Libyen/EU/Krieg. Die EU ist alles andere als ein neutraler Vermittler. Während die Türkei in Libyen weiter aufrüstet, werden schon wieder Forderungen nach einer Flugverbotszone laut.

Ein Artikel im aktuellen Spiegel von Herfried Münkler trägt die Überschrift „Kleiner Weltkrieg“. Dieser Titel mag so falsch nicht sein, störend eher das Prädikat „klein“. Denn dieser Krieg wird auf allen Ebenen, vor allem wirtschaftlich, geführt. Und alle großen Akteure der politischen Bühne, USA, Russland, EU, Nato, Türkei, China, sie alle sind daran beteiligt. Militärisch gekämpft wird in den arabischen Ländern und in Afghanistan; Staatsstreiche angezettelt in Europa, Südamerika, im Iran und anderswo.

Wie vom Spiegel nicht anders zu erwarten, ist für Herfried Münkler klar, wer die Bösen und wer die Guten sind: Erdogan und Putin, da sie nur ihre Eigeninteressen verfolgen, sind mit ihren kleinen Zielen erfolgreich, während die Guten, sprich die Europäer, an ihrem großen Anspruch scheitern, in der Nahostregion eine umfassende „Friedenslösung“ zu erzielen. Sie löschten nicht an „Brennpunkten“, sondern bemühten sich in den zusammenhängenden Kriegen um „Frieden“.

Es darf daran erinnert werden, dass diese „Guten“ all diese Kriege angezettelt haben. Die Nato marschierte in Afghanistan ein, dann besetzte Bush junior mit seiner „Allianz der Willigen“ den Irak. Es folgte der Krieg gegen Libyen und gegen Syrien, natürlich alles unter dem Mäntelchen, ein „unterdrücktes Volk“ von seinen „Diktatoren“ befreien zu wollen. Die hunderttausende von Toten werden für diese „Befreiung“ wirklich dankbar gewesen sein, ebenso wie die Kriegskrüppel und jene, die heute noch unter dem Terror dieser Kriege leben und leiden müssen.

Münkler sieht die Europäer noch im Denken des Ersten Weltkriegs verhaftet, der beendet werden konnte, indem man Deutschland von den zur Kriegsführung nötigen Ressourcen abschnitt und somit zu Friedensverhandlungen zwang. Diese Strategie verfolge Europa heute in Libyen. So versuche man, mit der Durchsetzung des Waffenembargos den Kämpfenden Militärlieferungen vorzuenthalten und somit eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen zu erzwingen. Dass diese Strategie nicht aufgehen kann, sieht auch Münkler. Und wenn dies wirklich die Strategie Europas ist, soll auch kein Frieden vermittelt werden, sondern dem Frieden ginge die totale Kapitulation des Gegners und dessen totaler Zusammenbruch voraus.

In Folge der Berliner Libyen-Konferenz setzte eine vorher noch nicht gekannte militärische Aufrüstung in Libyen ein, wobei sich vor allem die Türkei hervortat, die zur Unterstützung der sogenannten ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis mit Kriegsfregatten eintraf, um gleich ganze Schiffsladungen militärisches Gerät im Hafen von Tripolis zu löschen, um es in den einzigen noch funktionierenden Flughafen von Tripolis, den Mitiga-Airport, zu schaffen, dazu ein paar tausend frisch eingeflogene Söldner aus den Dschihadistenhochburgen in Syrien. Wie der Sprecher der Libyschen Nationalarmee al-Mismari bemerkte: „ Der Mitiga-Flughafen ist vollständig in eine türkische Militärbasis umgewandelt worden.“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell plant, die Operation Sophia wiederaufzunehmen, um vor der Küste Libyens gegen Verletzungen des Waffenembargos vorzugehen. Die Schiffe könnten dann auch wieder zur Rettung afrikanischer Migranten eingesetzt werden. Dagegen hat sich sofort der österreichische Kanzler Kurz ausgesprochen, nach dessen Meinung der EU-Marineeinsatz zwischen 2016 und 2019 wirkungslos war. Kurz sagte: „Die EU sollte sich zusammen mit Partnerländern vielmehr darauf konzentrieren, den Waffenschmuggel nach Libyen am Boden und in der Luft zu kontrollieren.“ Das ist natürlich ein infamer Plan, denn damit hätte die Türkei weiter freie Fahrt in die libyschen Häfen in Tripolis und Misrata, um Militärgerät und sonstige Unterstützung nach Libyen zu schaffen, während Luft- und Boden kontrolliert würden. Wie man weiß, unterstützt Ägypten das säkulare und 2014 demokratisch gewählte libysche Parlament in Bengasi sowie dessen Libysche Nationalarmee (LNA) unter dem Oberkommando von Feldmarschall Haftar. Diese militärische Unterstützung dürfte den Landweg über die lange gemeinsame Grenze nehmen. Und die VAE, die ebenfalls die LNA unterstützen, kommt mit Flugzeugen ins Land.

Doch wie könnte die Überwachung des Bodens und der Luft überhaupt aussehen? Die könnte nur über die erneute Einrichtung einer Flugverbotszone durchgesetzt werden, bekannt aus dem Jahre 2011. Und so ist es nur folgerichtig, dass ein Resolutionsentwurf von heute den gleichen Wortlaut wie 2011 hat:

Im heutigen Resolutionsentwurf steht folgender Passus:

Wir bekräftigen unser entschlossenes Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität und nationalen Einheit Libyens. Nur ein politischer Prozess unter libyscher Führung und in libyscher Eigenverantwortung kann den Konflikt beenden und dauerhaften Frieden bringen.”

In der UN-Resolution 1970 vom Februar 2011 hieß es:

„Wir bekräftigen unser entschlossenes Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Integrität und nationalen Einheit der Libyschen Arabischen Dschamahirija.”

Diese Resolution war die Grundlage für die darauf folgende Resolution 1973, in der die UNO eine Flugverbotszone über Libyen verhängte. Die galt selbstverständlich nur für die Flugzeuge der libyschen Armee, während die Nato mit ihren Geschwadern das Land zerbombte.

Was 2011 aus der „Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität“ Libyens wurde, ist bekannt. Eine neuerliche Resolution mit dem Ziel der Verhängung einer Flugverbotszone würde dem gleichen Ziel dienen: Militärische Unterstützung einer der Parteien, in diesem Falle der Dschihadisten und Moslembrüder in Tripolis, die inzwischen unter Führung des türkischen Präsidenten Erdogan stehen.

Damals wie heute besteht das Ziel des Westens und der EU in einer Spaltung und damit der Schwächung des Landes. Die Hauptstadt Tripolis bliebe mit dem von UN-Gnaden eingesetzten Sarradsch und der National Oil Corporation (NOC) sowie der Libyschen Zentralbank unter Kontrolle der EU. Solange dieses Ziel nicht gesichert ist, soll es keinen Frieden geben. Der Kriegszustand muss eingefroren bleiben. Kein Frieden, der nicht den eigenen Interessen dient – die auch in Europa nicht einheitlich sind. So steht Frankreich auf der Seite der LNA und des Parlaments in Bengasi.

Die ganze Rechnung wird ohne die libysche Bevölkerung gemacht, die sich bei den Wahlen 2014 klar gegen die Moslembrüder stellte, die von insgesamt 188 Sitze gerade einmal 30 Sitze erobern konnten. Die verbleibenden 158 Sitze gingen an säkulare Kandidaten. Das gewählte Parlament wurde vom militärischen Arm der Moslembrüder, der Libyan Islamic Fighting Group (LIFG), also den Dschihadisten unter Führung des al-Kaida-Mannes Belhadsch, aus Tripolis vertrieben und musste nach Bengasi flüchten. Die Moslembrüder riefen in Tripolis eine Gegenregierung aus. Anstatt dass sich die EU nun eindeutig auf die Seite des demokratisch gewählten Parlaments und seiner Regierung gestellt hätte, wollte es – na was wohl: Friedensverhandlungen! – die eine eindeutige Stärkung und Aufwertung der Moslembruderschaft vorsahen und das Parlament mit der Einsetzung der sogenannten ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch kalt stellten. Mit diesem Vorgehen hat sich Europa nicht nur in Libyen für alle Zeiten diskreditiert.

Die Stämme und Städte in Libyen sprechen sich in ihrer großen Mehrheit auch heute wieder ganz eindeutig für die Unterstützung des Parlaments, deren Regierung und der LNA unter Haftar aus. Sie haben am Tag der Berliner Libyen-Konferenz fast alle libyschen Ölanlagen geschlossen. Mit dem Ölhahn wird der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis unter Sarradsch und Erdogan auch der Geldhahn zugedreht. Die Öleinnahmen können nicht mehr länger dazu genutzt werden, dschihadistische Milizen, Söldner aus Syrien und Waffenkäufe aus der Türkei zu finanzieren.

Aktuelle libysche Karte bezüglich Öl und Militär:

https://twitter.com/reportingLibya/status/1224291503876530179

Nachdem durch die Schließung der Ölanlagen durch die Stämme, die den westlichen Ölmultis Abermillionen an Verlusten bringen wird, eine Friedensverzögerungstaktik durch Friedensverhandlungen nicht mehr erfolgversprechend ist, wird ein härteres Vorgehen wie die Verhängung einer Flugverbotszone ins Gespräch gebracht. Europa stellt sich an der Seite der Türkei gegen das libysche Volk. Nun ist Erdogan plötzlich der Gute, während den Russen mal wieder die Rolle der Bösen zukommt. Und dies, obwohl die Russen nicht direkt in den Konflikt involviert sind, die ‚Friedenskonferenz‘ in Berlin erst ermöglichten, mit der libyschen Bevölkerung und ihrer demokratisch gewählten Repräsentanten und deren Armee sympathisieren und sich die Gesprächskanäle zu allen Konfliktparteien offen hielten. Doch gegen den bösen Russen kämpfen, das geht bei uns immer. Dass Deutschland gegen ein gewähltes Parlament und dessen Armee an der Seite der Dschihadisten in den Krieg in Libyen zieht, käme bei der europäischen Bevölkerung sicher nicht so gut an.

Wenn dann von dem Spiegel-Autor der Oberbefehlshaber der LNA, Feldmarschall Haftar, in einem Satz gleichgesetzt wird mit dem IS in Syrien, dem IS im Nordirak und den Taliban, fragt man sich schon, wie weit die Schizophrenie noch gehen kann.

Deutschland hat mit der BASF-Tochter Wintershall enorme Interessen an den libyschen Ressourcen, ebenso wie Italien mit ENI oder Frankreich mit TOTAL, aber auch Österreich mit OMV. Auch die Europäer gehen über Leichen, über libysche, um den politischen und wirtschaftlichen Interessen zu dienen, verbrämt mit „Friedensbemühungen“. Wenn kein Frieden zu deren Vorteil, dann eben ein endloser Krieg, auch an der Seite der Türkei und der syrischen Dschihadisten. Droht man doch zu verlieren, lässt sich vielleicht eine Flugverbotszone durchsetzen. Die UN ist bei solchen Dingen immer gern behilflich und weiß genau, auf welcher Seite sie steht.

Denkt eigentlich noch jemand daran, welch gute Geschäfte die Europäer mit Libyen vor 2011 machen konnten? Welcher Segen das Land für die Migranten aus Subsahara-Afrika waren, die dort in Brot und Lohn kamen und gar nicht weiter über das Mittelmeer nach Europa wollten? Doch das war nicht genug, es musste mehr sein. Man wollte die totale Kontrolle, auch über die Rohstoffe. Und nun könnte man alles verlieren.

Empfehlenswerter Artikel: https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8175/

Darin heißt es in Bezug auf Libyen: Kriegsgefahr: … stehen die Mächte Europas, nachdem sie ihren Einfluss in Syrien verloren haben und auch im Irak mit zunehmenden Forderungen nach dem Abzug ihrer Truppen konfrontiert sind, vor einem weiteren Kontrollverlust in Nordafrika. Das Ruder herumreißen ließe sich aus Sicht der deutschen Eliten womöglich durch eine Militärintervention. Weil Berlin kaum bereit ist, die dominante Stellung der europäischen Mächte in den früheren nordafrikanischen Kolonien preiszugeben, steigt die Gefahr eines Libyen-Einsatzes der Bundeswehr.

https://deutsch.rt.com/international/97578-trotz-eu-warnung-vor-neuer/

https://kurier.at/politik/ausland/libysches-erdoel-sprudelt-fuer-oesterreich/400707141

https://publikumskonferenz.de/blog/2020/02/02/windei-libyen-konferenz/