Die Wiedervereinigung des Landes und eine vereinheitlichte Armee sollten dem Abzug der ausländischen Streitkräfte sowie Wahlen vorausgehen.
Auf TheLevantNews veröffentlichte Dalia Zaida am 29. Juni einen Artikel, in dem sie unter dem Titel „In ganz Libyen riecht es nach Krieg“ zur Vereinigung der libyschen Militärkräfte von Ost und West aufrief, um einen weiteren Krieg in Libyen zu verhindern. Sie schreibt: „Die Vereinigung von West- und Ostlibyen muss vollzogen werden, bevor die Vorbereitungen für die allgemeinen Wahlen im Dezember fortgesetzt werden können. Insbesondere die fehlende Einheit der libyschen Militärs in Ost- und Westlibyen stellt eine große Gefahr für den gesamten politischen Prozess dar. Die Kontinuität der militärischen Spaltung rechtfertigt die fortgesetzte Präsenz ausländischer militärischer Truppen und Söldner und erschwert den Prozess der Auflösung der lokalen Milizen. Ironischerweise fordert die internationale Gemeinschaft immer wieder den Abzug ausländischer Truppen und Söldner aus Libyen, anstatt sich auf die Beendigung der Teilung der libyschen Streitkräfte zu konzentrieren, die der einzige Grund ist, warum ausländische Truppen weiterhin auf libyschem Boden existieren können.“
Es wird keinen Abzug aller ausländischen Militärs und Söldner geben, mag dies auch noch so laut gefordert werden. Und ihr Bleiben wird für die dafür Verantwortlichen keine Konsequenzen haben. Und es stellt sich die Frage, wie in einem waffenstarrenden Land, in dem sich Milizen gegenseitig bekämpfen, in dem ein feindseliges Klima herrscht und die Türkei in westlichen Landesteilen massiv als Besatzungsmacht auftritt, faire Wahlen abgehalten werden können.
Zuerst Wahlen und erst dann das Land und die Streitkräfte wieder zusammenführen, das heißt, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Reihenfolge umkehren und zuerst eine gemeinsame Armee bilden, die dann für die faire Abhaltung von Wahlen verantwortlich zeichnet, scheint durchaus der vernünftigere und gangbarere Weg zu sein. Wie er zu verwirklichen ist, daran arbeitet gerade die 5+5-Militärkommission, in der fünf ranghohe Militärs der noch verfeindeten Seiten des östlichen und westlichen Libyens vertreten sind. Sie sollen die militärischen Streitkräfte beider Seiten zusammenführen und die Wiedereröffnung der Küstenstraße, die Ost- und Westlibyen verbindet, vorantreiben.
Beide Militärseiten dürften sich darüber im Klaren und einig sein, dass die verbliebenen Milizen eine Gefahr für Libyen und seine Bevölkerung darstellen und die Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols nicht möglich ist, solange sie ihr Unwesen treiben. Ihre Entwaffnung und Auflösung ist unabdingbar. Beiden Seiten mögen auch die Zukunft Libyens und seiner Menschen, die Erlangung der Souveränität und die Wiederherstellung eines funktionierenden libyschen Staatswesens eine Herzensangelegenheit sein, ebenso wie beiden Seiten bewusst sein wird, welche verantwortungsvolle Bedeutung den militärischen Blöcken bei der Erlangung dieser Ziele zukommt.
Militärische Führer können auf diesem Weg keine politische Rolle beanspruchen, sondern müssen sich als neutrale Kräfte begreifen, die für ein sicheres Umfeld zu sorgen haben, damit Libyen einen militärisch abgesicherten politischen Weg beschreiten kann, der von Gegenspielern weder im In- noch im Ausland behindert oder gar verhindert werden kann. Ein Weg, der zu Wahlen und zu einer politischen Stabilisierung des Landes führt. Wobei vereinte Sicherheitskräfte auch dafür zu sorgen hätten, dass das Wahlergebnis von allen Seiten, auch von der unterlegenen, akzeptiert und anerkannt wird.
Sollte das Pferd nicht endlich von vorne aufgezäumt werden, droht erneut Krieg. Dalia Zaida schreibt: „Das ist kein Pessimismus; das ist Logik. Wahlen brauchen ein sicheres Umfeld, um dauerhafte Ergebnisse zu erzielen, die Libyen wirklich retten können. Der einzige Weg, dieses sichere Umfeld zu schaffen, ist die Vereinigung der östlichen und westlichen Militärs, bevor es zu spät ist.“
Die Frage ist, was die ausländischen Kräfte damit bezwecken, wenn sie mantramäßig den komplett unrealistischen Abzug der Söldner und Militärs und die Abhaltung der Dezemberwahlen fordern. Damit verstärken sie nur die Zwistigkeiten innerhalb Libyens und steuern damit das Land wieder in Richtung eines Bürgerkriegs. Leidtragende wäre wie bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen die Zivilbevölkerung, die seit dem Sturz der Dschamahirija-Regierung und der Ermordung Muammar al-Gaddafis sowieso mit immer schlechteren Lebensbedingungen zu kämpfen hat.
Soll Libyen unter dem Deckmäntelchen von geheucheltem Einsatz für Frieden, Einigkeit und Demokratie wiederum zum Schauplatz von Stellvertreterkriegen ausländischer Kräfte werden, um so geopolitische Macht- und Wirtschaftsinteressen durchzusetzen?
Ist es nicht so, dass bei vielen ausländischen Staaten überhaupt kein Interesse daran besteht, dass Libyen wieder ein souveräner, selbstbestimmter und auch selbstbewusster Staat wird und einen politischen Weg beschreitet, der seiner Bevölkerung und dem afrikanischen Kontinent und nicht zuvorderst ausländischen Kapital- und Machtinteressen dienlich ist?
Man kann nur hoffen, dass sich die GNU-Übergangsregierung genauso wie die 5+5-Militärkommission ihrer Verantwortung bewusst sind und eine Vereinigung des Landes und des Militärs im Sinne aller Libyer vorantreiben, damit es gelingt, einen neuen Krieg zu vermeiden. Der größte Knackpunkt dürfte sein, wer zukünftig das Kommando über eine wiedervereinigte libysche Nationalarmee führen soll. Den zahlenmäßig unterlegenen Militärkräften des Westens, die auch durch Kämpfe, die sich die eigenen Milizen gegeneinander liefern, geschwächt sind und nur durch die massive Unterstützung der Türkei der bestens gerüsteten und disziplinierten Libyschen Nationalarmee unter Khalifa Haftar Widerstand leisten konnten, wird es schwerfallen, sich in eine Libysche Nationalarmee zu integrieren. Auch weil dies für die sie unterstützenden ausländischen Mächte den Verlust des Einflusses bedeuteten würde. Nicht nur die Türkei hat dabei viel zu verlieren, hat sie sich doch dank der Hilfe der mit ihr konspirierenden Moslembruderschaft die Kontrolle über das libysche Finanzwesen gesichert, sondern auch andere ausländische Akteure, die Militär in Libyen stationiert haben, wie beispielsweise Italien, fürchten um ihren Einfluss.
Auch die Unterstützer der LNA, als da sind Ägypten, die VAE, Frankreich und Russland, werden ihren Einflussbereich nur dann abgeben, wenn sich eine libysche Streitmacht als vereint und stark präsentiert.
Dalia Zaida verweist darauf, dass es das erste Anliegen der GNU-Übergangsregierung unter Dabaiba sein müsste, das Land und das Militär zu vereinen. Alles andere könne hintenan gestellt werden.
https://thelevantnews.com/en/2021/06/the-smell-of-war-is-all-over-libya/
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