Buchrezension. In seinem packenden, auch für Laien gut verständlichen Buch „Einsteins Alptraum – Amerikas Aufstieg und der Niedergang der Physik“ führt Alexander Unzicker aus, wie die physikalischen Entdeckungen Albert Einsteins die Physik in einen bis heute währenden Alptraum führten, indem die Entwicklung der Atombombe die Welt bedroht und „die Grundlagenforschung durch das Militär instrumentalisiert und schließlich korrumpiert“ wurde.
Unzicker vergleicht die beiden so unterschiedlichen Forschungsmethoden der alten europäischen und der neuen amerikanischen Welt und konstatiert den aktuellen Niedergang der Physik. Der Autor stellt die Grundsatzfrage: Kommt man zu Lösungen durch Nachdenken oder durch Ausprobieren? Ist Denken wichtiger als Rechnen?
Anschaulich vermittelt Unzicker die Historie naturwissenschaftlicher Forschung von der Antike bis zur Jetztzeit und stellt den Zusammenhang mit existentiell-philosophischen Fragen und soziopolitischen Bezügen her. Seine Stärke zeigt das Buch in der spannenden Beschreibung der Forschungsresultate bekannter Physiker, verschränkt mit deren Biographie und gewürzt mit am Rande eingestreuten Zitaten berühmter Persönlichkeiten.
Ausgehend von den unterschiedlichen Forschungstraditionen im alten Europa, ehemals Zentrum der Denker, und in den USA, als Zentrum der modernen Naturwissenschaften, beschreibt Unzicker, wie die Grundlagenphysik in eine „Phase der Degeneration“ geraten ist, in der sich „die theoretischen Konzepte von jeder Realität entfernt haben“. In der postmodernen Wissenschaft sei eine „Spezialisierung bis zum Zerbröckeln“ eingetreten, so dass der Wissenschaftsbetrieb keine neuen Erkenntnisse mehr liefere. Denn: „Mit Gigantomanie aus Amerika sowie Bürokratie aus Europa haben diese Institutionen heute tatsächlich das Schlechte aus beiden Kulturen übernommen“.
Das Buch beschreibt im I. Teil mit dem Titel „Das Land ohne Kultur“, wie sich die physikalische Forschung veränderte, als sich das Zentrum der Forschungen von Europa in die USA verschob. Während die europäische Denktradition im individuellen Denken begründet lag, setzte der US-amerikanische Wissenschaftsbetrieb nach dem Zweiten Weltkrieg auf kollektive Großprojekte nach dem Motto: schneller, größer, weiter. Während die europäische Wissenschaftskultur Naturphänomene zu erklären suchte, war die US-amerikanische auf deren Nutzen bedacht. Unzicker spricht beiden Wissenschaftszugängen eine wichtige Funktion zu, vertritt jedoch die Auffassung, dass die Vernachlässigung der europäischen Denktradition die moderne Physikforschung in eine Krise geführt hat, die keine echten Erkenntnis darüber, was „die Natur im Innersten zusammenhält“, liefern kann.
Trotz aller unbestreitbaren praktischen Erfolge des modernen amerikanischen Ansatzes – ob Raumfahrt- oder Computertechnik bis hin zu den Schrecken der Atombombe – bedauert Unzicker das Desinteresse in den USA an „Bildung und Weisheit“ als Werte an sich, an deren Stelle sich durchaus ebenfalls als positiv zu bewertende Eigenschaften wie „Tüchtigkeit, Mut und Unternehmertum“ gesetzt haben. Gefragt sei heute nicht mehr die naturphilosophische Wahrheitssuche, sondern die Ergründung von funktionalen Eigenschaften der Phänomene, damit man damit Geld verdienen oder Macht ausüben kann.
Mit der US-amerikanischen Vormachtstellung in der Welt ging auch deren Dominanz in den Wissenschaftsbetrieben einher und die europäische Art des Wissenschaftszugangs, geprägt von Forschern wie Albert Einstein, Paul Dirac, Erwin Schrödinger oder Nils Bohr, erlebte ihren Niedergang. In den USA organisierte man Wissenschaft durch den Einsatz von immer mehr Mitteln und möglichst perfekter Organisation, alles mit dem Anspruch des Exzeptionalismus, aber ohne die Frage, „zu welchem Ziel der technische Fortschritt die Welt eigentlich führen soll“. Und so scheint es, „dass das Imperium USA sich nicht nur politisch überdehnt hat, sondern vor allem die geistigen Grundlagen fehlen, die für eine verantwortungsvolle Weltherrschaft qualifizieren würden“. Dem westlichen Denken fehlten ganz allgemein „die langfristigen Reflexionen über den Zustand des Systems“.
Der Autor zieht Parallelen zum neoliberalen Wirtschaftssystem mit seinen inhärenten Widersprüchen und Finanzkrisen, bei dem eine angelsächsische Erfolgsethik, die mit genügend Geld alles für machbar hält, einer kontinentaleuropäischen Verantwortungsethik gegenübersteht.
Der II. Teil des Buches trägt den Titel „Aufstieg und Krise der europäischen Wissenschaftstradition“ und befasst sich, mit einem Rückblick auch auf die großen antiken griechischen Denker, mit den Entdeckungen von Kopernikus, Johannes Kepler und Galileo Galilei, mit den Kraftgesetzen des Isaac Newton und den Naturbetrachtungen eines Alexander Humboldt, bezieht sich auf französische Wissenschaftler wie André-Marie Ampère und andere bedeutende europäische Forscher und beschreibt deren Entdeckungen wie die Wellennatur des Lichts, den Elektromagnetismus und die Elektro- und die Thermodynamik. Albert Einstein entwickelte seine Relativitätstheorie und stellte 1905 seine berühmte Formel E=mc² der Öffentlichkeit vor, wobei „seit über hundert Jahren kein Prinzip entdeckt wurde, das in seiner Wichtigkeit […] vergleichbar wäre“.
Unzicker schlägt den Bogen zu Max Plancks Entdeckung der Quantenmechanik, die ebenso wie das Atommodell von Niels Bohr „mehr intuitiv-hinterfragend als rechnerisch“ entwickelt wurde, und vermisst in der modernen Grundlagenphysik die Bemühungen zur Entschlüsselung der wichtigen Naturkonstanten. Alle neuen Erkenntnisse stellten die Forscher vor noch größere Rätsel, wie es beispielsweise die Rotation von Teilchen darstellt oder das Phänomen der „Nichtlokalität“, „das nichts weniger als einen Zusammenbruch elementarer Logik darstellt, geht man von der herkömmlichen Vorstellung von Raum und Zeit aus“.
All die theoretischen Erkenntnisse der Alten Welt führten in der Neuen Welt zu einem „Rausch an Erfindungen“, deren großartiger Wert für die Zivilisation Unzicker niemals abspricht, ebenso wie er betont, dass „das zweite Standbein der Physik stets das Experiment“ bleibt: Hatte Immanuel Kant bereits 1755 „Welteninseln“ angedacht, bestätigte das 1917 bei Los Angeles installierte Hubbles-Observatorium diese Vorstellung des Universums.
Einen ganzen III. Teil widmet Unzicker dem „Exodus der europäischen Intelligenz“ und der Entwicklung der Atombombe in den USA, was Otto Hahn, der als Entdecker der Kernspaltung gilt, fast in den Selbstmord getrieben habe. Von nun an übernahmen die Militärs, die auch über die entsprechenden Mittel verfügten, die Kontrolle über physikalische Projekte. Es begann die Gigantomanie der Forschung. Unzicker schreibt: „Während Michael Faraday als Einzelner etwa 10.000 Experimente in seinem Laborbuch dokumentierte, beschäftigen sich heute 10.000 Leute mit einem Experiment, beispielsweise am CERN“, allerdings ohne sich um ein wirkliches Verständnis der Radioaktivität zu bemühen.
Unzicker zeigt am Beispiel der Quantenelektrodynamik, dass wechselseitig theoretische und experimentelle Resultate so hingebogen werden, dass sie eine Übereinstimmung aufweisen, und dass die Berechnungen durch Computerprogramme wegen ihres Umfangs unüberprüfbar sind, aber trotzdem „die Quantenelektrodynamik noch als unantastbare Wahrheit“ gilt. So sieht Unzicker die physikalische Forschung auf einem „degenerativen Irrweg“. Es ergebe auch keinen Sinn, mit immer schnelleren und größeren Anlagen immer noch mehr und noch kleinere, kurzlebige Teilchen zu finden, und man müsse sich fragen, welche grundlegende Einsicht durch das Postulat der Quarks gewonnen wurde.
Der modernen Theoriebildung wirft Unzicker vor, sie stelle Regeln willkürlich auf, geradezu absurd sei es, ernsthaft von „asymmetrischer Symmetrie“ zu sprechen. Die von den Wissenschaftlern angeführte Kompliziertheit könne auch gut die Folge von mangelndem Verständnis und Selbstüberschätzung sein. „Auch diese fehlende Demut kennzeichnet den Übergang von der europäischen zur amerikanischen Tradition“. Man versuche, „der Natur Theorien mit Gewalt aufzudrängen, anstatt ihr gründlich zuzuhören“, dazu erzeuge man in den großtechnischen Laboratorien der USA „Resultate wie am Fließband, indem man Teilchen mit immer höheren Energien aufeinanderprallen“ lässt, was weltweit als „Spitzenforschung“ angesehen wird. „Wir haben keine Ahnung, wissen, dass wir nichts vorhersagen, und spüren ganz genau, dass wir in einer Sackgasse sind. Aber bevor ihr uns den Geldhahn abdreht, streuen wir euch noch viel Sand in die Augen“.
Auch der heutige Stand der Weltraumforschung wird von Unzicker kritisch hinterfragt. Zur Existenz der postulierten Gravitationswellen gebe es viele offene Fragen, und zur Art und Weise, „schwarze Löcher als mathematische Singularitäten zu betrachten, in denen alle Naturgesetze zusammenbrechen“ bemerkt Unzicker, dass Einstein dies als „unzulässige Extrapolation“ abgelehnt hätte. Kritisch geht Unzicker mit den „gewaltsamen Modellierern“ ins Gericht, die nicht nur in der Teilchenphysik, sondern auch in der Kosmologie immer wieder „viele unrealistische Hilfsannahmen“ einführten, um ihre komplizierten Modelle wie das „solare Standardmodell“ in der Sonnenphysik zu erklären.
Den IV. Teil seines Buches überschreibt Unzicker „Von der Mondlandung abwärts – Die Degeneration der Physik“. Er kritisiert darin die in der Hochenergiephysik zu Tage tretende Gigantomanie, der es aber nicht gelingt, neue Ideen zu generieren. Als gesichert gelte, was „letztlich auf einem Konsens unter den Wissenschaftlern, bei dem soziologische Mechanismen eine große Rolle spielen“, hinauslaufe, und so würden auch abwegige Hypothesen „langsam zur etablierten Wahrheit transformiert“ und mit „immer komplexeren Experimenten immer absurdere Theorien“ gerechtfertigt. Die spekulativen Theorien über die ersten Sekunden nach dem Urknall könnten niemals durch Beobachtung überprüft werden. Unzicker sieht die theoretische Physik als „Sience-Fiction mit Gleichung“, die Beschleuniger-Experimente als „Science-Fiction mit großen Maschinen“.
Hart geht Unzicker mit der „absurden“ String- beziehungsweise Superstringtheorie ins Gericht, bei der nichts darauf hinweise, „dass diese etwas mit der Realität zu tun hat“, da sie nicht einmal eine einzige Gleichung erzeugt habe, in der physikalische Größen vorkommen. Unzwicker hält „eine solche Kombination von historischer Ignoranz und hoher Intelligenz wie bei den Stringtheoretikern [für] keineswegs ungefährlich“. Auch die rätselhafte Feinstrukturkonstante mit einer Theorie von >Paralleluniversen< zu begründen, sei „mit Sicherheit die dümmste Erklärung“.
Unzicker wirft den heutigen Wissenschaftlern ihre Überangepasstheit vor, ihre „offen praktizierte, fast selbstverständlich gewordene intellektuelle Korruption“, die ihr Heil in Spekulationsblasen suche, um die Milliarden an Fördergeldern abzugreifen. Kritiker, die „nicht jahrzehntelang von ihren Glaubenssätzen gehirngewaschen“ sind, werden dabei zu Nicht-Experten erklärt und als dumm und inkompetent abgewertet. Ohne die Mitwirkung der Medien hätte es nie zu dieser Entwicklung kommen können, die es bei einer kritiklosen „Hofberichterstattung“ belassen und Medienkonsumenten bedienen, die sich gerne fantastischen Geschichten wie jenen von Wurmlöchern, Parallelwelten, Superstrings und schwarzen Löchern hingeben.
So sieht Unzicker das Ende des US-amerikanischen Zeitalters gekommen, wobei ungewiss sei, wohin die Zukunft des Homo sapiens, der heute in „einer Kultur des Konsumismus“ lebe, steuert. Er rät zu einer Rückbesinnung auf europäische Werte und neuem Erkenntnisstreben.
Nach der Lektüre von „Einsteins Alptraum“ wird jeder Leser zukünftig neueste Meldungen aus der Welt der Physik nicht mehr mit andächtigem Staunen aufnehmen, sondern sie stattdessen mit einem guten Schuss Skepsis betrachten und sich fragen: Ist dies alles so schwer zu verstehen, weil es so kompliziert oder weil es unsinnig ist? Unzicker ist jener Physiker, der es laut zu sagen wagt: Der König ist ja nackt! Vielleicht liegen weitaus einfachere Naturgesetze offen vor uns – doch wir sind unfähig zur Erkenntnis, weil wir keine Wissenschaftler haben, die wirklich über die Natur nachdenken. Vielleicht aber auch, weil uns die physikalische Ausstattung fehlt, weil wir auf unsere fünf Sinne beschränkt sind, diese zwar mit Hilfsmitteln verbessern können, aber alles was darüber hinausgeht, Spekulation bleiben muss.
Der Mensch gibt in einer nur unzulänglich verstandenen Natur und deren Gesetze den Zauberlehrling und bleibt trotz allen technischen Fortschritts ein Quacksalber, der mehr oder weniger Pfusch abliefert. Doch wäre weitere naturwissenschaftliche Erkenntnis wirklich wünschenswert, solange nicht sichergestellt ist, dass sie von den Mächtigen nicht missbraucht, sondern tatsächlich nur zum Nutzen der Menschheit eingesetzt wird, damit das Naschen vom Baum der Erkenntnis nicht ein Erwachen in Horrorwelten zur Folge hat?
„Einsteins Alptraum“ – ein wichtiges Buch, das einen Kontrapunkt zur Wissenschaftsgläubigkeit der modernen Welt setzt, gerade indem es auf die Einhaltung der Grundsätze wissenschaftlicher Forschung pocht.
Dr. Alexander Unzicker ist theoretischer Physiker, Jurist und promovierte in der kognitiven Psychologie, der die meiste Zeit damit verbringt, über Naturgesetze nachzudenken – wie er auf seinem Youtube-Kanal „Real Physics“ wissen lässt. Sein Buch „Vom Urknall zum Durchknall. Die absurde Jagd nach der Weltformel“ brachte es zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“ und wurde auch ins Amerikanische übersetzt.
https://www.youtube.com/user/TheMachian
Alexander Unzicker, „Einsteins Albtraum – Amerikas Aufstieg und der Niedergang der Physik“, Westend Verlag Frankfurt, 2022
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