Hannibal Gaddafi im Libanon gefangen - Oktober 2025

Nachdem Hauptmann Hannibal Gaddafi im Libanon aufgrund schwerer Erkrankungen von seiner Gefängniszelle in ein Krankenhaus verlegt werden musste, schlägt die Empörung über seine unrechtmäßige Inhaftierung nicht nur in Libyen hohe Wellen. Der internationale Druck, der auf den Libanon zur Freilassung von Hannibal Gaddafi ausgeübt wird, erhöht sich.

Gerechtigkeit und Freiheit für Hannibal Gaddafi

Am 3. Oktober 2025 veröffentlichte der Menschenrechtsaktivist Nasser al-Hawari ein Foto, das Hannibal Gaddafi in einem Krankenbett einer libanesischen Klinik zeigt. Bildunterschrift: „Freiheit für Hannibal Gaddafi!“

Hannibals Anwalt Laurent Bayon erklärte am selben Tag, dass Hannibal Gaddafi innerhalb von weniger als zwei Wochen ein zweites Mal wegen einer schweren Lungen- und Leberinfektion in eine Klinik eingeliefert werden musste und dass auch sein psychischer Zustand sich verschlechtere. Hannibal werde seit Jahren ohne Rechtsgrundlage im Libanon unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, sei isoliert und psychischem Druck ausgesetzt. Sein Klient setze aber immer noch Hoffnung in die libanesische Justiz und vertraue darauf, dass ihm endlich Gerechtigkeit widerfahre.

Obwohl Hannibal Gaddafis Anwaltsteam ständigen Kontakt mit der libanesischen Staatsanwaltschaft, den ermittelnden Beamten und dem libanesischen Justizminister hält, war es Anwalt Bayon bisher nur einmal erlaubt, Hannibal Gaddafi im Krankenhaus zu besuchen. Khaled al-Ghwell, Mitglied des Anwaltsteams von Hannibal Gaddafis, drängte sich die Frage auf, ob es der Wille der libanesischen Behörden sein könne, Hannibal Gaddafi im Gefängnis sterben zu lassen.

Seit 2017 ist Hannibal Gaddafi keinem Richter mehr vorgeführt worden, wohl nicht zuletzt deshalb, weil jegliche Beweise für eine Verurteilung fehlen. Hannibal wird vorgeworfen, Informationen über das Verschwinden des Imam Musa as-Sadr und dessen Gefährten im Jahr 1978 zurückzuhalten, wohl wissend, dass Hannibal Gaddafi 1978 gerade erst zwei Jahre alt war. Was für eine Farce!

Hannibal Gaddafis Familie macht ebenso wie der Sozialrat des Gaddafa-Stammes die libanesische Regierung für seinen besorgniserregenden Zustand verantwortlich und fordert  alle internationalen Menschenrechtsorganisationen auf, ihrer humanitären und rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, indem diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Nach Hunderten von Freilassungsgesuchen gab die Familie des Journalisten Badreddine, der zusammen mit Imam Musa as-Sadr und Hassan Jakub 1978 verschwunden war, endlich ihre Zustimmung zur  Freilassung von Hannibal Gaddafi. Überraschenderweise stimmte auch die Familie von Badr ad-Din Ali einer Freilassung von Hannibal zu.
Die Familien von as-Sadr und Jakub reagierten dagegen auf entsprechende Anfragen ablehnend. Die Familie von as-Sadr reichte gar am 3. Oktober einen Antrag auf Vernehmung von Hannibal Gaddafi bezüglich des Verschwindens von as-Sadr ein.

Ob Freilassung oder Vernehmung – die Entscheidung liegt beim libanesischen Richter Zaher Hamadeh.

Es ist offensichtlich, dass Hannibal Gaddafi nur deshalb seit fast zehn Jahren ein politischer Gefangener des Libanon ist, weil er den Namen Gaddafi trägt. Wie könnte er, der später niemals politische Posten in Libyen bekleidete, als damals Zweijähriger Informationen über das Verschwinden des Imam Musa al-Sadr im Jahre 1978 haben? Hannibal ist zur Verhandlungsmasse in einem politischen Streit zwischen dem Libanon und Libyen geworden. Dazu Ines Harrak, Mitglied in Gaddafis Anwaltsteam: „Die Aussage von Richter Hassan asch-Schami, dass Hannibal inhaftiert bleibt, bis der libysche Staat Informationen zum Fall Imam as-Sadr bereitstellt, ist sehr ernst.“ Dies verstoße gegen die grundlegendsten Standards von Gerechtigkeit und Menschenrechten. Hannibal in Geißelhaft.

Verständlich ist, dass Hannibal Gaddafi laut seines Anwalts Laurent Bayon keine Einmischung von Seiten Libyens in seinen Fall wünscht. Dieser sei rein humanitärer Natur und sollte nicht zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen gemacht werden. Hannibal setze sein Vertrauen in die Fairness von Richter Hamadeh. Es sei aber alarmierend, dass die libanesische Justiz selbst einräumt, dass die Inhaftierung nicht auf ein von Hannibal begangenes Verbrechen zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf die mangelnde Kooperationsbereitschaft der libyschen Behörden.

Das Justizministerium der libyschen Dabaiba-‚Regierung‘ verwehrte sich gegen diesen Vorwurf: Es habe stets seine volle Kooperationsbereitschaft gezeigt, zuletzt sei über diplomatische Kanäle ein offizielles Memorandum an die Justiz- und Rechtsbehörden im Libanon übermittelt worden, das einen fairen Vorschlag zur Beendigung des Verfahrens enthalten habe, das von libanesischer Seite mit Schweigen beantwortet wurde.

Der Rechtsprofessor Madschdi asch-Schabaani sieht eine echte Chance für die Freilassung von Gaddafi, sollte es eine offizielle Abstimmung mit der libanesischen Justiz und klare Garantien geben. Eine Rückkehr Hannibals nach Libyen könnte für ihn gefährlich sein, es bleibe die Option, im Ausland politisches Asyl zu beantragen.

Viele Stimmen fordern die Freilassung Hannibal Gaddafis

Der Fall Hannibal Gaddafi ist inzwischen in der arabischen Welt zu einem nicht unbedeutenden Diskussionsthema geworden. Immer mehr Menschen und Gruppen setzen sich für die Freilassung von Hannibal ein. In Libyen trendet der Hashtag Freiheit für Hannibal Gaddafi.

Die Vereinigung der Justizbehörden gründete ein Komitee, das die von bestimmten libanesischen Parteien vorgebrachten Anschuldigungen widerlegen will. Auch der Vorsitzende der Nationalen Union Libyscher Parteien, Asaad Zahio, sieht Hannibal Gaddafi als Opfer kalter libanesischer Rachepolitik: ein humanitärer Alptraum, dem ein Ende gesetzt werden müsse. Wer hierzu schweigt, mache sich mitschuldig.

Die Nationale Institution für Menschenrechte in Libyen fordert ebenso wie der Nationale Rat für Freiheit und Menschenrechte die sofortige Freilassung von Hannibal Gaddafi und verlangt darüber hinaus ein medizinisches Team unter Aufsicht des Internationalen Roten Kreuzes zur Überwachung seines Gesundheitszustands sowie eine internationale Überprüfung der Umstände seiner Festnahme und Inhaftierung. Und der Präsident des Ältestenrates von Libyen, Mohammed al-Mubascher, hält den Fall Hannibal Gaddafi für einen Test dafür, wie ernst der Staat den Schutz der Würde seiner Bürger nimmt.

Auch wenn das libysche Staatsratsmitglied Saad bin Scharada Hannibal nach einer Freilassung das Recht auf eine Rückkehr nach Libyen bestätigt, weist der Politikanalyst Faradsch Dardur darauf hin, dass Hannibal in Libyen keine politische Rolle mehr spielen wird und seine Freilassung ausschließlich dazu führen werde, dass er zu seiner Familie zurückkehren und in Frieden leben könne.

Die libysche Schriftstellerin Yasmine Al-Shibani appellierte in der Londoner Zeitung Rai al-Jum an das libanesische Gedächtnis: Libyen habe während des Bürgerkriegs seine Türen geöffnet und Libanesen nicht nur moralisch, sondern auch mit Hilfsbereitschaft und finanziell unterstützt. Nun setze man die Hoffnungen auf den neuen libanesischen Präsidenten, damit er dieser langjährigen Tragödie von Hannibal Gaddafi ein Ende setzt.

Die Vorgeschichte: Hannibals Verschleppung in den Libanon

2015 wurde Hannibal Gaddafi unter dem Vorwand eines mit ihm geplanten Interviews an einen Ort nahe der libanesischen Grenze gelockt, dort gefangen genommen und in den Libanon verschleppt. Die Entführer, die ihn auch folterten, forderten ein Lösegeld und Auskunft über den Verbleib des 1978 verschwundenen libanesischen Imams as-Sadr.

Die libanesischen Vollzugsbehörden befreiten Hannibal al-Gaddafi aus der Hand seiner Entführer, nur um ihn wenige Tage später zu verhafteten. Richter Hamadeh hatte gegen ihn einen Haftbefehl erlassen, in dem er beschuldigt wurde, Informationen über das Verschwinden des Imams Musa as-Sadr zu verheimlichen. Er wurde den libanesischen Sicherheitsbehörden übergeben und 2016 offiziell angeklagt.

Hannibal Gaddafi trat von Juni bis Oktober 2023 in einen Hungerstreik, um gegen seine willkürliche Inhaftierung und die schlechten Haftbedingungen zu protestieren. Der erhebliche Gewichtsverlust und sein besorgniserregender Gesundheitszustand führten zu wiederholten Krankenhausaufenthalten. Bereits am 16. Januar 2024 hatte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht über die unrechtmäßige Einkerkerung von Hauptmann Hannibal Gaddafi veröffentlicht und von den libanesischen Behörden seine sofortige Freilassung gefordert.

1978: Das Verschwinden des Imams Musa as-Sadr und seiner Begleiter

Muammar Gaddafis Darstellung besagte seinerzeit, dass Imam Musa as-Sadr und seine Begleiter Libyen mit einem Flugzeug in Richtung Italien verließen. Seine Kleidung und andere Habseligkeiten wurden tatsächlich in einem Hotel in Rom gefunden, in dem as-Sadr für sich und seine Begleiter Zimmer gebucht hatte.

Diese libysche Darstellung wird bis heute von libanesischer Seite bestritten. Insbesondere die Familienangehörigen von as-Sadr beharren darauf, dass der Imam und seine Begleiter in Libyen verschwunden sind. Jemand anderer sei als as-Sadr verkleidet und mit seinem Pass  in Libyen in das Flugzeug Richtung Rom gestiegen.

Auf einem älteren Video beschuldigte Muammar al-Gaddafi den heutigen Parlamentspräsidenten des Libanon und Vorsitzenden der Amal-Bewegung, Nabih Berri, hinter dem Verschwinden des Imams as-Sadr im Jahr 1978 zu stecken. 1981 übernahm die schillernde Figur Nabih Berri die schiitische Amal-Bewegung und bekleidete anschließend auch mehrere Ministerposten im Libanon.

Für Schibril al-Obeidi hatte das Verschwinden des Imams viele Nutznießer, die alle auf die Liste der potenziellen Verdächtigen gesetzt werden sollten. Dazu zählten Staaten, libanesische Parteiführer, aber auch schiitische Geistliche. Libyen habe kein Interesse an as-Sadrs Tötung gehabt, da er in Freundschaft nach Libyen gekommen war, um an Gaddafis Feierlichkeiten anlässlich der al-Fatah-Revolution von 1969 teilzunehmen.

Ergänzend sei vermerkt, dass es nach der Machtergreifung Khomeinis im Jahre 1979 zu einer Annäherung zwischen Libyen dem Iran kam und diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen wurden. Im Libanon sah sich die schiitische Hisbollah in der echten Nachfolge von Imam as-Sadr und spaltete sich in der Folge von der Amal-Bewegung ab.

Hannibal Gaddafi

Hannibal wurde 1977 als fünfter Sohn von Muammar al-Gaddafi und dessen zweiter Frau Safia Farkasch geboren. Er machte 1999 in Libyen den Abschluss auf der Marineakademie, arbeitete danach auf verschiedenen Schiffen der libyschen General National Maritime Transport Company (GNMTC) und qualifizierte sich anschließend im ägyptischen Alexandria an der Arab Maritime Academy for Science, Technology and Maritime Transport als Erster Offizier und Kapitän. Dieser Ausbildung fügte er einen Abschluss in Schiffswirtschaft und Logistik an der Copenhagen Business School hinzu, bevor er 2007 in die Position eines Beraters des Verwaltungsausschusses der GNMTC berufen wurde.
Sein militärischer Rang war der eines Hauptmanns.

Hannibal heiratete 2003 die Libanesin Aline Skaf, mit der er drei noch lebende Kinder hat. Ein viertes Kind, der im August 2008 geborene Karthago Hannibal, wurde am 30. April 2011 bei einem Nato-Bombenangriff auf das Anwesen der Familie in Tripolis getötet.

Am 29. August 2011 floh Hannibal zusammen mit Frau und Kindern sowie mit seiner Mutter und seinem Bruder Mohammed nach Algerien, um von dort 2012 in den Oman auszureisen, wo ihnen politisches Asyl gewährt wurde. Später siedelte Hannibal Gaddafi mit seiner Familie nach Syrien über, wo er bis zu seiner Verschleppung lebte.

Hannibal Gaddafi und die Schweiz

In der westlichen Welt wurde Hannibal Gaddafi vor allem durch einen in den Medien genüsslich hochgepuschten Skandal bekannt: Hannibal war zusammen mit seiner hochschwangeren Frau Aline am 15. Juli 2008 in einem Schweizer Nobelhotel wegen mutmaßlicher Misshandlung zweier Hausangestellter verhaftet worden, wobei es zu einem Handgemenge zwischen Polizisten und Hannibals Leibwächtern kam.

Hannibals Bedienstete hatten angegeben, von Hannibal und seiner Frau geschlagen worden zu sein. Hannibals Aussage während des Verhörs: „Ich wurde [bei der Festnahme] erniedrigt. Ich war nie gewalttätig. Meine Hausangestellten wollen einfach Asyl in der Schweiz. Meine Bodyguards hätten mich wecken sollen. Hätten Sie direkt mit mir Kontakt aufgenommen, wäre ich ohne Probleme mitgekommen.“

Schon zwei Tage später, am 17. Juli 2008, wurden sowohl Hannibal als auch Aline gegen Kaution aus der Haft entlassen. Im September des gleichen Jahres zogen die beiden Angestellten ihre Anzeige gegen das Ehepaar Gaddafi zurück, erhielten eine Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz und von anonymer Seite eine Entschädigung. Der Genfer Generalstaatsanwalt stellte das Strafverfahren ein.

Die Schweiz wurde 2010 von einem Genfer Gericht wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilt und musste 1,2 Millionen Euro an Hannibal Gaddafi als Wiedergutmachung für die Veröffentlichung von Fotos, die die Persönlichkeit Hannibals verletzt hatten, überweisen. Das Geld sollte humanitären Zwecken zugutekommen.

Heute ist die Schweiz als mögliches Aufnahmeland Hannibal Gaddafis nach dessen Entlassung aus der libanesischen Gefangenschaft im Gespräch.

Was auch immer im Jahr 1978 mit Imam Musa as-Sadr und seinen Begleitern geschah: Als gesichert kann gelten, dass der zweijährige Hannibal nichts damit zu tun hatte.