ImprimaturDer 750 Seiten umfassende Roman Imprimatur(1) aus dem Jahre 2005 stellt für den Leser eine Herausforderung dar. In einer der mittelalterlichen Sprache angepassten Erzählweise führt er uns in das barocke Rom des Jahres 1683, wo den Leser schon bald die historische Authentizität der handelnden Figuren in deren Bann schlägt.

Die Handlung
Als Kriminalgeschichte verfasst, wird der vorgebliche Giftmord an Nicolas Fouquet, dem ehemaligen und später in Ungnade gefallenen Finanzminister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., in einer römischen Herberge durch Atto Melani, Kastrat, Sänger, Diplomat und Spion Ludwig XIV., aufgeklärt. Melani erhält bei seinen Nachforschungen die Hilfe des Küchenjungen, aus dessen Sicht die Geschehnisse in der römischen Locanda geschildert werden.

Da zunächst befürchtet wird, Fouquet sei der Pest erlegen, wird die Herberge unter Quarantäne gestellt. Alle darin befindlichen Gäste sowie der Wirt, dessen Küchenjunge und eine betörende Kurtisane dürfen das Haus nicht mehr verlassen und kommen prinzipiell als Tatverdächtige infrage. Allerdings gibt es im Haus einen geheimen Zugang zu den Katakomben, Kloaken und unterirdischen Gängen des mittelalterlichen Roms, der von den festgesetzten Herbergsgästen auch ausgiebig genutzt wird. Bei der Jagd auf den vermeintlichen Mörder spielen sich in dieser Unterwelt wilde Verfolgungsjagden ab. Unterstützt werden die Helden von sogenannten Heiligenfledderern, die in der düsteren Unterwelt auf der Suche nach wertvollen Heiligenreliquien sind. Während es in der Locanda zu weiteren Unfällen und Erkrankungen kommt, befürchtet man in Rom den Untergang des Christentums, da die Türken vor Wien stehen.

Soweit eine Mischung aus ein bisschen Umberto Eco, ein bisschen Agatha Christi und ein bisschen Arthur Conan Doyle.

Daneben gibt es jedoch die fast verstörend langen Passagen, die eine kompakte Einführung in die barocke Gedankenwelt bieten, ob es sich nun um religiöse Vorstellungen, Astrologie, Zahlenmystik, Heilmethoden, die einem die Haare zu Berge stehen lassen, oder doch sehr befremdlich anmutende Kochrezepte handelt. Diese durchgängige Authentizität des Romans fesselt den Leser immer wieder aufs Neue, so dass man gespannt dem römischen Küchenjungen bei seinen Abenteuern folgt.

Nicht zuletzt noch der Hinweis auf die im Roman erwähnte Musik. Eine wichtige Rolle spielen die frühbarocken Werke von Salamone Rossi und insbesondere ein geheimnisvolles Rondo, Les Baricades mistérieuses(2), das Francois Couperin zugeschrieben wird, von dem der Erzähler der Rahmenhandlung aber vermutet, es stamme ursprünglich aus der Feder Francesco Corbettas, ein italienischer Komponist und Gitarrist.

Die Personen des Romans sind historisch belegt
Wie in der Rahmenhandlung und auch im Anhang ausführlich bezeugt, sind die Personen dieses Buches und ihre Historie in weiten Teilen nicht frei erfunden, sondern historisch belegt. Und auch die politischen Verstrickungen und Intrigen der damaligen politischen Herrscherhäuser und des Papstes, die im Verlauf der Handlung aufgedeckt werden, haben einen wahren Hintergrund, dessen Offenlegung noch im Jahr 2005 bei Veröffentlichung des Romans für einen handfesten Skandal sorgte. Im Buch heißt es hierzu: „Am Ende triumphierte also die Lüge, und der Geldgeber der Ketzer wurde Retter der Christenheit genannt.“ Und weiter: „Die Gestalt und das Werk Innozenz XI. sind demnach völlig zu Unrecht gefeiert und erhöht worden, mit falschen, irreführenden oder parteilichen Argumenten.“ Allerdings hat die Realität das Buch eingeholt und die von Montaldi und Sorti zutage geförderte Wahrheit kam zu guter Letzt doch noch ans Licht.

Die Funde der beiden Autoren Rita Moraldi und Francesco Sorti nach akribischen Recherchen in verstaubten Archiven zeitigten weitreichende Konsequenzen. Die Veröffentlichung des Romans und der echten Archivdokumente entwickelte eine so gewaltige Brisanz, dass die 2002 anstehende Heiligsprechung des bedeutendsten Papstes des 17. Jahrhunderts, Innozenz XI., der aus der schwerreichen Familie der Odescalchi stammte, vom Vatikan abgesagt wurde. Der Historikerstreit war beendet.

Historischer Hintergrund
Die Autoren konnten Dokumente ausfindig machen, die belegen, dass Papst Innozenz XI. Wilhelm von Oranien große Geldbeträge zur Verfügung stellte, die es Wilhelm ermöglichten, das Heer zur Eroberung Englands zu finanzieren, dort die Katholiken zu vertreiben und ein für allemal den Protestantismus in England durchzusetzen. Vermutlich geschah dies aus reiner Habgier von Innozenz XI., denn nach der Eroberung Englands verfügte Wilhelm von Oranien über die Mittel, seine Schulden samt Zinsen zurückzuzahlen. Unter dieser Schuldlast litt vor allem sein protestantisches Fürstentum Orange (Oranien). Dieses lag am Rande der Legation Avignon, die dem Vatikan zugehörig war, und diese Legation Avignon lag inmitten von Südfrankreich, das zum Herrschaftsgebiet des französischen Königs Ludwig XIV. gehörte. Orange muss über seine Schuldenlast so verzweifelt gewesen sein, dass es dem Papst antrug, sich seiner Herrschaft zu unterwerfen. Der Vatikan lehnte dankend ab.

Dazu muss man wissen, dass sich „Seine Allerchristlichste Majestät“ Ludwig XIV. und Papst Innozenz XI. in tiefster Feindschaft verbunden waren. Es heißt, Ludwig XIV. habe nicht davor zurückgeschreckt, mit den Türken vor Wien zu konspirieren mit dem Ziel, Europa nach einem Sieg der Muselmanen zwischen ihnen und Frankreich aufzuteilen – unter Ausschaltung anderer Herrscherhäuser und des Vatikans. Dagegen wiederum konspirierte die Frau von Ludwig XIV. und Königin von Frankreich, die Habsburgerin Maria Theresia, die ihrem Ehemann – nicht zuletzt wegen dessen unzähliger amouröser Abenteuer – nur Verachtung und Hass entgegenbrachte. Kaiser Leopold in Wien, der Habsburger, sei genauestens über die sinistren Geldumläufe der europäischen Politik informiert gewesen, selbstverständlich auch über jene, die über „venezianische Strohmänner der Odescalchi“ an „ketzerische italienische Bankiers“ flossen.

Das Buch und seine Autoren
Nach 15.000 verkauften Exemplaren wurde das Buch in Italien zunächst nicht mehr aufgelegt. Nach Anfeindungen gingen die Autoren nach Wien ins Exil, wo sie Imprimatur bei einem niederländischen Verlag wieder in italienischer Sprache veröffentlichen konnten.

Die Autoren sind der Meinung, dass nach dem Auffinden und Bekanntmachen der einschlägigen Dokumente die Geschichte neu geschrieben werden muss. Geschichtsklitterung ist also beileibe keine Erfindung der Neuzeit. Und es bleibt die Erkenntnis, dass auch Inhalte von gefälschten Dokumenten wahr sein können und diese allein mit dem Ziel in Umlauf gebracht werden, die darin beschriebene Wahrheit zu diskreditieren.

„Imprimatur“, Monaldi und Sorti, Roman, List 2005, 752 Seiten

(1) Imprimatur, d.h. Druckerlaubnis, Erlaubnis der katholischen Kirche zur Veröffentlichung eines religiöse und kirchliche Themen betreffenden Druckwerks.
(2) https://fr.wikipedia.org/wiki/Les_Barricades_myst%C3%A9rieuses
https://de.wikipedia.org/wiki/Monaldi_%26_Sorti