Im ersten Band der Romain-Rolland-Studien mit dem Titel „Frieden!“ beleuchten die Autoren das pazifistische Umfeld, in dem sich Rolland auf der Suche nach einer Friedensordnung bewegte. Rolland, der Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich, führte Korrespondenzen unter anderen mit Albert Einstein, Maxim Gorki, Albert Schweitzer und Sigmund Freud. In den Beiträgen des „Frieden!“-Bandes wird der Pazifismus von Romain Rolland und sein Einfluss auf Weggefährten und nachfolgende Generationen einer näheren Betrachtung unterzogen, seine praktische Hilfestellungen während des Ersten Weltkriegs für bedrängte Schriftsteller wie Rainer Maria Rilke und Arthur Schnitzler aufgezeigt, sowie sein Verhältnis zu verschiedenen Weggefährten, darunter Frans Masereel, Alfred Hermann Fried, Georg Friedrich Nicolai, Marcelle Capy und Ingeburg Küster dargestellt.

Ein kurzer biografischer Abriss von Marina Hertrampf gibt Einblicke in das Leben des Verfechters der deutsch-französischen Freundschaft und Pazifisten Romain Rolland, der während des Ersten Weltkriegs enormen Anfeindungen aufgrund seines Pazifismus, der sich auf einem „zutiefst humanistischen Friedenswillen“ und „bedingungslose Unabhängigkeit des Geistes“ (Hertrampf) gründete, ausgesetzt war. Auf Unverständnis stieß bei manchen auch, als er sich während des Aufstieg Hitlers dem Kommunismus zuwendete, den er als letztes Bollwerk gegen den Faschismus ansah und Präsident des Pariser Thälmann-Komitees wurde. 1934 heiratete Rolland die Russin Maria Koudacheva, die vorher als seine Sekretärin tätig war. Die Beziehung zu Stefan Zweig kühlte merklich ab.

Magdolna Orosz berichtet in ihrem Beitrag über das Verhältnis von Rolland zu den Schriftstellern Stefan Zweig, Rainer Maria Rilke und Arthur Schnitzler. Zweig erlag während des Ersten Weltkriegs nicht, anders als viele andere Intellektuelle, „dem Rausch des Patriotismus“, nahm zunächst aber den deutschen Standpunkt ein. Mit Rolland Romain führte er einen intensiven Briefwechsel, dessen Ansichten er sich mehr und mehr annäherte. Auf Vermittlung von Zweig schaltete sich Rolland ein, um zu helfen, Manuskripte und Briefe aus der Pariser Wohnung von Rainer Maria Rilke vor der Beschlagnahmung und Vernichtung zu retten. Und gegen „erlogene Interviews“ mit Schnitzler, die in einer russischen Zeitung erschienen waren, ermöglichte Rolland die Veröffentlichung einer Gegenerklärung von Schnitzler im Journal de Genève.

In einem weiteren Beitrag des „Frieden“-Bandes befasst sich Julia Glunk mit dem Verhältnis zwischen Rolland und Stefan Zweig sowie dem belgischen Maler und Zeichner Frans Masereel, den mit Rolland eine tiefe Freundschaft verband und der einige von Rollands Werken illustrierte. 1942 entstand ein überlebensgroßes Rolland-Porträt und in den fünfziger Jahren ein großformatiger Rolland-Holzschnitt.

Walter Wagner arbeitet in seinem Beitrag die unterschiedlichen Ansätze von Pazifismus heraus. Ein Gefährte von Rolland auf dem Weg des Pazifismus war Alfred Hermann Fried, Herausgeber der in Wien erscheinenden Zeitschrift Friedens-Warte. Während Rolland den Krieg als „moralisch-intellektuelles Problem“ verurteilte, entwickelte Fried eine Theorie des revolutionären beziehungsweise wissenschaftlichen Pazifismus, dem eine „große, heilige Aufgabe zufallen wird: die Pflicht, die Menschheit durch die Fieberschauer des Hasses hindurch zur Vernunft zu führen“. Militärische Auseinandersetzungen seien durch Verhandlungen, Friedens- und Abrüstungsverträge zu lösen. Rolland dagegen setzte auf Moral und Intelligenz. Er sieht das Ende des Krieges erreicht, „sobald der Humanismus seinen weltumspannenden Siegeszug vollendet hat“.

In einem Beitrag von Wolfgang Kalinowsky wird der frankophile Georg Friedrich Nicolai vorgestellt und sein Verhältnis zu Rolland beleuchtet. Nicolai, ein Freund von Einstein und Verfasser von Aufruf an die Europäer, beherrschte etliche Fremdsprachen, studierte Medizin und arbeitete als Schiffsarzt, was ihn in Länder wie China und Japan führte. Anschließend wurde er Oberarzt an der Berliner Charité, arbeitete auch mehrere Monate als Arzt in Sankt Petersburg. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs erhielt er den Rang eines Offiziers und war Chefarzt in einem Kriegslazarett, äußerste sich aber öffentlich kritisch zum Kriegsgeschehen. Zur Strafe versetzte man ihn in ein Seuchenlazarett an der polnischen Grenze. Zurück in Berlin nahm er seine kritischen Vorlesungen wieder auf, verweigerte den Fahneneid und wurde zum Krankenwärter degradiert. Nicolai schrieb das Buch Die Biologie des Krieges. Betrachtungen eines Naturforschers, den Deutschen zur Besinnung, wurde deshalb vom eigenen Schwiegervater denunziert und zu Gefängnis, später zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Mit zwei kleinen Militärflugzeugen gelangen ihm und drei weiteren Männern, die dem Spartakusbund angehörten, die Flucht nach Kopenhagen. In Schweden und Dänemark hielt Nicolai pazifistische Vorträge und so war es zur Freundschaft mit Rolland nur ein kurzer Weg, auch wenn sie sich erst 1919 zum ersten Mal persönlich begegneten. Nach dem Krieg trat Nicolai „als Versöhner zwischen Sozialdemokraten, Unabhängigen und Spartakisten“ auf. Auf der Internationalen Völkerbundkonferenz in Bern war er 1919 einer der offiziellen Leiter der deutschen Delegation. 1922 folgte Nicolai dem Ruf der Universität Cordoba in Argentinien und wurde dort Leiter des physiologischen Instituts.

Ute Lemke befasst sich in ihrem Beitrag mit Marcelle Capy, eine französische Journalistin, Pazifistin, Feministin und Sozialistin, für deren Aufsatzsammlung Romain Rolland das Vorwort schrieb. In Anlehnung an Rollands Buch Über dem Schlachtengetümmel betitelte sie ihr Buch mit „Die Stimme einer Frau im Schlachtengetümmel (1916). Klaus Mann bemerkte, dass Capy auch eine mitreißende und mutige Rednerin war, deren Themen Armut und Leiden der Menschen im dem von ihr zutiefst verabscheuten Krieg waren. Capy trat stets als Unterstützerin von Rolland auf, ohne dass sich die Beiden jemals persönlich begegneten.

In einem interessanten Beitrag befassen sich Peter de Bourgraaf und Benjamin Pfannes mit den Verhältnissen in England, dem Empire und der Entente und stellen fest, dass Großbritanniens Zuspruch zu den friedenspolitischen Manifesten Rollands nicht stark ausgeprägt war. Die bekanntesten englischen Friedensaktivisten Bertrand Russell und Edmund Dene Morel verbrachten wegen ihres Engagements geraume Zeit im Gefängnis.
Für die Briten spielten die Kolonialkriegseinsätze in Afrika und Asien eine wichtige Rolle. Als die USA 1917 in den Krieg gegen die Mittelmächte eintraten, sah Großbritannien seine Kolonialinteressen aufgrund des Internationalismus des US-Präsidenten Woodrow Wilson gefährdet. Mitte 1916 hatte Lloyd George die Leitung des britischen Kriegskabinetts übernommen, bis er im Dezember 1916 zum Premierminister gewählt wurde. 1917 berief er Jan Christiaan Smuts ins britische Kriegskabinett. Smuts war britischer Feldmarschall, Mitglied in der damaligen Südafrikanischen Regierung und hatte erfolgreich gegen die deutschen Truppen in Deutsch-Südwestafrika gekämpft (1915). Solange sich der Weltkrieg hinzog, führte Jan Christiaan Smuts das neu geschaffene Imperial War Cabinet, das Kriegskabinett der Überseegebiete des britischen Imperiums. Zum Anfang der Pariser Konferenz, als der Waffenstillstand vom November 1918 ein weiteres Mal verlängert wurde, stellten die Briten zur Vertretung ihrer die Selbständigkeit anstrebenden Siedlerkolonien eine eigenständige Delegation auf, mit der sie zusammen ein Gewicht in die Waagschale legten, das der Größe der französischen und der US-Delegationen zusammen entsprach. Unter anderem dadurch bekamen Kolonialfragen eine übergeordnete Bedeutung. In führender Position nahm an den interalliierten Verhandlungen auch Jan Christiaan Smuts teil, der nach der Unterzeichnung des Vertrags von Versailles 1919 nach Südafrika zurückkehrte, wo er Premierminister wurde.
Der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes dagegen erklärte seinen Austritt aus der Delegation, da er die Meinung vertrat, dass das im Friedensvertrag vorgegebene imperialistische Diktat, das Deutschland die Alleinschuld zuschrieb, in den Abgrund führen würde.[1] Großbritannien hatte die Konferenz an sich gerissen und die von Rolland zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Déclaration, ein friedenspolitisches Manifest, fand in Großbritannien nur ganze drei Unterzeichner. In einem Brief vermerkte Rolland später: „Wer, von meinen Kameraden, glaubt denn noch an den Völkerbund?“ Er nennt ihn „eine Maschine diplomatischer Heuchelei im Dienst der Großmächte“. Der Brückenschlag in die Jetztzeit zeigt auf die immer noch angewandten divide-et-impera-Muster Großbritanniens und seinen „europafeindlichen Unilateralismus“ und verweist darauf, dass der „1990 erklärte Friede des transatlantisch-eurasischen Raumes nicht erst 2014 oder 2022, sondern seit einem Vierteljahrhundert gefährdet“ (Bourgraaf/Pfannes) ist, insofern als die Sicherheitsinteressen Russlands nicht berücksichtigt wurden. So kommt eine „transnationale Aufarbeitung von >Paris/Versailles< und der ersten Nachkriegsordnung zu spät“ (Bourgraaf/Pfannes). Hinzuweisen sei noch auf die League against Imperialism (LAI), zu deren Gründervätern Romain Rolland gehörte.

In seinem Beitrag befasst sich Roland Ißler mit „Internationalen Stimmen des Friedens aus dem Liber Amicorum Romain Rolland“, eine gedruckte Festschrift zum 60. Geburtstag Rollands mit 139 internationalen Beiträgen. Zunächst erfolgt ein Verweis auf Stefan Zweigs Rolland-Biographie, in der er Rolland als „Gewissen der Menschheit“ beschreibt und eine fast messianische Überhöhung Rollands erfolgt.
Rolland und seine Korrespondenzpartner kommunizieren nicht nur öffentlich-publizistisch, sondern der Austausch erfolgt auch durch persönliche Begegnungen, wobei von „Rollands charismatischer Erscheinung eine besondere Aura ausgegangen sein muss, die seine moralische Autorität untermauert.“ (Ißler) Doch auch Albert Einstein sieht in Rolland ein „leuchtendes Vorbild“ und Albert Schweitzer sieht in ihm „das beobachtende Gewissen der denkenden Menschheit“. Diese Funktion als unbestechliches „Gewissen“ führt allerdings auch dazu, dass einstige Freunde von ihm abrücken. Nicht so Hermann Hesse, der Romain zum 70. Geburtstag schreibt, er zähle ihn „zu den wenigen Autoren unserer Zeit, die ich um ihrer Lauterkeit und Menschlichkeit willen als Vorbilder und ältere Brüder verehre“.  Bereits zu seinem 60. Geburtstag erhält Rolland von seinen Freunden eine gedruckte Festschrift, an der „139 der prominentesten Autoren, Intellektuellen und Künstler aus der ganzen Welt“ (Meylan, 20210) beteiligt sind, darunter Mahatma Gandhi, Sigmund Freud, Selma Lagerlöf, Richard Strauss, Rabindranath Tagore und H.G. Wells. Rolland hatte sich zu dieser Zeit schon lange als Stimme des Weltfriedens sowie als Vermittler fernöstlicher Kultur etabliert. Doch auch die arabische Welt, so der Ägypter Ahemd Deif, feiert Rolland in seinem Kampf für den Frieden als „einen Propheten und Beschützer der Menschheit“. Nicht zuletzt in Europa und den USA findet Rolland „als Diplomat des Friedens“ (Ißler) große Anerkennung, der in Zeiten des Krieges Trost und Orientierung spendete. Rolland wirkte nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch – wie es in Georg Friedrich Nicolais Beitrag zur Festschrift heißt – war er seinem Jahrhundert um viele, viele Weglängen voraus.

Clemens Klünemann befasst sich in seinem Beitrag mit der Ideologisierung des PazifismusBegriffs und geht der Frage nach, wie sich das Phänomen des Pazifismus „zum Steigbügelhalter einer nationalistischen und kriegerischen Ideologie machen lässt“, eine Frage, die sich als ein nur schwer zu lösendes Paradoxon darstellt. Romain Rolland bezog während des Ersten Weltkriegs gegen jede militärische Aktion Stellung, ergriff allerdings im Zweiten Weltkrieg klar Position gegen ein faschistisches Hitler-Deutschland. Als Freund deutscher Kultur sprach er sich gegen ein Stillhalten zu Gunsten Hitler-Deutschlands aus. Er schrieb: „Es ist genau diese [deutsch-französische] Liebe, die uns zu kämpfen gebietet gegen die schreckliche Despotie“. Da in der Zwischenkriegszeit der Pazifismus einer Ideologisierung unterlag, gab es innerhalb der Rechten und Linken Frankreichs etliche Stimmen, die sich für eine Aussöhnung mit Deutschland aussprachen und nur wenige in Frankreich sahen zu Zeiten der Machtergreifung Hitlers, dass ein neuer Krieg auf sie zukommen wird.

Dem Einfluss von Romain Rolland auf die antifaschistische Pazifistin Ingeborg Küster widmet Marina Hertrampf einen Beitrag. Bereits 1932 antwortete Rolland auf einen Brief Küsters, in welchem sie ihre Sorgen um Deutschland zum Ausdruck gebracht hatte, und sprach ihr Mut zu. Ihre Tochter benannte Küster nach einer Romanheldin Rollands Lore und als ihr Sohn im Dezember 1944 geboren wird, gab sie ihm den Vornamen John-Christoph, in Gedenken an Rollands Buch. In ihrem 1949 unter dem Pseudonym Erika Anders erschienen Buch Das Mädchen von gestern unterstreicht sie die große moralische Unterstützung, die ihr Rolland bedeutete, den sie erst 1954 erstmals persönlich in seinem Haus im burgundischen Vézelay traf. Politisch nahe stand Ingeborg Küster insbesondere sozialistischen Ländern. Sie wurde 1974 mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrates der DDR und 1989 mit der Loliot-Curie-Friedensmedaille des Weltfriedensrates für hervorragende Verdienste im Kampf für den Frieden, gegen Faschismus und Krieg geehrt.

Der letzte Buchbeitrag, ebenfalls von Marina Hertrampf, hat Fred Stein und seine Fotografien von Romain Rolland zum Thema. Fred Stein war Pionier der Street-Fotografie der 30er Jahre und ein genialer Porträtist. Es gelang Stein 1936, im Anschluss an einen Theaterbesuch in Paris, drei Porträtfotos von dem von ihm hochverehrten Rolland zu machen. Und auch Stein schwärmte von der charismatischen Aura, von der er meinte, sie habe etwas Heiliges spürbar gemacht [„Around this man I felt a fine atmosphere of something that must be saintliness“] .

 

Der „Frieden!“-Band mit Studien zum pazifistischen Freundeskreis von Romain Rolland  bietet wenig bekannte, umso mehr beachtenswert informatives Hintergrundwissen zum Umfeld von Romain Rolland. Schade nur, dass Originalpassagen in Französisch keine Übersetzung ins Deutsche fanden.

In Zusammenhang mit diesem Band der Romain-Rolland Studien noch ein Hinweis auf das von mir herausgegebene Buch: „Romain Rolland. Der Erste Weltkrieg aus Sicht eines Pazifisten. Aus den Tagebucheinträgen 1914 – 1919.“ Westarp Verlag 2021.

 

„Frieden! Pazifistische Gedanken im Umkreis von Romain Rolland“, Romain Rolland Studien – Études Romain Rolland 1, Hrsg.: Maina Ortrud M. Hertrampf

[1] De Bourgraaf, Peter: Die Entkolonialisierung von Versailles: das Dornröschen der Erinnerungskultur, www.aufa100.com/vision/
(06.04.2022)