Bei dem vor einer Woche in der marokkanischen Stadt Bouznika stattgefundenen Treffen des libyschen 6+6-Ausschusses wurde ein neues Wahlgesetz ausgehandelt. Insbesondere ging es um die Zulassung der Kandidatur von Saif al-Islam Gaddafi und Khalifa Haftar.
Wie jetzt bekannt wurde, haben sich die Teilnehmer darauf verständigt, Saif al-Islam Gaddafi bei den geplanten Präsidentschaftswahlen auszuschließen. Im Gegensatz dazu soll Khalifa Haftar, Oberbefehlshaber der Libyschen Nationalarmee (LNA), zugelassen werden. Dieses Ergebnis war zu erwarten.
Der Ausschluss von Saif al-Islam Gaddafi wird damit begründet, dass diejenigen, gegen die ein Gerichtsurteil vorliegt oder die von der Justiz gesucht werden, nicht kandidieren dürfen. Dies bezieht sich zum einen auf den vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Saif al-Islam Gaddafi ausgestellten Haftbefehl, der rein politisch motiviert ist. Zum anderen wurde gegen ihn in Abwesenheit von einem von der Moslembruderschaft beherrschten Gericht in Tripolis im Juli 2015 ein Todesurteil verhängt, das jeder juristischen Gepflogenheit Hohn spricht und inzwischen aufgehoben wurde. Saif al-Islam wurde im Rahmen einer Generalamnestie 2017 aus der Gefangenschaft von Milizen in Zintan entlassen.
Doch wurde unter fadenscheinigen Begründungen am 5. August 2021 in Tripolis erneut ein Haftbefehl gegen Saif al-Islam Gaddafi ausgestellt. Ihm wurde vorgeworfen, Kontakt zu der russischen Wagner-Gruppe gehabt zu haben. Dieser Vorwurf träfe bedeutend besser auf Khalifa Haftar zu, der sich von den Wagner-Leuten die Erdölfelder bewachen lässt.
Daneben ist anzumerken, dass Libyen niemals dem IStGH beigetreten ist, dieser auch nicht zuständig ist, auch weil bereits Gerichtsverfahren in Libyen gegen Saif al-Islam stattgefunden haben.
Zu den für Dezember 2021 angesetzten Präsidentschaftswahlen wurde Saif al-Islam Gaddafi gerichtlich zugelassen. Da allen Prognosen zufolge Saif al-Islam als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen wäre, wurden diese kurzfristig abgesagt. Bei den neu angesetzten Wahlen will man seiner Kandidatur gleich von Anfang an einen Riegel vorschieben.
Weitere Beschlüsse des 6+6-Ausschusses
Für den Zeitraum von sechs Monaten soll eine sogenannte Mini-Regierung gebildet werden, die die Wahlen vorbereitet und organisiert. Eine Verlängerung des Mandats ist nicht möglich.
Parlamentswahlen sind für Dezember 2023 geplant, die Präsidentschaftswahlen sollen im Januar 2024 stattfinden. Bisher ging man davon aus, beide gleichzeitig abzuhalten.
Militärs, die antreten und nicht gewinnen, dürfen anschließend in den Militärdienst zurückkehren. Sollten Personen die Wahl gewinnen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, muss die zweite Staatsbürgerschaft aufgegeben werden. Diese Regelung dürfte sich auf die Wahlteilnahme von Khalifa Haftar beziehen, der einen US-amerikanischen Pass besitzt.
Gewählt wird mit 60 Prozent der Stimmen für Parteien und 40 Prozent für Einzelpersonen.
Die Vereinbarungen des Ausschusses müssen innerhalb von zwei Tagen in Anwesenheit ausländischer Botschafter und der in Libyen tätigen UN-Mission bekanntgegeben werden. Es erfolgt ihre Weiterleitung an die Wahlkommission.
Wer ist der 6+6-Ausschuss?
Der 6+6-Ausschuss besteht aus je sechs Teilnehmern der beiden rivalisierenden politischen Gremien, Parlament und Hoher Staatsrat. Beiden Gremien mangelt es an grundlegender Legitimation. Der Staatsrat ist ideologisch mit der Moslembruderschaft verbunden und wurde von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ als Gegengewicht zum Parlament installiert, mit dem Ziel, langfristig die Teilung Libyens zu bewirken.
Das Parlament ging aus Wahlen, die im Jahr 2014 unter sehr geringer Wahlbeteiligung abgehalten worden waren, hervor. Es steht der LNA nahe, wobei sich in letzter Zeit neue Allianzen gebildet haben: Die Tripolis-‚Regierung‘ unter Dabaiba verbündete sich mit dem Haftar-Clan, während das Parlament eine Gegenregierung einsetzte, die sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Alle im offiziellen politischen Prozess Beteiligten, egal welcher Couleur, agieren als Marionetten ausländischer Regierungen.
Warum Wahlen?
Zwar wird die Bevölkerung in Libyen angesichts der versprochenen und wieder abgesagten Wahlen und der sich ständig verschlechternden sozialen und insbesondere der Sicherheitslage immer unzufriedener, dies dürfte aber nur ein bescheidener Grund dafür sein, dass sich die Vereinten Nationen und alle ausländischen Mächte, die in Libyen die Politik bestimmen, für baldige Neuwahlen einsetzen.
Viel stärker dürfte ins Gewicht fallen, dass Italien mit einer immer stärker steigenden Zahl von Migranten zu kämpfen hat, die von Libyen über das Mittelmeer nach Italien kommen. Ein weiteres Problem ist die europäische Energieknappheit, so dass dringend libysches Gas und Öl benötigt wird.
Doch der wichtigste Grund ist ein geopolitischer, nämlich der immer mehr eskalierende Kampf zwischen den westlichen Staaten und dem Rest der Welt, bei dem auch der Einfluss in Afrika und der Zugriff auf seine Ressourcen eine große Rolle spielen. Die Sahara und damit Libyen sind das Tor zu Schwarzafrika. Nachdem in den afrikanischen Ländern Russland und China immer mehr Gewicht bekommen und insbesondere Frankreich und die USA zu den Verlierern zählen, sollen die libyschen Grenzen zu Sudan, Tschad und Niger unter Nato-Kontrolle fallen. Dem Westen laufen in Scharen die afrikanischen Staaten davon und verweigern sich einem neokolonialen, westlichen Diktat. Der Westen will sich Libyen krallen, um es als militärisches Bollwerk einzusetzen: Libyen als südlichster Nato-Verbündeter.
Viele der gegenwärtigen Probleme lassen sich für den Westen nur lösen, wenn es ihm gelingt, in Libyen eine Marionettenregierung zu installieren, die ihren Interessen, und nicht den Interessen Libyens, dient. Korrupte Partner vor Ort gibt es dafür zu Hauf.
Dem scheinen leider auch die arabischen Staaten nichts entgegenzusetzen, war ein starkes Libyen unter Gaddafi doch immer ein ernstzunehmender Konkurrent um die Führerschaft in der arabischen Welt.
Der Plan wird nicht aufgehen
Die nun anvisierten Wahlen, sollten sie denn wirklich stattfinden, was auch dieses Mal mehr als fraglich erscheint, werden das Land nicht befrieden, sondern seine Spaltung und die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen verstärken. Dabei wäre es wirklich an der Zeit, dass die Menschen in Libyen in freien und fairen Wahlen selbst bestimmen, von wem sie regiert werden möchten, ohne Ausgrenzung bedeutender Gruppen und favorisierter Kandidaten wie Saif al-Islam Gaddafi.
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