Tschad/Déby/Gastbeitrag: Kai Hanisch. Am 17./18. April 2021 verstarb der tschadische Präsident Idriss Déby –so wie er gelebt hatte: als Soldat auf dem Schlachtfeld bei der Bekämpfung bewaffneter Rebellen.
Die Zukunft des Tschad ist ungewiß.
Gastbeitrag von Kay Hanisch (Mai 2021).
24.4.2021. Am Mittag des 20. April gab das tschadische Militär in einer kurzen Stellungnahme bekannt, daß der seit 1990 regierende Staatspräsident Idriss Déby an der Front beim Kampf gegen die bewaffneten Rebellen der „Front für Wandel und Eintracht im Tschad“ (FACT) getötet worden sei.
„Er übernahm die Leitung der Operationen beim heroischen Kampf gegen die terroristischen Horden, er wurde bei den Gefechten verwundet und hauchte die Seele aus, als er nach N’Djamena zurückgebracht worden war“, erklärte die Armee.
Dies war im Prinzip für Déby nichts Ungewöhnliches. In seiner 30-jährigen Amtszeit als Staatspräsident und Oberkommandierender der Streitkräfte schien er sich immer für den zweiten genannten Job mehr zu interessieren als für den ersten.
Auch nun hatte er mit sagenumwobenen 79,3% die Präsidentschaftswahlen am 11. April gewonnen. Der Zweiplatzierte, sein ehemaliger Regierungschef Albert Pahimi Padacké vom zeitweiligen Koalitionspartner RNDT (Nationale Sammlung für Demokratie im Tschad) bekam gerade mal 10,3%, die meisten oppositionellen Kandidaten boykottierten die Wahl, weil sie kaum Wahlkampf machen durften.
Eine Woche brauchte die Wahlkommission um das Ergebnis auszuzählen (andere sagen: zusammenzuschustern). Doch am Wahltag selbst waren die FACT-Rebellen ins Land eingedrungen, um den Präsidenten zu stürzen. Nach einigen Gefechten mit der Armee wurden die Reihen der FACT zwar ausgedünnt, aber aufzuhalten schien sie nicht. Eine Angelegenheit also, um die sich der „Wüstencowboy“, wie ihn seine französischen Gönner aufgrund von Débys Tollkühnheit und Entschlossenheit nannten, persönlich kümmern mußte! Er sagte seine Siegesrede kurzerhand hab, brauste an die Front, schwang sich auf ein Einsatzfahrzeug und bretterte als Feldkommandant in die Schlacht, wo ihn kurz darauf eine Kugel in die Brust traf! Der Schock für die Armee und selbst für das Volk saß tief! Déby hatte so viele Gefechte geführt, so oft ging es mehr als knapp für ihn zu, doch besiegt werden, war für ihn keine Option. Der „grandiose Nichtunterzukriegende“ nannten die Tschader ihren Präsidenten – wohl so ein ähnlich zweifelhafter Ehrentitel wie in Deutschland „Gröfaz“.
Aber schließlich hatte Déby so viele Gefechte und Umsturzversuche – oft äußerst knapp – überstanden, daß seine Standhaftigkeit zur Legende wurde.
So kommandierte er 2008 ungerührt seine letzten 2.000 loyalen Soldaten (die Armee befand sich teilweise schon in Auflösung) gegen ebenfalls mehrere Tausend in die Hauptstadt N´Djamena eingedrungenen schwer bewaffneten Rebellen, welche sich bis auf wenige hundert Meter an den Präsidentenpalast herangekämpft hatten. Das Angebot der Franzosen, ihn auszufliegen, lehnte er ab. Déby wußte, daß die Zeit für ihn spielte. Der Hauptstadtflughafen wurde von den französischen Soldaten gehalten, um Ausländer zu evakuieren. Aus dem Libyen Muammar al-Ghaddafis waren Flugzeuge mit Munitionsnachschub unterwegs und in der sudanesischen Grenz- und Bürgerkriegsprovinz Darfur hatte sich die von Tschad unterstützte Rebellengruppe Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) mit ihren Pick Ups in Marsch gesetzt, um den bedrängten Déby zu unterstützen. Die tschadischen Truppen kappten den Rebellen in der Hauptstadt die Nachschubverbindungen und schon bald ging ihnen der Sprit aus. Mit Hilfe der JEM wurden sie dann vollständig besiegt.
Mehr Soldat als Politiker
Déby wurde an französischen Militärschulen zum Offizier und Hubschrauberkampfpiloten ausgebildet. Sein militärisches Geschick und strategisches Können sowie sein Wagemut galten damals schon als legendär und seine französischen Ausbilder gaben ihm deshalb den Beinamen „Wüstencowboy“.
In den 80iger Jahren diente Déby als Sicherheitsberater des damaligen Diktators Hissené Habre, bis sich die beiden nach ein paar Jahren zerstritten.
In der Nacht vom 1. auf den 2. April versuchten Déby und Hassan Djamouss, ebenfalls ein hoher Offizier aus dem Volk der kleinen Zaghawa-Minderheit, den Tyrannen umzubringen. Der Versuch scheiterte und beide mußten fliehen. Déby und Djamouss galten bereits zu dieser Zeit als legendäre Kriegshelden, welche die letzten Seriensiege gegen die überlegene libysche Armee errungen hatten.
Auch hier hatte Déby wieder unverschämtes Glück. Nach dem mißlungenen Putschversuch wurde er auf der Flucht verwundet und konnte bis in den Sudan fliehen, während Djamouss gefangengenommen und von Habrés Armee zu Tode gefoltert wurde.
Déby vollzog wieder eine seiner taktischen Wendungen, flog nach Tripolis zu Libyens Revolutionsführer Muammar al-Ghaddafi um Hilfe für einen Feldzug gegen das tschadische Regime zu erbitten. Als Mitbringsel übergab er dem Libyer Informationen über seinen Erzfeind Khalifa al-Haftar, einen hochrangigen libyschen General der Interventionstruppen im Tschad, welcher die Fronten gewechselt hatte, nachdem er in Gefangenschaft geraten war und nun eine CIA-finanzierte Widerstandsbewegung gegen Ghaddafi führte. Déby war Habrés Verbindungsmann zu Haftar gewesen.
Drei Feldzüge startete Déby gegen die Hauptstadt mit seiner Rebellenbewegung, die er Patriotische Heilsbewegung (MPS) nannte. Der dritte Angriff im Dezember 1990 war erfolgreich, Habré gab auf und floh. Auch die Franzosen schienen damals erkannt zu haben, daß Dèby eher der Mann war, der den tschadischen Konflikt entwirren könnte. Er verbesserte die Beziehungen zu Libyen und zum Sudan, ohne die engen Bindungen an Frankreich zu lösen. Haftars Widerstandsgruppe wurde aber nicht nach Tripolis ausgeliefert, sondern Déby erlaubte den USA die Kämpfer auszufliegen. Eine Entscheidung, die sich nach dem Sturz Ghaddafis noch einmal bezahlt machen sollte…
Nach der Machtübernahme leitete Déby eine Nationalkonferenz mit allen relevanten politischen und gesellschaftlichen Akteuren ein zur Ausarbeitung einer Verfassung. Es wurden Oppositionsparteien und unabhängige Medien zugelassen. Doch schon damals hatte man den Eindruck, der neue Präsident verschleppe die Reformen. Zu den ersten freien Wahlen kam es erst 1996 – das erste und letzte Mal übrigens, daß Déby in eine Stichwahl mußte. Später „organisierte“ seine Wahlsiege im ersten Durchgang.
Das Mehrparteiensystem und freie Medien, die aber beide über die Jahre immer wieder mehr beschränkt wurden, sind Débys wichtigstes Erbe. Nicht für ihn, aber für die Bevölkerung. In Sachen Entwicklungspolitik tat sich in den letzten 30 Jahren kaum etwas. Die Zahlen, welchen den Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Einrichtungen markieren, gingen in den letzten Jahren sogar zurück – offenbar, weil sie nicht mit dem Ansteigen der Bevölkerungszahlen Schritt hielten.
Man konnte den Eindruck gewinnen, das Führen von Kriegen war diesem Militär-Präsidenten wichtiger, als die Entwicklung des eigenen Landes zu fördern. Gelder aus den spärlichen Erdöleinnahmen flossen zu großen Teilen in die Armee, Débys Steckenpferd.
Wenn es keinen Krieg im eigenen Land gab, wurde einer gesucht. Tschadische Truppen kämpften in Nigeria, in Mali, im Niger, im Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, in Kamerun und in Libyen, wo der Tschad das einzige Land war, welches dem 2011 von der NATO angegriffen Ghaddafi direkte militärische Unterstützung gab.
Nach dessen Sturz verbündete sich Déby aber mit dem säkularen General Khalifa al-Haftar, welcher den Osten Libyens kontrollierte und dort gegen militante Islamisten vorging.
Mit Hilfe französischer und US-amerikanischer Ausbilder wurde die tschadische Armee zu einer der schlagkräftigsten der Region ausgebaut. Obwohl sie insgesamt nur rund 25.000 Mann zählte, mußte sie vor ein paar Jahren auch im „taumelnden Riesen“ Nigeria einrücken, um die islamistische Terror-Armee „Boko Haram“ zu bekämpfen, wozu die auf dem Papier viel mächtigere nigerianische Truppe nicht in der Lage war.
Déby erklärte damals öffentlich, daß Tschad seit Wochen auf nigerianischem Gebiet Krieg gegen Boko Haram führe, aber seine Truppen noch nicht einen einzigen nigerianischen Soldaten zu Gesicht bekommen hätten.
Er schaffte es mit der militärischen Unterstützung diverser westlicher „Anti-Terror-Missionen“, wie z.B. jene in Mali, für den Westen unverzichtbar zu werden. Die Initiative „G5 Sahel“, ein Bündnis aus Mauretanien, Mali, Tschad, Niger und Burkina Faso, welches sich Entwicklung, Armutsbekämpfung und Förderung der Sicherheit der Wüstenregion zum Ziel gesetzt hatte, schuf eine eigene 5.000 Mann starke Eingreiftruppe, welche der zunehmenden Ausbreitung regionaler islamistischer Terrormilizen einen Riegel vorschieben sollte. Auch hier stellte der Tschad den Großteil der Soldaten.
Dadurch ließ Paris dem „Boss des Sahel“, wie Déby sich zum Schluß sich selbst gern nannte, nahezu alles durchgehen.
Seit dem Sturz Ghaddafis in Libyen galt der Tschad, wie auch der Niger, als ein „Schlüsselland“ bei der Bekämpfung der „illegalen“ Migrationen nach Europa. Déby wußte, je mehr der Westen sich auf ihn verließ, desto mehr konnte er sich in Sachen Menschenrechten und Machtsicherung erlauben. Seine letzten Regierungsjahre waren gekennzeichnet von zunehmender Unterdrückung der Opposition und dem Ausbau der eigenen Macht. Während er der Opposition mit Verweis auf die Corona-Lage eigene Kundgebungen verbot und zeitweilig die sozialen Netzwerke im Internet abschalten ließ, um die Organisation des zivilen Widerstandes gegen sein Regime zu erschweren, ließen er und seine zur Partei umgeformte MPS Wahlkampfkundgebungen im ganzen Land abhalten.
Eine Verfassungsänderung, welche er zuvor per Volksentscheid legitimieren ließ, sorgte nicht nur für die Abschaffung der Ämter des Premierministers und des Vizepräsidenten, was ihm die Konzentration weiterer Macht in seinen Händen ermöglichte. 2018 (?) ließ sich Déby vom Parlament zum einzigen Marschall des Tschad ernennten, einen Titel, der ihm laut eigener Aussage wegen seiner (durchaus herausragenden) „Verdienste an der Waffe“ (O-Ton) zustünde.
Zwar sicherte sich Déby mit der Verfassungsänderung weitere Amtszeiten, doch die Abschaffung des Ministerpräsidenten, den er regelmäßig auswechselte und dem er quasi die Schuld für Regierungsversagen in die Schuhe schieben konnte, war ein taktischer Fehler. Nun war der Präsident selbst für alle Fehlentscheidungen in der Regierung verantwortlich. Offenbar war sich Déby am Ende seiner Herrschaft seiner Sache zu sicher.
Als Bilanz seiner 30-jährigen Herrschaft kann man zusammenfassen, daß Déby durch seine Schaukelpolitik dem notorischen Unruheherd Tschad einen labilen Frieden bewahrte, aber nicht in der Lage war, trotz der Erdöleinnahmen für eine nachhaltige Entwicklung des Landes zu sorgen.
Nach seinem Tod übernahm eine Militärjunta die Macht und setzte Débys Sohn Mahamat, selbst General und Kommandeur einer Eliteeinheit, als Präsidenten ein. Dieser plant das Land 18 Monate zu regieren und danach Wahlen abhalten zu lassen, wogegen die Opposition Sturm läuft. Nach der Verfassung hätte der Parlamentschef das Präsidentenamt übernehmen und innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen einleiten müssen.
Um die Opposition zu beschwichtigen ernannte Déby jr. nun Albert Pahimi Padacké, den Gegenkandidaten seines Vaters bei der letzten Wahl, zum Premierminister.
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