Unter dem Titel „Von der NATO getötet, von ihrer Regierung verraten: Libysche Überlebende suchen nach Antworten“ fragt am 14. Januar Mustafa Fetouri in WashingtonReport, wie die Nato dazu kam, sich in die internen Angelegenheiten Libyens militärisch einzumischen.

Der Westen beschuldigte 2011 die libysche Regierung und Muammar al-Gaddafi, mit schweren Waffen gegen Demonstranten vorzugehen und schaltete den UN-Sicherheitsrat ein. Dieser verabschiedete am 26. Februar 2011 die Resolution 1970, mit der gegen Libyen harte Sanktionen verhängt wurden. Die nur kurze Zeit später am 17. März 2011 verabschiedete Resolution 1973 enthielt den schwerwiegenden Satz, die UN-Mitgliedstaaten könnten „alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete“ zu schützen.

Dies diente für Frankreich, die USA und Großbritannien als Vorwand, um den Startschuss für Angriffe aus der Luft und von der See auf Libyen zu starten und bereits Ende März 2011 übernahm die Nato das Kommando im Krieg gegen Libyen, Codenamen Unified Protector. Es wurde eine Flugverbotszone ausgerufen, angeblich um die libysche Zivilbevölkerung zu schützen, und weitere Länder wie Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar schlossen sich der NATO-geführten Militäroperation an.

Die zivilen Nato-Opfer

In der Nacht des 4. August 2011 schlug eine Nato-Rakete in das Haus von Mustafa al-Morabit etwa 170 km östlich von Tripolis ein und tötete seine Frau und die beiden Söhne im Alter von fünf und drei Jahren.
In der Nacht 19. Juni 2011 schlug eine Nato-Rakete in das Haus von Mohamed al-Gharari im Bezirk Suq al-Dschumaa östlich von Tripolis ein und tötete seinen Bruder, seine Schwester, deren Ehemann und ihre beiden Kinder im Alter von zwei Jahren und sieben Monaten. Acht weitere Personen wurden verletzt. Dies war der einzige Fall, bei dem die NATO zugegeben hat, dass sie möglicherweise Zivilisten infolge eines „Waffensystemversagens“ tötete. Für weitere Opfer in der Zivilbevölkerung übernahm die Nato keine Verantwortung, obwohl sie insgesamt rund 26.000 Einsätze in Libyen flog.
Nach sieben Monaten Nato-Krieg war im Oktober 2011 die Zerstörung Libyens komplett und hunderte von Zivilisten tot. Libyen war zerstört und unregierbar, Gaddafi selbst ermordet. Die Nato brüstete sich mit ihrem Sieg als hätte sie über eine militärische Supermacht gesiegt.
Airwars schätzte nach jüngsten Untersuchungen im Jahr 2022, dass zwischen März und Oktober 2011 in Libyen etwa 223 bis 403 Zivilisten durch NATO-Luftangriffe getötet wurden. Die meisten Todesopfer unter der Zivilbevölkerung waren in Wohngebieten, Privathäusern und landwirtschaftlichen Betrieben in mehr als zehn Städten und Gemeinden im Westen Libyens zu beklagen, darunter Tripolis, Surman (westlich von Tripolis), Bani Walid (Südwesten) und Brega (östliches Libyen).

Die juristische Seite

Die Fragen, die der Autor Mustafa Fetouri diesbezüglich an das Nato-Hauptquartier in Brüssel richtete, wurden nie beantwortet. Durch die Nato verursachte Todesfälle wurden geleugnet und eine Diskussion des Themas abgelehnt.
Als im Jahre 2012 Khaled al-Hamedi, der seine ganze Familie bei einem Nato-Angriff auf sein Wohnhaus in Surman verloren hatte, Klage vor einem belgischen Gericht einreichte, wurde diese abgewiesen mit der Begründung, dass die Nato als Organisation diplomatische Immunität genieße. Nun will der Anwalt von al-Hamedi, Fermon, eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen. Die Chancen hierfür werden als gering eingeschätzt.

Der Überlebende Mohamed al-Gharari wurde sogar von einem Anwalt, der die Nato juristisch zur Rechenschaft ziehen sollte, um mehrere tausend Dollar geprellt.

Die libysche Seite

Keinerlei Hilfe hatten die Angehörigen der zivilen Opfer der Nato-Bomben von den verschiedenen, seit 2011 in Libyen an die Macht gekommenen Regierungen zu erwarten, hatte ihnen der Nato-Krieg doch den Weg zur Macht eröffnet. Die libysche Justiz und libysche Anwälte scheuen laut Mustafa Fetouri davor zurück, sich mit diesen Fällen zu befassen. Petitionen wurden auf Eis gelegt, Briefe nie beantwortet.

Das Land Libyen wurde 2011 durch Nato-Bomben zerlegt. Alle Bemühungen der UNO, um eine politische Lösung sind bisher gescheitert. Seit 2011 wurden acht UN-Sondergesandte für Libyen verschlissen, seit September 2022 übt dieses Amt der Senegalese Abdoulaye Bathily aus, der sich darum bemüht, die Voraussetzungen für Wahlen in Libyen zu schaffen. Allerdings hält Mustafa Fetouri die Chancen hierfür für äußerst gering angesichts „der anhaltenden ausländischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und der korrupten politischen Elite“.

Verantwortung für den Schutz der Zivilbevölkerung

Die sogenannte Responsibility to Protect Civilians hat in Libyen das Schutzprinzip auf den Kopf gestellt. Der Zivilbevölkerung geht es fast zwölf Jahre nach dem Nato-Krieg gegen Libyen viel schlechter als vor 2011, Demokratie und Frieden, die mit der Nato 2011 herbei gebombt werden sollten, sind nicht in Sicht.

Mustafa Fetouri schreibt: „Die Erfahrungen in Libyen zeigen die Schwierigkeiten, die mit einer >humanitären Militärintervention< verbunden sind, denn sie verstößt gegen die UN-Charta, die die Souveränität der Nationen betont. Das Engagement der Nato in Libyen macht alles, wofür die Vereinten Nationen stehen, zum Gespött.“

Es ist nicht nur Libyen, auch bei den Nato-Kriegen in Jugoslawien (1999) und Afghanistan (2001 bis 2021) zeigt die Nato auf Beschuldigungen von Menschenrechtsgruppen, Zivilisten getötet zu haben, keinerlei Reaktion. Trotzdem wollen al-Gharari, al-Morabit und al-Hamedi ihre Versuche, die Nato zur Rechenschaft für den Tod ihrer Familien zu ziehen, noch lange nicht aufgeben.

https://www.wrmea.org/north-africa/killed-by-nato-betrayed-by-their-government-libyan-survivors-look-for-answers.html