Seit seiner Verschleppung im Jahr 2015 wird Hannibal al-Gaddafi in einem Beiruter Gefängnis ohne Anklage oder Gerichtsverhandlung gefangen gehalten. Als Protest befindet er sich im Hungerstreik.

Marinella Correggia weist im italienischen Manifesto auf die erschütternde Situation der Gefangenschaft von Hannibal Gaddafi im Libanon hin. Sie schreibt: „Sein Leben ist in Gefahr, da er sich seit Juni aus Protest im Hungerstreik befindet, der nur durch mehrere Krankenhausaufenthalte unterbrochen wurde. Berichten zufolge hat er bereits 25 Kilogramm abgenommen.“ Die letzte Nachricht sei besorgniserregend, denn die Ärzte haben erklärt, ein weiteres Fasten würde seinen Körper überfordern. Doch Hannibal verweigert nach wie vor die Nahrungsaufnahme.

Auch der Libanon hat die Allgemeine UN-Menschenrechtserklärung ratifiziert, in der es in Artikel 9 heißt: „Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden“, und in Artikel 10: „Jeder hat das Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht“. Für den am 11. Dezember 2015 von der von Milizionären der libanesischen bewaffneten Gruppe Amal verschleppten Hannibal Gaddafi scheint dies nicht zu gelten.

Hannibal wird vorgeworfen, keine Informationen darüber preiszugeben, was 1978 mit dem schiitischen Imam und Gründer der Amal-Bewegung, Moussa Sadr, und seinen Begleitern geschah. Die Amal-Bewegung glaubt, dass Muammar al-Gaddafi, der Vater von Hannibal, für das Verschwinden von Moussa Sadr, der sich zu Verhandlungen in Libyen aufgehalten hatte, verantwortlich sei. Muammar al-Gaddafi beteuerte stets, mit dem Verschwinden nichts zu tun gehabt zu haben, Sadr habe damals Libyen mit dem Flugzeug Richtung Rom verlassen. Moussa Sadr sei einem innerschiitischen Komplott zum Opfer gefallen.

Dagegen scheint Sadrs Familie der Überzeugung zu sein, dass der Imam, der heute 94 Jahre alt wäre, immer noch irgendwo in Libyen festgehalten wird, während andere Amar-Anhänger glauben, er sei 1978 von Muammar al-Gaddafi getötet worden.

Zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war Hannibal gerade drei Jahre alt und somit mit Sicherheit nicht in die Vorgänge um as-Sadr verwickelt. Und selbst wenn er von seinem Vater Informationen über Sadr erhalten hätte, dürfte er nach libanesischem Recht nicht zu einer Aussage gegen seinen Vater gezwungen werden.

Es sei noch erwähnt, dass Hannibal al-Gaddafi zu keiner Zeit in Libyen politisch aktiv war oder Ämter bekleidete.

Nabih Berri und die Amal-Bewegung

Libanon steckt im politischen Chaos fest. Für die dort herrschende Pattsituation ist nicht zuletzt Nabih Berri verantwortlich, der seit 1992 der Präsident des libanesischen Parlaments und zugleich Anführer der Amal-Bewegung ist.

Der libanesische Anwalt Bushra al-Khalil ist der Meinung, dass Nabih Berri den Fall Hannibal Gaddafi entsprechend seiner Interessen handhabt und bezweifelt, dass überhaupt eine Absprache zwischen der Familie as-Sadr und Nabih Berri besteht. Der Sadr-Familie gehe es um Informationen über den Verbleib des Imams, Berri hingegen um Geld. Deshalb sei auch nicht die Vermittlung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad angenommen worden, obwohl Hannibal als politischer Flüchtling zum Zeitpunkt seiner Entführung unter dem Schutz des syrischen Staates stand. Stattdessen sei für die Freilassung Hannibals der Zugriff auf die im Libanon auf Konten befindlichen zwei Milliarden USD, die dem libyschen Staat gehören, gefordert worden. Hannibals Anwalt erklärte, Hannibal werde als „politische Geisel für nicht offen benannte Zwecke missbraucht“. Den Verantwortlichen im Libanon sollte klar sein, dass die politischen Verhältnisse in Libyen alles andere als geklärt sind und ein gutes Einvernehmen mit Libyen schon in naher Zukunft wünschenswert sein könnte.

Weite schiitische Kreise im Libanon teilen übrigens die Überzeugung, dass Hannibal al-Gaddafi nichts mit dem Verschwinden des Imams as-Sadr im Jahr 1978 zu tun hat.

Libyens Bemühungen verhallen ungehört

Libyen hat zwischenzeitlich eine eigene Kommission eingerichtet, um im Fall Hannibal auf dem Laufenden zu bleiben. Ihr Ersuchen an die libanesische Botschaft in Tripolis um die Ausstellung von Visen blieb unbeantwortet, ebenso wie die förmliche Anfrage der Regierung in Tripolis, eine libysche Delegation zur Erörterung des Falls nach Beirut schicken zu dürfen, und die Bitte, einem medizinischen Team die Erlaubnis zu erteilen, Hannibal Gaddafi zu untersuchen.

Genauso wenig reagierten die libanesischen Behörden auf die Aufforderung des libyschen Generalstaatsanwalts as-Siddiq as-Sour, der mit Nachdruck forderte, Hannibal Gaddafi aufgrund seines lebensbedrohlichen Gesundheitszustands umgehend freizulassen. As-Sour forderte von Beirut, „Mechanismen für Hannibals Auslieferung an Libyen gemäß den libanesischen Strafgesetzen zu aktivieren oder ihm die Ausreise in ein Zufluchtsland zu ermöglichen“. As-Sour schlug ferner eine Zusammenarbeit mit den juristischen Behörden im Libanon im Fall des 1978 verschwundenen Imams vor und forderte die libanesische Staatsanwaltschaft auf, ein Rechtshilfeersuchen zu stellen. Dies könne zur Klärung der Hintergründe des Verschwindens von as-Sadr beitragen.

Auch der Bruder Hannibal al-Gaddafis, der libysche Präsidentschaftskandidat Saif al-Islam Gaddafi, hat wiederholt und dringend die Freilassung von Hannibal gefordert.

Die Gaddafi-Söhne – vogelfrei

Keinerlei Unterstützung erhält der in Lebensgefahr schwebende Hannibal von den Vereinten Nationen oder der sogenannten, ach so werteorientierten, ‚internationalen Gemeinschaft‘. Auch hier zeigt sich wieder einmal wie heuchlerisch und mit welcher Doppelmoral der Westen agiert. Kein Wort des UN-Hochkommissars für Menschenrechte oder der UN-Arbeitsgruppe bezüglich der unrechtmäßigen, achtjährigen Gefangenschaft von Hannibal al-Gaddafi in Beirut, ebenfalls kein Wort von Staaten, die im Libanon über genügend Einfluss verfügen, um dieser jämmerlichen Rechtsvorstellung des Libanon ein Ende zu bereiten. Und auch die westliche Öffentlichkeit übt sich in beklemmendem Schweigen.

 

 

https://ilmanifesto.it/la-surreale-detenzione-di-hannibal-gheddafi-in-libano
https://libyareview.com/36600/libyas-attorney-general-calls-for-release-of-hannibal-gaddafi/
https://twitter.com/SaifFuture/status/1688580632618631168
https://libyareview.com/36346/hannibal-gaddafi-claims-lebanon-demanding-2-billion-for-his-release/