Selbstkritik war angesagt bei einem Webinar, das sich mit der Militärintervention des Jahres 2011 in Libyen und deren Folgen auseinandersetzte.
Anlässlich des 11. Jahrestages der Entscheidung des damaligen US-Präsidenten Obama, aufgrund der später ins maßlose überdehnten Auslegung der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 in Libyen militärisch zu intervenieren, hielt der National Council on U.S. Libya Relations/NCUSLR) am 18. März 2022 ein Webinar ab.
Vorgestellt wurde das neue Buch von Dr. Stefano Marcuzzi mit dem Titel „The EU, NATO and the Libya Conflict – Anatomy of a Failure“
Moderiert von NCUSLR-Präsident Dr. Hani Schennib hatten neben dem Buchautor Stefano Marcuzzi der ehemalige US-Botschafter in Libyen, Gene Cretz, der ehemalige Nato-Generalmajor Rob Weighill (seinerzeit Nato-Befehlshaber in Neapel), der Vorsitzende des Europäischen Rates für Auswärtige Beziehungen, Arturo Varvelli, der Vorsitzende des NCUSLR Avdisory Board, Wolfgang Pusztai und die ehemalige libysche Botschafterin in der EU, Dr. Farida Allaghi, das Wort.
Der Buchtitel von Marcuzzis Buch „EU, Nato und der Libyenkonflikt – Anatomie des Scheiterns“ sagt eigentlich schon alles über den Inhalt dieses Webinars aus. Heute scheint diese Militärintervention durchgängig als Fehlentscheidung bewertet zu werden. Dazu nur wenige Randbemerkungen.
So schob der ehemalige US-Botschafter die Schuld für das westliche Scheitern in Libyen natürlich den Europäern in die Schuhe, die für die Stabilisierung Libyens nach der Militärintervention verantwortlich gewesen seien. Als Ausrede für das Scheitern muss auch herhalten, dass man einfach zu wenig Informationen über das Land gehabt hätte, nicht genau Bescheid wusste, wie Libyen, seine Gesellschaft und seine Institutionen strukturiert sind und funktionieren. Solche Behauptungen kann man getrost als lächerliche Ausreden abtun, da hätte die damaligen politischen Verantwortlichen jeder Laie, der sich auch nur oberflächlich mit Libyen befasst hatte, aufklären können. Von einem Land wie den USA oder auch den europäischen Ländern, mit ihren unzähligen Mitarbeitern in finanziell bestens ausgestatteten Thinktanks wären stimmige Informationen über Land und Leute zu erwarten gewesen. Auch nach dem Desaster, das im Irak nach der Militärintervention durch die USA und der ‚Koalition der Willigen‘ angerichtet wurde, muss man von verantwortungsloser Skrupellosigkeit sprechen, Libyen ohne jede Rücksicht auf die dortige Bevölkerung in das gleiche Desaster zu jagen.
Das war nicht Unwissenheit und Naivität, so wie es jetzt gerne dargestellt wird. Es war Absicht und Hybris. Zerstörung und die Herbeiführung eines kreativen Chaos’, auf dem dann ein System nach eigenem Gusto aufgebaut werden sollte. Das Chaos ist gelungen, der Aufbau nicht. Ganz im Gegenteil wurden alle Versuche, Libyen aus dem Zustand des failed state zu befreien, hintertrieben, um das Chaos so lange aufrechtzuerhalten, bis man eine vom Westen handverlesene, korrupte Regierung hätte an die Macht hieven können, die einen den Zugang zu den Öl- und Gasvorkommen zu besten Konditionen gewährt.
Alles ist kolossal missglückt. Dies sehen nun auch die Akteure ein. Es ist selbstverschuldet aus dem Ruder gelaufen. So wie in Afghanistan die Taliban siegten und im Irak der Iran lachender Dritter war, konnte in Libyen Russland an Einfluss gewinnen. Pusztai wies darauf hin, dass dem jetzigen Kommandeur der Libyschen Nationalarmee (LNA) im Osten des Landes, Khalifa Haftar, niemand aus den westlichen Ländern zu Hilfe eilte, als radikal-islamistische Kräfte versuchten, Bengasi, die größte Stadt im Osten des Landes unter ihre Kontrolle zu bekommen. Ganz im Gegenteil, möchte man hinzufügen. Die westlichen Mächte taten alles, um den Einfluss extremistischer Islamisten zum Beispiel durch die Einsetzung eines von der Moslembruderschaft beherrschten Hohen Staatsrats zu erhalten, auch mit Hilfe krimineller Milizen, hatten diese Milizen doch 2011 als Bodentruppen im Nato-Krieg gegen die Dschamahirija gedient und forderten jetzt ihre Belohnung. Haftar lebte zwar lange Jahre in den USA und galt als Mann der CIA, allerdings hatte er seine Militärausbildung in Russland absolviert und die Waffen, die den Libyern in dieser Situation der Bedrängnis zur Verfügung standen, waren russische Waffen, geliefert noch in der Gaddafi-Ära. Auch die russische Wagner-Gruppe wurde im Osten engagiert, um zu helfen, die Erdölfelder und -anlagen zu schützen.
Es war nicht nur Russland, das die LNA und Haftar unterstützte, sondern auch Frankreich und insbesondere Ägypten, dass an seiner Grenze unter keinen Umständen islamistische Extremisten dulden konnte. Davon abgesehen spielten viele ein doppeltes Spiel, auch Engländer und US-Amerikaner waren in Bengasi aktiv.
Wolfgang Pusztai rechnete mit den gescheiterten Versuchen des Westens, politisch in Libyen Fuß zu fassen, mit folgenden Worten, ab: „Der gesamte Skhirat-Prozess ist ein gutes Beispiel, wie man Krisen nicht managen kann“.
Ziemlich ungehalten äußerte sich die ehemalige libysche Botschafterin Farida Allaghi. Eine erbitterte Gegnerin Gaddafis ist sie über den Westen, von dessen sinnlosen Verhandlungen und Konferenzen und der Unterstützung von bis aufs Mark korrupten Politikern, zutiefst enttäuscht. Sie ist der Meinung, die Libyer sollten ihre Probleme selbst lösen und Wahlen müssten dringend abgehalten werden, denn in der libyschen Bevölkerung brodele es.
Wieviel Leid wurde über die libysche Bevölkerung gebracht, nur damit der Westen jetzt erkennt, dass er politisch vor einem Scherbenhaufen steht. Jetzt in einem Moment, da Europa angesichts der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg Libyen mehr denn je bräuchte.
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