Libyen. Saif al-Islam Gaddafi von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Sein Anwalt legt gegen Ausschluss Berufung ein. Wahlen werden zur Farce. UN-Sondergesandter tritt von Amt zurück.
Wie zu erwarten, werden es die Nato-Staaten nicht zulassen, dass Libyen seinen Präsidenten frei wählen kann. Zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs von Saif al-Islam Gaddafi und zu groß die Angst des Westens vor einem souveränen Libyen. Wieder steht der ‚Werte‘-Westen auf Seiten der Moslembruderschaft und der Türkei.
Nachdem der als Spitzenkandidat gehandelte Saif al-Islam Gaddafi am 14. November bei der Hohen Nationalen Wahlkommission (HNEC) in der südlibyschen Stadt Sebha seine Kandidatenunterlagen für die Wahl zum libyschen Präsidenten am 24. Dezember eingereicht hatte und diese von der Wahlkommission auch akzeptiert wurden, erklärte die Hohe Wahlkommission am 26. November, dass Saif nicht als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen zugelassen wird. Die Ablehnung von Saifs Kandidatur kam auf Druck eines Militärstaatsanwalts in Tripolis mit der Begründung zustande, Saif sei 2015 in Abwesenheit wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Nato-Krieg 2011 zum Tode verurteilt worden.
Allerdings war dieses Urteil im März 2021 durch den Obersten Gerichtshof Libyens offiziell wieder aufgehoben worden, denn der von der Moslembruderschaft beherrschte Prozess des Jahres 2015 war allgemein als unfair und nicht den internationalen juristischen Normen entsprechend bezeichnet worden. Dementsprechend weigerten sich die Bewohner von Zinten, wo Saif Gaddafi zu dieser Zeit festgehalten wurde, ihn nach Tripolis zu überstellen. Und als 2017 das vom libyschen Parlament erlassene und vom Justizministerium ratifizierte sogenannte Allgemeine Amnestiegesetz in Kraft trat, führte dies zu Saifs Freilassung. Seither befindet Saif al-Islam Gaddafi in Libyen auf freiem Fuß.
Saif ist der Kandidat der Volksfront für die Befreiung Libyens, einer 2016 formell gegründeten politischen Gruppierung, die der bis 2011 in Libyen regierenden Dschamahirija-Bewegung nahesteht.
Der Anwalt von Saif al-Islam, Khaled az-Zaydi, erklärte noch am gleichen Tag, er werde gegen die Entscheidung, seinen Mandanten von der Teilnahme an den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen auszuschließen, Berufung einlegen, da diese Entscheidung politisch motiviert sei und einen Rechtsverstoß darstelle. Artikel 10 des Wahlgesetzes besage, dass kein rechtskräftiges Urteil gegen den Kandidaten ergangen sein darf. Az-Zaydi: „Wir haben eine Bescheinigung über seinen strafrechtlichen Status vorgelegt, die beweist, dass er nicht vorbestraft ist“. Er fügte hinzu: „Der Kampf geht weiter, und das libysche Volk ist entschlossen, das Recht seines Kandidaten auf Teilnahme an den Wahlen zu verteidigen“.
Inzwischen sollen Milizen das Gericht in der südlibyschen Stadt Sebha kontrollieren. Unklar ist, ob sie Saifs Anwalt az-Zaidi hindern wollten, den Einspruch gegen den Ausschluss von Saif al-Islam einzureichen, oder ob sie das Gebäude sicherten, um az-Zaidi den Zugang zu ermöglichen. Vor dem Gerichtsgebäude kam es zu einer Mahnwache, um gegen den Ausschluss von Saif bei den Präsidentschaftswahlen zu protestieren.
https://twitter.com/218news/status/1463880561005629444
Neben Saif al-Islam Gaddafi wurden weitere 25 Kandidaten von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen, darunter der ehemalige Stabschef Muammar al-Gaddafis, Bashir Saleh, der ehemalige Vorsitzende des Allgemeinen Nationalkongresses (GNC), Nuri Abusahmain und der ehemalige Premierminister Ali Zeidan.
Dagegen dürfen sich andere Kandidaten, auf die Ausschlusskriterien wie strafrechtliche Verurteilungen oder fremde Staatsangehörigkeit unmissverständlich zutreffen, ganz ungeniert zur Wahl stellen. Genannt sei der LNA-Kommandant Khalifa Haftar, der zwei Mal strafrechtlich verurteilte wurde (1987 und 1993) und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Ein anderer nicht ausgeschlossener Kandidat, Aref Nayed, bestätigt in einem Fernsehinterview, dass er die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt. https://twitter.com/Balzawawi_ly/status/1463794682933264390
Auch der GNU-Übergangspremier Abdulhamid Dabaiba wurde nicht ausgeschlossen, obwohl er vor der Übernahme seines jetzigen Amtes zusagen musste, nicht bei Wahlen zu kandidieren. Von jedem Kandidaten verlangte das Wahlgesetz außerdem, drei Monate vor dem Wahltermin alle offiziellen Ämter niederzulegen. Dabaibas Absicht, für das Präsidentenamt zu kandidieren, ist eine klare Missachtung der libyschen und internationalen Gesetze und ein Verstoß gegen alle Vereinbarungen, die während des LPDF in Genf getroffen wurden.
https://libyareview.com/18934/is-libyas-prime-minister-legally-entitled-to-run-for-elections/
Der vom Ausland gesteuerte Poker um die Kandidatenaufstellung dürfte wohl ein Grund gewesen sein, warum der UN-Sondergesandte für Libyen, Ján Kubiš, überraschend am 23. November nach nicht einmal einem Jahr im Amt und nur vier Wochen vor den Präsidentschaftswahlen ohne nähere Angaben von Gründen von seinem Amt zurücktrat.
Als letzte Möglichkeit, den Wahlsieg von Saif al-Islam Gaddafi zu verhindern, wurde er nun von der Wahl ausgeschlossen. Der Versuch, durch immer mehr Kandidaten das Wahlergebnis so zu zersplittern, dass es für Saif praktisch unmöglich schien, bereits im ersten Wahlgang 50 Prozent plus eine Stimme zu bekommen, schien nicht aufzugehen. Der ursprüngliche Plan dürfte gewesen sein, Saif mit dem Zweitplatzierten in eine Stichwahl zu zwingen, die zusammen mit den Parlamentswahlen stattfinden sollte. Der Zeitpunkt für diese Stichwahl soll vom Parlament festgesetzt werden und kann damit beliebig verschoben werden. Zunächst hieß es, die Parlamentswahl solle vier Wochen nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl stattfinden, jetzt wurde sie schon auf voraussichtlich Februar verschoben. Man ging wohl davon aus, dass die ‚internationale Gemeinschaft‘ und ihre libyschen Marionetten genug vorgeschobene Gründe erfinden, damit es zu keiner Stichwahl zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten kommen wird, von denen einer Saif al-Islam Gaddafi heißt.
Ungeachtet aller Turbulenzen rief Saif auch am 25. November noch einmal alle Libyer nachdrücklich dazu auf, sich bei den Wahlbehörden ihre Wahlkarten abzuholen.
https://de.rt.com/afrika/127603-libyen-wahlkommission-schliesst-gaddafis-sohn/
https://libyareview.com/19042/saif-gaddafi-to-appeal-against-election-block/
https://twitter.com/LibyaReview/status/1463877894548172806
https://www.libyaherald.com/2021/11/24/saif-al-islam-qaddafi-disqualified-by-election-commission-from-standing-in-presidential-elections/
https://twitter.com/smmlibya/status/1462667443801890826
https://twitter.com/smmlibya/status/1463173357491347472
Weitere Nachrichten rund um die Wahlen
+ 20.11.: Saif al-Islam Gaddafi. Saif postete auf Facebook: „Damit Libyen seine nationale Souveränität und seinen freien Willen wiederherstellen, seine Einheit bewahren und sich auf den Aufbau und die Wiedergutmachung der erlittenen Schäden widmen kann, beeilen Sie sich, Ihre Wahlkarten abzuhalten. Verpassen Sie diese Gelegenheit nicht.“
https://libyareview.com/18911/saif-al-islam-gaddafi-stresses-need-for-libyans-to-participate-in-elections/
+ 20.11.: Aisha Gaddafi. Die Schwester von Saif al-Islam Gaddafi und Tochter von Muammar al-Gaddafi hat in einem flammenden Appell die libyschen Frauen zur Unterstützung ihres Bruders bei den kommenden Wahlen aufgerufen.
Sie sagte: „Es ist an der Zeit, dass die Nacht der Erniedrigung in einem Morgen endet, der die Reinheit des Lebens wiederherstellt, Libyen aus dem Schmutz erhebt und wieder auferstehen lässt.“ Und weiter: „Saif al-Islam, dessen Gedanken immer bei Libyen waren, weigerte sich, das Land zu verlassen, trotz der verlockenden Angebote, die ihm in diesen schwierigen Jahren gemacht wurden. Er zog Libyen vor, auch wenn ihm der Tod drohte und diejenigen, die nicht das Beste für Libyen wollten, Verschwörungen gegen ihn schmiedeten. Aber es war, ist und bleibt seine einzige Option.“
https://libyareview.com/18917/aisha-gaddafi-calls-on-libyans-to-support-her-brothers-candidacy/
+ 19.11.: Schließung von Wahlbüros. Milizen haben die Schließung mehrerer Wahlbüros der Hohen Nationalen Wahlkommission (HNEC) im westlichen Libyen erzwungen, darunter az-Zawiya, Tadschura, al-Khums, Zliten, Ain Zara, Misrata, Gharyan und Zinten. Die Nationale Kommission für Menschenrechte in Libyen (NCHRL) verurteilte die „bewaffneten Angriffe, Sabotageakte und erzwungenen Schließungen“ und zeigte sich besorgt über das „verdächtige Schweigen und die Untätigkeit“ des Innenministeriums und der GNU-Regierung. Innenminister Mazen und Premierminister Dabaiba seien für die Sicherheit der Wahllokale verantwortlich.
https://libyareview.com/18876/libyan-human-rights-group-condemns-attacks-on-polling-stations/
+ 19.11.: Dabaiba/Wahlverschiebung. In einem Artikel von Africa Intelligence heißt es, dass nach der offiziellen Bekanntgabe der Präsidentschaftskandidatur von Feldmarschall Khalifa Haftar und dem Sohn von Muammar al-Gaddafi, Saif al-Islam Gaddafi, der GNU-Übergangspremierminister Dabaiba zunehmend auf eine Verschiebung des Wahltermins hinarbeite. Es wird deutlich, dass es sich bei der Zusicherung von Dezemberwahlen, die Dabaiba auf der Pariser Libyen-Konferenz gegeben hat, um reine Lippenbekenntnisse handle. In den westlichen Hauptstädten soll dies nicht gut aufgenommen werden.
Unter dem Vorwand, die Wahlen würden das Risiko eines Gewaltausbruchs beinhalten, soll Dabaiba versuchen, bei informellen Treffen die ‚internationale Gemeinschaft‘ von einer Verlängerung seiner eigenen Amtszeit überzeugen zu wollen. In Paris sei er dabei von seiner Übergangsaußenministerin Mangusch und dem Präsidialratsvorsitzenden al-Menfi unterstützt worden.
Diejenigen Gruppierungen der Moslembrüder, allen voran Khaled al-Mishri vom Hohen Staatsrat, die von Anfang an gegen die Abhaltung von Dezemberwahlen wegen des damit verbundenen eigenen Machtverlustes waren, haben nun in bestimmten Gegenden im westlichen Libyen mit Milizen die Schließung von Büros der Wahlkommission erzwungen.
Neben einer Änderung des vom Parlament beschlossenen Wahlgesetzes fordert Dabaiba nun auch im Schulterschluss mit den Moslembrüdern, dass vor der Abhaltung von Wahlen eine libysche Verfassung verabschiedet wird. Dies würde allerdings den Wahltermin um Monate wenn nicht Jahre verzögern.
Angeblich um den Wahltermin 24. Dezember zu retten, trafen sich „mehrere internationale Diplomaten und Kandidaten am 17. November auf dem Flughafen Mitiga in Tripolis“. An diesem Treffen, das von der westlichen Beratungs-NOC Libya Desk organisiert wurde, nahmen der US-Botschafter in Libyen, Richard Norland, die französische Botschafterin Beatrice Le Fraper du Hellen, die britische Vertreterin Caroline Hurndall, der Vorsitzende der Hohen Nationalen Wahlkommission (HNEC), Emad es-Sayeh, der stellvertretende Vorsitzende des Präsidialrats, Musa al-Koni, der derzeitige Innenminister Khaled Mazen und merkwürdiger Weise auch (ex-al-Kaida-Mann, ehemaliger Innenminister der ‚Einheitsregierung und jetzige Präsidentschaftskandidat) Fathi Bashagha teil – letzterer wird als Kandidat der USA gehandelt.
+ 20.11.: Mishri/Wahlverschiebung. Der Vorsitzende des Hohen Staatsrats (HCS), Khaled al-Mishri, hat erneut seine Ablehnung der vom Parlament verabschiedeten Wahlgesetze bekräftigt. Er forderte, die Wahlen zu verschieben. Al-Mishri kündigte an, dass der HCS einen Vorschlag unterbreiten werde, die erste Runde der Präsidentschaftswahlen erst am 15. Februar 2022 abzuhalten, zeitgleich mit den Parlamentswahlen.
https://libyareview.com/18889/al-mishri-calls-to-postpone-libyas-december-elections/
Der Hohe Staatsrat ist ein beratendes Organ, wird von der Moslembruderschaft beherrscht und von der Türkei gesteuert.
+ 23.11.: Kandidatenbewerbung. Einer der Kandidaten für das Präsidentenamt ahmte auf lächerliche Weise Kleidung und Aussehen von Saif al-Islam Gaddafi nach. Dies sollte wohl Verwirrung stiften – für wie dumm werden die libyschen Wähler gehalten?
https://twitter.com/smmlibya/status/1463111794361344003
Wenn es nicht möglich ist, die Wahlen zu verhindern, sollen zumindest unliebsame Kandidaten ausgeschlossen werden. Dies ist die Demokratie, die der Westen in Libyen herbeigebombt hat.
Allerdings ist es immer noch zweifelhaft, ob die Wahlen wirklich stattfinden. Wahrscheinlich wird versucht, die Gewalt im westlichen Libyen zu eskalieren, um einen Vorwand für eine Wahlverschiebung zu haben.
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