-Policy schreibt: „Berlin treibt die Umsetzung der Beschlüsse der Libyen-Konferenz voran, um seine Stellungen in dem nordafrikanischen Land zu stärken und die dortigen Positionen Russlands und der Türkei zu schwächen. […] Scheitern die Bemühungen, dann stehen den westlichen Mächten schwere machtpolitische Rückschläge in dem arabischen Staatenring um Europa bevor. Der Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat angekündigt, der beginnende Abstieg des Westens werde zu den Themen der diesjährigen Tagung gehören. […] In München wird es freilich zugleich auch um westliche Bestrebungen gehen, den Abstieg zu bremsen oder zu verhindern. Ein Beispiel bietet das für Sonntag geplante Nachfolgetreffen zur Berliner Libyen-Konferenz. Mit der Libyen-Konferenz hatte die Bundesregierung versucht, sich im Rahmen der internationalen Bemühungen, den Krieg in Libyen zu beenden, an die Spitze zu setzen und dem stark gewachsenen Einfluss Russlands und der Türkei in dem Land entgegenzutreten.“

Die Nato ist daran interessiert, ihre Aktivitäten auf immer mehr arabische Staaten, so auf den libyschen Nachbarn Tunesien und auf Jordanien, auszuweiten, so „könne die NATO ihre Aktivitäten in weiteren Ländern der arabischen Welt intensivieren; dies gelte etwa für Länder wie Jordanien und Tunesien, in denen bereits jetzt Soldaten ausgebildet werden. Erst Mitte Januar hatte NATO-Generalsekretär Stoltenberg den jordanischen König Abdullah II. in Brüssel zu umfangreichen Gesprächen empfangen. Jordanien sei, hieß es damals bei dem Bündnis, „einer der engsten globalen Partner der NATO“; man habe eine lange Geschichte praktischer Zusammenarbeit, die „vom Balkan bis nach Afghanistan“ reiche. Bereits im Mai vergangenen Jahres hatte Stoltenberg den damaligen tunesischen Außenminister Khemaies Jhinaoui ebenfalls in Brüssel empfangen und Schritte zum Ausbau der Kooperation beschlossen. Dabei ging es nicht zuletzt um die Interoperabilität der Streitkräfte, also de facto um die Anpassung an NATO-Standards.“
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8187/

Es ist immer wieder überraschend, wie sehr die Schere zwischen den tatsächlichen Geschehnissen in Libyen und den institutionellen politischen Vorstellungen in deren Parallelwelt auseinanderklaffen.
Völlig vergessen wird dabei, wer das Schlamassel in den arabischen Staaten angerichtet hat, indem der Westen – vorneweg USA, Großbritannien und Frankreich – Staaten wie Libyen 2011 mit Krieg überzogen hat, und es so in das Chaos stürzten, indem sie sich heute befinden.

+ Am Sonntag, 16. Februar, soll in München ein Außenminister-Nachfolgetreffen der Berliner Libyen-Konferenz stattfinden. Laut Maas soll es am Montag ein Treffen der EU-Staaten geben. Es soll besprochen werden, wie im Falle eines Antrags der UN zur Umsetzung des Waffenembargos in Libyen beigetragen werden kann. Extremisten in der afrikanischen Sahelzone seien zu einer Bedrohung für die europäische Sicherheit geworden.
[Nachdem Gaddafi ermordet und der libysche Staat zerstört worden ist.]

+ Ismail Sharqi, der Kommissar der Afrikanischen Union für Frieden und Sicherheit, sagte, die AU sei bereit, gemeinsam mit den Vereinten Nationen und den Freunden Libyens, für die Beendigung des Krieges einzustehen.

+ Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte während der Münchner Sicherheitskonferenz, dass sein Land versuche, den Libyern beim Wiederaufbau und Stabilisierung ihres Landes zu helfen. Die Vorgehensweise der libyschen Parteien müsse unterstützt werden, um das Land wieder aufzubauen und zu sichern.

Diplomatie

+ Der Oberkommandeur der LNA, Feldmarschall Haftar, hat in seinem Büro in ar-Radschma (Bengasi) den italienischen Außenminister Luigi Di Maio empfangen. Gesprächsthema war auch die Sicherung der Seegrenzen.

+ Der türkische Präsident Erdogan hat in einem Telefongespräch mit dem US-amerikanischen Präsidenten Trump die Lage im syrischen Idlib und in Libyen diskutiert.

+ Der Direktor des MENA-Büros (Mittlerer Osten und Nordafrika-Büro) des französischen Außenministeriums, Christophe Farno, war zu Besuch bei Generalfeldmarschall Haftar in Bengasi. Haftar erhielt vom französischen Präsidenten Macron eine Einladung nach Paris.

+ Laut AP fordern EU-Politiker, dass EU-Staaten Schiffe entsenden, um das UN-Waffenembargo gegen Libyen zu kontrollieren. Die vormals eingestellte Operation „Sophia“ soll in Operation „EU Active Surveillance“ umbenannt werden.

+ Der stellvertretende US-Staatssekretär für Nahost-Angelegenheiten, David Schenker, sagte bei einer Aussage vor dem Ausschuss für auswärtige Beziehungen zu Libyen, es sei notwendig, die bewaffneten Milizen in Libyen zu reduzieren, da Frieden und Sicherheit im gesamten Mittelmeerraum auf dem Spiel stünden.

Migranten

+ Laut der Internationalen Organisation für Migration halten sich gegenwärtig mehr als 650.000 illegale Migranten aus 40 Ländern in Libyen auf. Sie haben keinerlei Grundversorgung, auch keine medizinische Versorgung.

+ HumanRightsWatch fordert die italienische Regierung auf, jegliche Unterstützung für die libysche Küstenwache solange einzustellen, bis Libyen Sicherheit und Rechte von Migranten gewährleisten kann.

+ Die italienische Polizei hat Ghali Masoud al-Hazaeri aus Zuwara in einem Flüchtlingszentrum in der sizilianischen Stadt Crotone festgenommen. Er wurde von einem jungen Somalier erkannt und als Mitglied eines libyschen Schleuserrings entlarvt.

Verschiedenes

+ Laut dem Sicherheitsreport zeigen Umfragen, dass in Deutschland 44 Prozent der Bevölkerung befürchten, in einen Krieg hineingezogen zu werden. Bei einem Konflikt zwischen Russland und den USA plädierten 70 Prozent für „neutral bleiben“. Gerade einmal zwölf Prozent der befragten Bevölkerung würde sich auf die Seite der USA stellen, sieben Prozent an die Seite Russlands.
Bei einem Krieg USA – China sind sogar 73 Prozent für Neutralität, sechs Prozent würden China und nur 10 Prozent die USA unterstützen.
https://www.presseportal.de/pm/115329/4191811