Ein Artikel von William Van Wagenen vom 2. September im Online-Magazin TheCradle legt die direkte und indirekte Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak offen und zeichnet die militärische Entwicklung bis zur aktuellen Besetzung großer Teile Nordsyriens durch die USA auf.
Wie Van Wagenen schreibt, haben die USA 18 Monate lang überhaupt nichts unternommen, um den IS daran zu hindern, weite Teile Syriens und des Iraks zu besetzen. Denn: „Die Terrorgruppe, die 2014 die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zog, war in Wirklichkeit ein wichtiges und wertvolles Instrument für die politischen Planer der USA.“
Als Beleg wird angeführt, dass das US-Militär mit Hilfe von Satellitensystem und Drohnen die IS-Kämpfer genau beobachtete, als sie die syrische Grenze überquerten, um die irakische Stadt Mosul einzunehmen. Und nichts dagegen unternahmen.
Der damalige stellvertretende US-Außenminister Brett McGurk bezeichnete die Politik, dem IS die Einnahme von Mosul zu ermöglichen, als „völlig verrückt“, denn es wurde sogar befürchtet, dass der IS weiter auf Bagdad vorrücken könnte. Tatsächlich griff der IS nur zwei Monate später die Sindschar-Region im Irak an und massakrierte Tausende von jesidischen Männern und versklavte etwa 7.000 jesidische Frauen und Kinder.
Obwohl der damalige US-Präsident Obama begrenzte Luftangriffe genehmigte, um den Vormarsch des IS auf Erbil, die Hauptstadt des Kurdengebiets im Nordirak, wo sich US-Ölfirmen und Diplomaten aufhalten, genehmigte, gab er keinen Einsatzbefehl für Bombenangriffe, die das Massaker an Jesiden im Dorf Kocho hätten verhindern können.
Auch in Syrien schritten die USA nicht ein, als am 20. Mai 2015 der IS die syrische Stadt Tadmur beim antiken Palmyra eroberte und es dem IS so ermöglicht wurde, sich Damaskus zu nähern. Dabei wäre es ein leichtes gewesen, IS-Konvois zu bombardieren, die von Rakka aus durch die offene Wüste vorrückten.
Die USA ließen es offensichtlich zu, dass der IS 18 Monate lang, zwischen 2014 und 2015, in Mosul, Sindschar und Palmyra an Stärke gewann, führte dann allerdings 2017 in den Städten Rakka und Mosul zwei brutale Militäroffensiven gegen den IS durch, die massives ziviles Leid unter der Zivilbevölkerung verursachten.
Der IS sollte den USA bei einem Regimewechsel in Syrien behilflich sein
Um einen Regimewechsel in Syrien herbeizuführen und den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen, taten sich die USA und ihre Verbündeten mit dschihadistischen Salafisten zusammen, darunter auch al-Kaida im Irak, und begannen 2011 mit deren Hilfe einen schmutzigen Krieg gegen den syrischen Staat, indem sie unter dem Deckmantel von regierungsfeindlichen Protesten syrische Polizisten, Soldaten und Sicherheitskräfte angriffen.
Mit Hilfe verbündeter Geheimdienste in der Region pumpten die USA in den darauffolgenden Jahren Milliarden an US-Dollars und Waffen in militante salafistische Gruppen. Um die syrische Regierung zu stürzen, schien es nützlich, in den mehrheitlich sunnitischen Regionen Ostsyriens (Rakka und Deir ez-Zor) und des Westiraks (Mosul) IS-Machtzentren zu errichten, von den US-Geheimdiensten als „salafistische Fürstentümer“ bezeichnet. Es sollte ein seit den 1990er Jahren verfolgtes US-Ziel erreicht werden, nämlich entlang ethnischer, religiöser und stammesbezogener Zugehörigkeiten den syrischen Staat zu zerschlagen.
Nachdem sich der IS als stärkste Kraft im dschihadistischen Lager hatte etablieren können, errichtete er 2014 sein Kalifat mit den wichtigsten Hochburgen Rakka und Mosul.
Waffenlieferungen an den IS
Der IS und die radikal-islamistische Nusra-Front, ein al-Kaida-Ableger in Syrien, wurden von den USA indirekt über die so bezeichnete Freie Syrische Armee (FSA) mit Geld und Waffen versorgt.
Van Wagenen schreibt: „Obwohl sich die FSA angeblich aus Deserteuren der syrischen Armee zusammensetzte, die für die Errichtung eines säkularen, demokratischen Staates kämpften, hat sie in Wirklichkeit nie als echte Armee existiert, sondern fungierte weitgehend als Marke, die von vielen der militanten salafistischen Gruppen, die vor Ort kämpften, übernommen wurde. Die fähigsten salafistischen Kämpfer, die unter dem FSA-Banner kämpften, wechselten dann zu den angeseheneren Dschihadistengruppen, seien es der IS oder Nusra.“
Die Marke FSA stellte die „säkulare Fassade“ dar, die es den USA und verbündeten Ländern ermöglichte, eine militärische Unterstützung zu rechtfertigen und gleichzeitig eine Opposition gegen die al-Kaida-Gruppen vorzutäuschen, denn die al-Kaida -Gruppen mit ihren radikal-religiösen Vorstellungen fanden kaum Unterstützung in der syrischen Bevölkerung.
Der IS in Syrien
Nachdem der IS 2014 im Irak die Stadt Mosul erobert hatte, wendete er sich wieder Syrien zu und konnte sich mit Hilfe lokaler FSA-Brigaden in der Provinz Deir ez-Zor festsetzen. Obwohl diese FSA-Brigaden dem IS ihre Loyalität zugesichert hatten, floss weiterhin aus den USA Geld an sie. Der IS eroberte mit Hilfe der FSA strategisch wichtige Städte entlang des Euphrat und vertrieb die an-Nusra-Kämpfer aus diesen Gebieten.
Über die FSA bekam der IS weiterhin ein breit gefächertes Waffenarsenal von den USA geliefert, darunter Panzerabwehrraketenwerfer. Laut al-Jazeera sagte der damalige IS-Befehlshaber für die Provinz Aleppo: „Wir kaufen Waffen von der FSA. Wir haben 200 Flugabwehrraketen und Koncourse-Panzerabwehrwaffen gekauft. Wir haben gute Beziehungen zu unseren Brüdern in der FSA.“ In Jordanien und der Türkei waren FSA-Kämpfer vorher an diesen Waffen ausgebildet worden.
Obwohl bekannt, verschloss die US-Politik vor diesen Waffenübergaben der FSA an den IS und an-Nusra die Augen.
Der Sprecher des US-Zentralkommandos, Lieutenant Commander Kyle Raines, meinte hierzu: „Wir befehlen und kontrollieren“ diese Kräfte nicht – wir „trainieren und befähigen“ sie nur. „Mit wem sie sich angeblich verbünden, ist ihre Sache“.
So erklärt es sich, dass ein volles Jahr, nachdem Obama erklärt hatte, das US-Militär würde den IS zerstören, dieser auf der Höhe seiner Macht war und etwa fünfzig Prozent des syrischen Territoriums kontrollierte, darunter das strategisch wichtige Flüchtlingslager Yarmouk vor den Toren von Damaskus. Die Menschen in Syrien fürchteten die Herrschaft des IS, der bekanntermaßen Massenhinrichtungen durchführte, Menschen verstümmelte und Frauen vergewaltigte, die sich nicht ihren rigiden Moral- und Religionsvorstellungen unterwarfen.
Russland greift in den Krieg in Syrien ein
Im Herbst 2015 drohten sowohl der IS als auch Nusra, Damaskus zu erobern und ihre schwarzen Fahnen über dem gesamten Land zu hissen. Die syrische Regierung bat den russischen Präsidenten Putin um Hilfe und dieser erteilte der russischen Luftwaffe den Befehl, den IS in Syrien anzugreifen. Mit Hilfe dieser Luftunterstützung gelang es der syrischen Armee und den verbündeten iranischen Bodentruppen entscheidende Erfolge zu erzielen.
Nun war es klar ersichtlich, dass die USA nicht Willens gewesen waren, den Vormarsch des IS und an-Nusra in Richtung Damaskus zu stoppen, obwohl bei einer Eroberung Damaskus durch diese fanatisierten Kampftruppen mit Massakern an der Zivilbevölkerung zu rechnen gewesen wäre. Der damalige US-Außenminister John Kerry räumte ein, dass die USA den Vormarsch des IS auf Damaskus 2015 begrüßt hatten, um ihn als Druckmittel gegen Assad zu nutzen und ihn zum Rücktritt zu zwingen. Kerry erklärte: „Deshalb kam Russland ins Spiel. Sie wollten keine Daesh [IS]-Regierung und haben Assad unterstützt. […] Wir sahen, dass Daesh [IS] an Stärke zunahm. Und wir dachten, Assad sei bedroht. Wir dachten, wir könnten es schaffen, dass Assad dann verhandelt. Anstatt zu verhandeln, hat er Putin dazu gebracht, ihn zu unterstützen.“
Die USA lassen den IS fallen und setzen auf die Kurden
Mit dem Erscheinen Russlands auf dem syrischen Kriegsschauplatz war es für die USA klar, dass der Versuch, die syrische Regierung mit Hilfe der Dschihadisten zu stürzen, gescheitert war. Der IS als Bodentruppe der USA wurde fallengelassen und die USA gingen nun dazu über, ebenfalls IS-Truppen zu bombardieren.
Als Ersatz für ihre IS-Bodenhilfstruppen setzten die USA nun auf die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG), die vom Pentagon als Syrian Democratic Forces (SDF) bezeichnet wurden. Die YPG erklärten sich bereit, mit US-amerikanischer Unterstützung Gebiete zu erobern, die sich noch unter IS-Kontrolle befanden – und damit den syrischen und russischen Streitkräften zuvor zu kommen. Die USA fuhren doppelgleisig: Einerseits unterstützten sie die Rückeroberung von Rakka vom IS, andererseits begrüßten sie jeden Fortschritt, den der IS gegen syrische Regierungstruppen erzielen konnte.
Als die russischen und syrischen Streitkräfte im März 2016 Palmyra vom IS zurückeroberten, stürzte das die USA in ein Dilemma. Die USA hatten sich nun selbst dem Kampf gegen den IS verschrieben, doch es lief ihren Interessen zuwider, wenn syrische und russische Truppen gegen den IS Siege erzielten.
USA besetzen Teile Syriens
Angesichts des Niedergangs des IS besetzten die USA mit eigenen Truppen große Teile von Nordostsyrien, darunter die wichtigsten Erdölförderstätten und Getreideanbaugebiete des Landes. Der syrischen Regierung fehlten somit nach Kriegsende wichtige Ressourcen zum Wiederaufbau und zur Versorgung der Bevölkerung. Mit der zusätzlichen Verhängung von erdrückenden Wirtschaftssanktionen hofften und hoffen die USA, dass sich die syrische Bevölkerung aufgrund ihrer Verarmung gegen die Regierung Assad erhebt.
Die syrische Stadt Rakka
US-amerikanische und kurdische Streitkräfte nahmen im Oktober 2017 Rakka ein. Bei ihrem rücksichtslosen und grausamen Vorgehen starben eine große Anzahl von Zivilisten und selbst die US-amerikanische Denkfabrik Rand Corporation stellte ein „schockierendes Ausmaß der Zerstörung“ fest. 60 bis 80 Prozent der Stadt waren unbewohnbar geworden. Zunächst war Rakka ohne die Einrichtung von Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung eingekesselt worden, dann erfolgten Luftangriffe und Artilleriebeschuss auf dicht besiedelte Stadtgebiete, wodurch die Menschen in den Kellern ihrer zerstörten Häuser begraben wurden.
Als nach einem Waffenstillstand Busse anrückten, wurden damit nicht Zivilisten, sondern die noch lebenden IS-Kämpfer aus Rakka evakuiert. Laut BBC gab es ein „geheimes Abkommen, das Hunderten von IS-Kämpfern und ihren Familien die Flucht aus Rakka ermöglichte, unter den Augen der von den USA und Großbritannien geführten Koalition und der kurdisch geführten Streitkräfte, die die Stadt kontrollieren“, darunter auch einige der „berüchtigtsten IS-Mitglieder“. Für den Fall, dass diese IS-Kämpfer bald wieder als US-Hilfstruppen zu gebrauchen sind, wurden sie in Sicherheit gebracht.
Nachdem die syrische Armee mit russischer Hilfe den IS in Deir ez-Zor besiegt hatte und weiter auf die Westseite des Euphrat vordrang, wurde sie von US-amerikanischen und kurdischen Streitkräften blockiert.
Auch zum jetzigen Zeitpunkt halten die US-amerikanischen und kurdischen Streitkräfte Rakka und den Nordosten Syriens besetzt. Damit wird nicht nur der Aufbau irakisch-syrischer Beziehungen verhindert, sondern auch eine Landroute vom Iran bis zu den palästinensischen Gebieten.
Mit der US-Kontrolle dieser Gebiete wird der syrischen Regierung weiterhin der Zugang zu wichtigen Anbaugebieten und Ressourcen verwehrt, die dringend zur Versorgung der Bevölkerung benötigt werden. Daneben plündern die USA mit Hilfe der kurdischen SDF die Ressourcen, indem sie laut dem syrischen Erdölministerium „jeden Tag bis zu 66.000 Barrel aus den besetzten Feldern im Osten des Landes stehlen“, was 83 Prozent der Tagesproduktion des Landes entspricht.
Quelle: https://thecradle.co/Article/Investigations/15142
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