Informationen - Analysen - Meinungen

Schlagwort: azza maghur

Kurznachrichten Libyen – 04.02.2021

Umstrittenes Libysch-Politische Dialogforum (LPDF) tagt in Genf und will neue ‚Übergangsregierung‘ und weitere Exekutivorgane bestimmen –Sicherheitslage angespannt.

+ 01.02.: Milizen/Machtkampf. Milizen aus Tripolis und der West- und Bergregion Libyens, die die Operation der ‚Einheitsregierung‘ Vulkan des Zorns“ unterstützen, gaben eine Erklärung zu den jüngsten politischen Entwicklungen ab. Sie beschuldigten UNSMIL (UN-Sondermission für Libyen), für das fünfjährige Chaos verantwortlich zu sein und nicht-konsensfähige Persönlichkeiten gewählt zu haben.
Nach einem Treffen von Gemeindeführern, Parlamentsmitgliedern und des Beratenden Staatsrats wurde vereinbart, dass sich alle Milizen in der westlichen Region zusammenschließen, um Streitigkeiten zu lösen und alle Straßenverbindungen zwischen den Städten zu öffnen.
Der Kampf gegen Terrorismus, Kriminalität, Schmuggel, illegale Einwanderung werde weitergeführt und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Häuser in der westlichen Region sichergestellt.
Stark angegriffen wurde die von Fathi Bashagha initiierte Operation snake hunting (Schlangenjagd) des Innenministeriums der ‚Einheitsregierung‘. Die ‚Einheitsregierung‘ wurde aufgefordert, alle Milizen der Operation Vulkan des Zorns“, die sich gegen die LNA gerichtet hatte, in die militärischen und Sicherheitsinstitutionen zu integrieren.
https://almarsad.co/en/2021/02/01/militias-from-tripoli-western-and-mountain-regions-formation-of-new-government-will-obstruct-elections/
In der explosiven Atmosphäre stehen alle Milizen und Streitkräfte Gewehr bei Fuß – sollten sie durch die in dieser Woche fallenden Entscheidungen in Genf ausgebootet werden.

+ 03.01.: Angst vor Kämpfen in Tripolis. Auf Twitter heißt es: „Der Verkehr in Tripolis dreht heute durch. Es gibt lange Warteschlangen an den Tankstellen, obwohl es reichlich Benzin gibt, denn die Leute haben (zu Recht) Angst, dass es zu Zusammenstößen kommen könnte, je nachdem, was in Genf passiert.“
https://twitter.com/ibnthabit/status/1356899063426408449

+ 01.02.: Ölfelder/PFG-Forderungen. Seit einiger Zeit kommt es zu Arbeitsniederlegungen der PFG-Angestellten (Petroleum Facilities Guide) in den verschiedenen Erdölverarbeitungsanlagen und Verladehäfen, so z.B. in Hariga im Osten des Landes. Die PFG-Angestellten fordern von der ‚Einheitsregierung‘ die Auszahlung ihrer Gehälter, mit denen die ‚Einheitsregierung‘ bis zu zwölf Monate im Rückstand ist. Es wurde ein zehntägiges Ultimatum gesetzt. Die PFG-Mitglieder sind auch empört über die Streichung ihrer Zulagen und beharren auf deren Weiterzahlung. Sie drohten „alle Erdölfelder stillzulegen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden“. Neben den Ölanlagen von as-Sider und Ras Lanuf könnte auch die al-Zawiya-Ölraffinerie im westlichen Libyen betroffen sein. https://libyareview.com/10008/libyas-noc-urges-government-to-pay-pfg-salaries/
Die Drohung mit der Stilllegung der Ölfelder hat auch politische Gründe und mit den Vorgängen in Genf zu tun.

+ 02.02. LPDF/Wahlfarce in Genf/Kuhhandel. Der erste Versuch der 74 LPDF-Mitglieder, in Genf einen dreiköpfigen Präsidialrat (PC) zu bestimmen, ist gescheitert. Keiner der 45 Kandidaten, je einer pro Region, hat die vorgeschriebenen 70 Prozent Zustimmung erhalten. Die meisten Stimmen erhielten für den Fessan mit 42,9 % Seif an-Nasr, für die Kyrenaika mit 39,1 % Parlamentspräsident Agila Saleh und für Tripolitanien mit 22,2 %, der Vorsitzende des Hohen Staatsrates, Khaled Mishri. Der Wahlprozess geht nun in ein Listensystem über, wo ein politischer Kuhhandel stattfinden wird und ein Kompromiss für den dreiköpfigen Präsidialrat wahrscheinlicher ist.
https://www.libyaherald.com/2021/02/02/lpdf-first-round-of-voting-for-pc-fails-to-meet-70-percent-threshold-move-to-list-system-next/
Mit diesen Pseudoprozentzahlen wird eine Wahl vorgespielt. Das ist Heuchelei. 74 von der UNSMIL handverlesene LPDF-Mitglieder bestimmen in Genf die neue libysche ‚Interimsregierung‘. Dem libyschen Volk wird ihr Selbstbestimmungsrecht vorenthalten. Gefordert werden sofortige demokratische Neuwahlen durch das gesamte libysche Volk.
Höchst umstritten ist auch die neu eingeführte Sollbruchstelle zwischen den drei libyschen Provinzen. Die eigentliche Spaltung des Landes ist eine politische und keine regionale.

Weiterlesen

Der Genfer UN-Plan wird Konflikte verschärfen

Libyen. Mit den neuen Vorschlägen arbeitet die ‚internationale Gemeinschaft‘ weiterhin an der Zerschlagung der libyschen Einheit und Staatlichkeit.

Es ist eindeutig, dass die westlichen Mächte und die UNO ihre Pläne zur Spaltung des Landes in drei Teile noch immer nicht auf gegeben haben. Die neuen UN-Vorschläge spielen auf Zeit und hoffen, ihrem Ziel der Spaltung des Landes wieder ein Stück näher zu kommen. Dauerstreit ist vorprogrammiert und Wahlen rücken in immer weitere Ferne.

Die libysche Verfassungsexpertin Azza Maghur beschreibt in ihrem Artikel zunächst den gescheiterten Versuch, den demokratischen Prozess in Libyen voranzubringen, der 2014 durch brutale Gewalt vollends beendet wurde. Nach 2014 erfolgte die Übernahme der libyschen Politik durch ausländische Mächte. Seitdem bestimme die ‚internationale Gemeinschaft‘ im Namen der Libyer die libysche Politik und stelle die Bevölkerung mittels Resolutionen des UN-Sicherheitsrat vor vollendete Tatsachen. Laut Maghur wurde die demokratische Legitimität durch eine „internationale Legitimität“ ersetzt.

Heute sei Libyen bei einem fünften Übergangsstadium angekommen, das durch den Mangel an Legitimität und direkte ausländische Interventionen gekennzeichnet sei. Unter Ausklammerung der Bereiche Sicherheit, Militär und Wirtschaft nimmt Maghur zum politischen Aspekt dieser fünften Übergangsphase, wie sie nach den Vorstellungen des Regimes verlaufen soll, Stellung.

Die Analyse des UN-Plans für Libyen, der mittels „Auswahl und Ernennung“ im Namen der Libyer zu handeln vorgibt, beinhaltet tatsächlich aber die Gefahr einer kompletten politischen Lähmung.

Weiterlesen