Libyen/Ägypten/Türkei. Ägyptisches Parlament erteilt Freigabe für militärischen Auslandseinsatz / Türkei rudert zurück

Das ägyptische Parlament hat am Montag einstimmig beschlossen, ägyptische Truppen in Kampfeinsätze außerhalb Ägyptens zu entsenden, um die nationale Sicherheit Ägyptens gegen bewaffnete kriminelle Milizen und ausländische terroristische Elemente zu verteidigen.

Das ägyptische Parlament hatte eine Klausurtagung mit 510 Abgeordneten abgehalten, um die Entsendung ägyptischer Truppen ins Ausland zu prüfen und zu verabschieden. Die Tagung befasste sich mit den Ergebnissen der Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates, die am Sonntag unter der Leitung von Präsident Abdel Fattah as-Sisi stattgefunden hatte und mit den Bedrohungen, denen das Land angesichts des sich abzeichnenden Kampfes um die libysche Stadt Sirte ausgesetzt ist.

Das libysche Parlament hat den Beschluss des ägyptischen Parlaments begrüßt. Dieser würde dazu beitragen, Sicherheit und Stabilität im Land zu erreichen und die nationale Sicherheit Libyens und Ägyptens zu wahren und die Region vor den kolonialen Ambitionen der Türkei zu schützen.

Ägypten will auf jeden Fall verhindern, dass sich eine geschlossene politische Macht und Einflusszone der Moslembrüder von der Türkei über den Gaza-Streifen, von Tunesien, Algerien und Libyen bis Katar bildet, also vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Die Öleinnahmen Libyens kämen dann dem politischen Islam zugute.

Bereits am 20. Juni ließ der ägyptische Präsident as-Sisi über das Fernsehen wissen, dass es Ägypten nicht zulassen werde, dass die strategisch wichtige Stadt Sirte in die Hände der ‚Einheitsregierung‘ und deren türkische Verbündete fällt. Damit werde eine rote Linie überschritten, die ein militärisches Eingreifen Ägyptens notwendig machen würde – falls das libysche Volk um Hilfe ersuche. Unterstützung erhält as-Sisi dabei v.a. von den VAE und auch Saudi Arabien, die in strenger Gegnerschaft zu Katar und der Moslembruderschaft stehen.

Das demokratisch gewählte und international anerkannte libysche Parlament, das der ‚Einheitsregierung‘, die heute von der Türkei und der Moslembruderschaft kontrolliert wird, niemals das Vertrauen ausgesprochen hat, stimmte letzte Woche für das Ersuchen um ein militärisches Eingreifen Ägyptens, sollten die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ Sirte angreifen.

Dass es die Libysche Nationalarmee unter Haftar und der Oberbefehlshaber der LNA, Parlamentspräsident Aguila Saleh, Ernst meinen, zeigte ihr Angriff Anfang des Monats auf den Luftwaffenstützpunkt al-Watiya, der von der Türkei vor Kurzem eingenommen worden war. Die Türkei drohte Vergeltung an, die bis jetzt jedoch nicht erfolgte.

Am 20.07. trafen sich die Vertreter der Türkei, Katars und der ‚Einheitsregierung‘ zu einer Lagebesprechung. Die Nachrichtenagentur von Katar twitterte am 19.07., dass der Prinz von Katar, Scheich Tamim Bin Hamad, in Doha den türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar empfangen habe. Bei diesen Treffen dürfte die Abstimmung über das weitere Vorgehen in Libyen erfolgt sein.

Während die Intervention der Türkei in Libyen zugunsten der ‚Einheitsregierung‘ von der EU, der Nato und den USA nicht nur toleriert, sondern vermutlich auch begrüßt worden war, sähe die Sache schon anders aus, wenn sich das Nato-Mitglied Türkei auf einen Krieg mit Ägypten einließe, der eine unvorhersehbare Eigendynamik entwickeln könnte und befreundete Regierungen plötzlich zu Feinden machte. Das Ziel des Westens ist es, den Konflikt in Libyen solange am Köcheln zu halten, bis man Libyen eine Friedenslösung nach eigenem Gusto aufzwingen kann, und nicht mit dem Großteil der arabischen Welt in einen Krieg verwickelt zu werden.

So haben bereits am 18.07. Angela Merkel, Emmanuel Macron und Giuseppe Conte eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie ihre Bereitschaft bekundeten, Sanktionen gegen ausländische Akteure zu verhängen, die gegen das Waffenembargo in Libyen verstoßen. Was man von solchen Lippenbekenntnissen zu halten hat, ist klar, seit man sieht, wie die Operation Irini bei dem Versuch, das Waffenembargo durchzusetzen, gnadenlos versagt.

Auch das Weiße Haus ließ durch seinen Sprecher Judd Deere wissen, dass der Konflikt in Libyen durch den Einmarsch ausländischer Truppen und Waffenlieferungen verschärft wurde. Darüber habe Trump am 20.07. mit Emmanuel Macron gesprochen ebenso wie mit dem ägyptischen Präsidenten as-Sisi. Auch die USA, stärkster Verbündeter von Saudi Arabien, wollen kein weiteres Erstarken der Moslembrüder in der Region.

Nachdem der türkische Präsident Erdogan zunächst Verhandlungen über einen Waffenstillstand kategorisch ablehnte, solange Sirte und al-Dschufra, d.h. die libyschen Ölquellen, nicht vollständig unter der Kontrolle der ‚Einheitsregierung‘ stünden und der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar noch bei seinem Besuch in Libyen tönte: „Die Türkei wird für immer in Libyen bleiben…und es gibt keine Lösung in der Region ohne die Türkei“, muss Ankara jetzt wohl zurückrudern. Der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalin, sagte, dass sein Land die Spannungen nicht weiter eskalieren lassen wolle und „nicht die Absicht habe, in Libyen mit Ägypten, Frankreich oder einem anderen Land in Konfrontation zu treten“. Allerdings werde man weiterhin für das Recht der rechtmäßigen Regierung in Tripolis eintreten, sich zu verteidigen. Dies geschehe im Einvernehmen mit den USA und Europa. Vergessen wird dabei, dass es sich bei der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis um eine vom Ausland eingesetzte Regierung handelt, die keinerlei Legitimation als ihre Anerkennung durch das Ausland besitzt, gestützt nur durch syrische Söldner und kriminelle Milizen, mittlerweile komplett von der Moslembruderschaft kontrolliert.

In der Erklärung wird auch behauptet, die Türkei wolle den politischen Prozess im Einklang mit UN-Regeln und der Berliner Libyen-Konferenz voranbringen. Dabei wird vergessen, dass schon während im Januar in Berlin getagt wurde und Erdogan sich zum Waffenembargo bekannte, gleichzeitig Schiffe mit türkischen Waffen nach Libyen auf den Weg gebracht wurden. Einfach falsch ist die Behauptung der Türkei, Marschall Haftar verstoße „gegen alle Vereinbarungen, insbesondere das Skhirat-Abkommen, indem er 2015 erklärte, dass er es nicht anerkenne.“ Hat die Türkei immer noch nicht begriffen, dass Haftar nicht ausschlaggebend ist, sondern dass es ein libysches Parlament und dessen Präsidenten Aguila Saleh gibt, das zum einen Haftar mit dem Aufbau der libyschen Armee beauftragte und zum anderen dem Skhirat-Abkommen hätte zustimmen müssen, damit es überhaupt in Kraft treten kann, was nie passierte?

Beide Seiten, die Türkei und die LNA, rüsten währenddessen auf. Laut eines Berichts des Generalinspekteurs des US-Verteidigungsministeriums hat die Türkei allein in den ersten drei Monaten des Jahres zwischen 3.500 und 3.800 weitere syrische Söldner nach Libyen gebracht, ebenfalls kommen immer mehr türkische Militärgüter an dem türkisch besetzten al-Watija-Luftwaffenstützpunkt im Westen Libyens an. Die LNA führt Marinemanöver vor Sirte und Ras Lanuf durch und verstärkt ihr Truppen um die Stadt Sirte, an die Milizen der ‚Einheitsregierung‘ bis auf 140 Kilometer herangerückt sind und auch das ägyptische Militär bringt sich in Stellung.

Unterdessen greifen am 21.07. auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel zur Unterstützung ihrer islamistischen Brüder im Nachbarland Libyen schon mal al-Kaida-Milizen militärische Checkpoints an und töten zwei ägyptische Soldaten. Das Militär schlug zurück und tötete 18 Milizionäre.

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https://www.nzz.ch/international/toedlicher-angriff-auf-sicherheitskontrolle-in-aegypten-ld.1567517?mktcid=nled&mktcval=164_2020-07-22&kid=_2020-7-21&ga=&trco=