54. Jahrestag der libyschen Revolution vom 1. September 1969

Am 1. September 1969 putschen die Freien Offiziere Libyens unter Führung von Oberst Muammar al-Gaddafi erfolgreich gegen König Idris

Eingebettet in die damaligen weltpolitischen Geschehnisse war in Libyen die Zeit für einen Umsturz überreif. Wie in anderen Ländern beuteten die westlichen Industrienationen mit Hilfe einer korrupten Elite und dank einer ungebildeten, im Analphabetismus gehaltenen Bevölkerung das erdölreiche Land solange aus, bis dem die Revolution vom 1. September 1969 ein Ende setzte. Der Bund der Freien Unionistischen Offiziere unter Führung von Muammar al-Gaddafi stürzte den König und übernahm in Libyen die Macht. Einheit, Freiheit und Sozialismus sollten in Libyen an die Stelle der Monarchie und ihrer korrupten Machteliten treten. Der Reichtum des Landes sollte gerecht verteilt, in Bildung, Wohnungsbau, medizinische Versorgung und Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Schon bald wurden die amerikanischen und britischen Militäreinrichtungen in Libyen geschlossen.

Dem reaktionären Putsch zuvorkommen

Man kann es als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass der in Großbritannien ausgebildete Oberst Gaddafi zunächst vom Westen als „der richtige Mann am richtigen Ort“ gesehen wurde. Sowohl den USA als auch Großbritannien war klar, dass König Idris nicht mehr zu halten war. Sie meinten in Gaddafi den Mann gefunden zu haben, den sie lenken konnten und mit dem sich gute wirtschaftliche Beziehungen aufbauen ließen. So berichtet Richard Tomlinson, ein ehemaliger MI6-Agent, in seinem Buch Das Zerwürfnis: „Der MI6 hat einen Vollzeit->Talentspäher< bei der Armee, mit Dienstsitz in der Königlichen Militärakademie Sandhurst… Ein zweiter Talentspäher mit dem Decknamen Packet hat ein Auge auf die ausländischen Kadetten und liefert dem MI6 Hinweise, welcher dieser Studenten zum nützlichen Informanten werden könnte. Berühmt ist ein Fall aus dem Jahr 1960: Der damalige Packet versuchte einen jungen libyschen Kadetten namens Muammar al Gaddafi anzuwerben.“

Dem libyschen Geheimdienst lagen schon seit Monaten Berichte über Spannungen in der Armee vor. Der König hatte abgewirtschaftet und selbst in reaktionären Offizierskreisen wurden heimlich Putschpläne diskutiert. Ein hoher Offizier trat sogar an Gaddafi heran, um ihn für die Ermordung des Kronprinzen Hassan er-Rida, den potentiellen Thronfolger von König Idris, und einen Putsch zu gewinnen.

Doch diesen Plänen kamen die Freien Offiziere unter Muammar al-Gaddafi zuvor. Als sie Omar Schalhi, den Stabschef der Armee, am Tag der Revolution, dem 1. September, verhafteten, gab sich dieser in Verkennung der Situation entrüstet, da der reaktionäre Putsch erst für den 4. September geplant gewesen war.

Der sozialistische Panarabismus

Über die Bildung der Freien Offiziere schrieb Gaddafi: „Das erste Kommando-Komitee wurde gebildet, als wir noch Studenten der Oberschule in Sebha waren. Unsere Zahl wuchs und unsere Organisation verbreitete sich unter der Jugend. So könnte man ein Datum für den Plan und die Vorbereitung der Revolution angeben. Wir gehen zehn Jahre zurück – auf 1959…

Unsere Seelen waren im Aufstand gegen die Rückständigkeit, die unser Land umfing, dessen heute beste Güter und Reichtümer geplündert wurden – und gegen die Isolierung, die unserem Volk aufgezwungen wurde, um es vom Weg des arabischen Volkes fernzuhalten und seiner großen Aufgabe.“

Die Gruppe revolutionärer Schüler schrieb sich an der libyschen Militärakademie ein. Als sie nach dem Abschluss als junge Truppenoffiziere Dienst taten, starteten sie mit dem Aufbau einer Organisation, die sich Freie Offiziere nannte und eng den Idealen Nassers in Ägypten verbunden war.

Unter Nasser nahm Ägypten die führende politische Rolle in der arabischen Welt ein. Nasser hatte die Briten zum Abzug ihrer Truppen aus Ägypten gezwungen. Als er 1956 den Suezkanal verstaatlichte, wollten Frankreich und England mit Hilfe Israels militärisch intervenieren, wurden aber von den USA und der UdSSR gestoppt. 1958 schlossen sich im Sinne einer arabischen Nationen Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen, die Syrien jedoch schon 1961 wieder verließ. Formal trat auch der Jemen bei, im jemenitischen Bürgerkrieg der Jahre 1962 bis 1969 unterstütze Nasser die Revolutionäre und deren Republik gegen den herrschenden Imam al-Badr. Ursprünglich stand Nasser an der Spitze der Blockfreien-Bewegung, die einen dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus suchte. Als jedoch die USA die Geldmittel für den Bau des Assuan-Staudamms zurückzogen, suchte und fand der ägyptische Präsident die Unterstützung der UdSSR. Da Russland keine kolonialistische Vergangenheit hatte und die UdSSR aufgrund eigener reichlich vorhandener natürlicher Ressourcen nicht an einer Ausbeutung der Bodenschätze Afrikas interessiert war, war es als Verbündeter für die gerade dem Kolonialismus entflohenen Staaten interessanter als der Westen. 1969 war Nassers Stern allerdings bereits wieder im Sinken, nachdem der Sechs-Tage-Krieg gegen Israel im Jahr 1967 in einem Desaster geendet hatte, anstatt die Befreiung Palästinas herbeizuführen.

Gaddafi war ein glühender Verehrer Nassers und begeisterter Anhänger des sozialistischen Panarabismus.

König Idris – ein Vasall des Westens

In Libyen gab es verschiedene militärische Kräfte, zum einen die aus Söhnen der Elite bestehenden paramilitärischen Einheiten der >Kyrenaika-Verteidigungskräfte< und der >Tripolitanischen Verteidigungskräfte<, auf deren Loyalität sich König Idris verlassen konnte. Zum anderen gab es die reguläre Armee, die für die ärmeren Bevölkerungsteile die einzige Chance zum sozialen Aufstieg bot, der König Idris aber nicht ohne Grund misstraute. Die Militärakademie in Bengasi war 1957 gegründet worden, um Offiziere nicht mehr ‚gefährlichen Einflüssen‘ im Ausland bei ihrer Ausbildung auszusetzen.

Großbritannien und die USA hatten mit König Idris sogenannte ‚Freundschaftsverträge‘ geschlossen, die die libysche Souveränität aushebelten. Als 1957 der damalige US-amerikanische Vizepräsident Nixon Libyen besuchte, stellte er klar, was er von König Idris erwartete: die Abwehr des kommunistischen Einflusses im Nahen Osten und in Nordafrika. Auch wirtschaftlich war Libyen abgehängt: Die Geschäfte machten immer noch die Italiener, die auch die Großgrundbesitzer stellten. Idris war der Vasall des Westens, dessen militärische und wirtschaftliche Interessen die Geschicke des Landes bestimmten.

Als sich König Idris 1965 entgegen der Aufforderung der Arabischen Liga weigerte, die Kontakte mit der Bundesrepublik Deutschland abzubrechen, da diese diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen hatte, kam es zu Studentenprotesten.

Die Freien Offiziere

In Libyen spannte unter Gaddafis Führung die Gruppe der Freien Offiziere ein Netz der Verschwörung, das alle Lager und Kommandostrukturen überzog. Eigentlich sollte die Revolution schon am 12. März 1969 beginnen, als aber Truppen aus der Hauptstadt verlegt wurden, Munition eingezogen und König Idris sich unter den Schutz der britischen Stützpunkte stellte, war klar, dass die Revolutionspläne zu den Machthabern durchgesickert waren. Die Revolution wurde verschoben.

 Doch am 1. September musste gehandelt werden, denn schon am nächsten Tag sollten junge Offiziere, darunter auch viele Freie Offiziere, zur Weiterbildung nach England verlegt werden. Innerhalb der Armee hatten sich auch die Baath-Anhänger organisiert, von denen sich viele an der Revolution beteiligten, auch wenn sich die Organisation selbst zurückhielt. König Idris befand sich zu diesem Zeitpunkt auf Auslandsreise in der Türkei.

Die Freien Offiziere bemühten sich um die Unterstützung von Oberstleutnant Musa Ahmad, der das Oberkommando über die Kyrenaika-Truppen hatte und die Schutztruppe des Königs bildete. Musa Ahmad stand sowohl in ständiger Verbindung mit den Einsatzverbänden als auch mit den anglo-amerikanischen Militärstützpunkten. Die Vermutung, dass der Umsturz durchaus auch mit Einverständnis der Engländer und Amerikaner erfolgte, die einsahen, dass König Idris nicht mehr zu halten war, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie dürften sich an Macchiavellis Rat gehalten haben, dass man sich an die Spitze von Bewegungen stellen sollte, die nicht mehr zu verhindern sind. Auch dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass sich der Zögling des Westens, König Idris, außer Landes aufhielt und somit in Sicherheit war. Allerdings waren die ausländischen Mächte der Meinung, die Freien Offiziere und deren Anführer Gaddafi zukünftig kontrollieren zu können.

Die Rolle Italiens

Eine wichtige Rolle beim Umsturz spielte die einstige Kolonialmacht Italien. Denn die geheimen Treffen der Freien Offiziere fanden nicht nur in Tripolis, sondern auch in Italien statt. Die letzten Einzelheiten für den Umsturz wurden vom 24. Bis 27. August 1969 in dem norditalienischen Städtchen Abano Terme festgelegt. Paolo Sensini schreibt: „Auf die Frage, ob an Gaddafis Umsturz etwa der italienische Geheimdienst mitgewirkt haben könnte, antwortete der italienische Richter Rosario Priore […] wie folgt: >Der Staatsstreich wurde in einem Hotel in Abano Terme organisiert. Ich glaube schon, dass eine italienische Handreichung denkbar ist. So bald Gaddafi an der Macht war, schickten wir ihm im Handumdrehen für seine Siegesparade Schiffe voller Panzer, ganze Divisionen, währenddessen sogar unsere eigenen Grenzen dieser Verteidigungsmaterialien beraubt waren […] Wir wussten, dass (unter diesem Riesen-Sandkasten) immens viel Erdöl lag. Libyen machte Appetit, weil es unsere strategische Reserve hätte sein können, der Treibstoff für unsere wirtschaftliche Entwicklung. So war es dann ja auch […] Die Libyer schlossen sofort die englischen und amerikanischen Stützpunkte und wiesen die Soldaten beider Länder aus […] und Italien wurde sofort der wirtschaftliche Handelspartner von Gaddafi.<“[1]

Der 1. September 1969

Am 1. September 1969, um 2:30 begann die Operation Jerusalem. Es gelang, zuerst die Königsgarde und die Offiziere, die sich der Revolution nicht angeschlossen hatten, zu entwaffnen. Anschließend wurde die Befehlszentrale des Nachrichtendienstes in Bengasi lahmgelegt. In Tripolis rückten in einer als Übung getarnten Aktion Panzer ein. Sowohl in Bengasi als auch in Tripolis wurden die militärischen Anlagen, Kasernen, Polizeistationen, Regierungsgebäude, Fernmeldeämter, Radio- und Fernsehstationen und Flughäfen übernommen.

Über Radio Bengasi verlas Muammar al-Gaddafi am Morgen des 1. Septembers die erste Erklärung des Revolutionären Kommandorates:

 „Im Namen Allahs, des Barmherzigen und Mitfühlenden. Oh Großes Volk Libyens“ In der Ausübung deines freien Willens, in der Erfüllung deiner sehnlichsten Hoffnungen und als Antwort auf deinen wiederholten Rufe nach Wandel und Reinigung, der zu Aktion und Initiative drängt, sowie Erhebung und raschen Angriff fordert, haben deine Streitkräfte das dekadente, rückständige und reaktionäre Regime gestürzt, dessen Gestank die Nasen abstumpften ließ und dessen Antlitz Abscheu hervorrief.

 Durch einen einzigen Schlag Eurer heldenhaften Armee stürzten die Götzen und brachen zusammen, und so ist in einem schicksalhaften Augenblick der Vorsehung die Finsternis der Vergangenheit geschwunden: von der Herrschaft der Türken über die Tyrannei der Italiener, bis hin zur Ära der Reaktion, Bestechung, Nepotismus, Treulosigkeit und Verrat.

 Von nun an wird Libyen eine freie, souveräne Republik mit dem Namen „Libysche Arabische Republik“ sein, aufsteigend, die durch Gottes Gnade auf dem Weg zur Freiheit, Einheit und sozialen Gerechtigkeit zu Taten und zu Größe vorwärtsschreitet. Sie wird all ihren Söhnen das Recht der Gleichheit sichern und ihnen die Tore zu ehrlicher und anständiger Arbeit in einer neuen Gesellschaft öffnen, die keine Unterdrückten, Betrogenen oder Benachteiligten, nicht Herren und nicht Sklaven kennen wird, sondern nur freie Brüder in einer Gesellschaft, über der, so Gott will, das Banner des Wohlstands und der Gleichheit wehen soll.

Lasst uns einander die Hände reichen, öffnet eure Herzen, vergesst Euren Groll und steht zusammen gegen den Feind der arabische Nation, den Feind des Islams und den Feind der Menschheit, der unsere Heiligtümer geschändet und unsere Ehre beschmutzt hat. So wollen wir ruhmreich ein Erbe wiederbeleben und unsere verletzte Würde und unser usurpiertes Recht rächen! Oh! Ihr, die Ihr mit Omar al-Muchtar einen heiligen Krieg für Libyen, die Araber und den Islam gefochten habt, und oh! Ihr, die Ihr gerecht gekämpft habt mit Ahmad asch-Scharif.

 Oh! Söhne der Beduinen, Söhne der Wüste, Söhne öder alter Städte, Söhne des reinen Ackerlandes, Söhne der Dörfer, unserer schönen geliebten Dörfer, die Stunde der Arbeit hat geschlagen und so lasst uns vorwärts schreiten.

 In diesem Augenblick ist es uns ein Vergnügen, unseren ausländischen Brüdern zu versichern, dass ihr Eigentum und ihr Leben unter dem Schutz der bewaffneten Kräfte stehen – und dass diese Aktion gegen keinen fremden Staat gerichtet ist, gegen keine internationalen Verträge oder ein internationales Recht.

 Es ist eine rein innere Angelegenheit, die Libyen und seine chronischen Probleme betrifft!
 Vorwärts! Friede und Gottes Gnade seien mit Euch!
 Der Revolutionäre Kommando-Rat am 19. Jumada al-Achir 1389 H.“

König Idris dankt ab, der islamische Sozialismus übernimmt

In Tobruk konnte sich das alte Militär unter britischem Schutz noch drei Tage halten, einer Aufforderung zum Einschreiten kamen die Briten allerdings nicht nach. Sowohl die britischen Garnisonen als auch die USA taten, als seien sie von den Ereignissen vollkommen überrascht. Sicherlich rechneten sie nicht damit, dass sie bereits im März 1970 ihren Stützpunkt in Tobruk und die amerikanische Militärbasis Wheelus schließen müssten.

 Wheelus wurde der spätere libysche Luftwaffenstützpunkt Mitiga bei Tripolis.

Die unblutige Revolution hatte unter dem Motto „Freiheit, Sozialismus, Einigkeit“ gesiegt, auch durch Unterstützung der Stämme der Warfallah, Magariha aus dem Westen hatten sich mit den Gaddhadfa-Stamm Gaddadfis verbündet.

Wie in der französischen Tageszeitung in einem Interview verkündet, strebte Gaddafi einen „islamischen Sozialismus“ an, der mit Hilfe des „nationalen Kapitals die Entwicklung des Landes unterstützt.“[2]

Der aus zwölf Offizieren bestehende Revolutionäre Kommandorat übernahm die Macht. Der engste Weggefährte von Gaddafi war Leutnant Abd al-Salam Dschallud.

Der 27-jährige Armeeoberst Muammar al-Gaddafi wurde vom Revolutionären Militärrat als Befehlshaber der Streitkräfte bestätigt. Ägypten, Syrien, Sudan, Irak und Algerien kannten nur wenige Tage nach der Revolution die neue Führung an. König Idris dankte ab.

 

[1] Nach Paolo Sensini „Es war einmal Libyen“

[2] Le Monde vom 13.12.1969, nach P. Sensini „Es war einmal Libyen“